Andrej H., § 129a und die verdächtigen Begriffe
Am letzten Freitag wurde der Stadtsoziologe Andrej H., der aufgrund des erhebliche Willkür bei der Auslegung erlaubenden Paragraphen 129a unter dem Verdacht, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, aus der Untersuchungshaft unter Auflagen entlassen ("Gentrification" und "Prekarisierung"). Dem Soziologen wird vorgeworfen, sich mit angeblichen Mitgliedern der "militanten gruppe" getroffen zu haben, die wiederum unter Verdacht steht, Brandstiftungen begangen zu haben. Die Bundesanwaltschaft hat gegen die Haftverschonung Einspruch eingelegt, immerhin will nun der Bundesgerichtshof erst eine Entscheidung treffen, wenn zuvor neu überdacht worden ist, was eine terroristische Vereinigung ausmacht und unter welchen Bedingungen eine Person als mutmaßliches Mitglied deswegen in Haft genommen werden kann.
Christina Clemm, die Anwältin des unter Terrorverdacht stehenden Andrej H. teilte mit, wie der Tagesspiegel berichtet, dass der Bundesgerichtshof nicht vor dem 5. Oktober über die Beschwerde der Bundesanwaltschaft entscheiden werde. Nach Paragraph 129a gilt eine Vereinigung als terroristisch, wenn sie schwere Straftaten begeht und zu begehen beabsichtigt. Es werden aber auch andere Straftaten wie Computersabotage, Zerstörung eines Bauwerks oder von wichtigen Arbeitsmitteln und eben Brandanschläge einbezogen, wenn sie beabsichtigen,
die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.
Obwohl bei den der "mg" zugeschriebenen Brandanschlägen keine Personen verletzt wurden und dies wohl auch nicht beabsichtigt war, geht die Bundesanwaltschaft vom Tatbestand einer terroristischen Vereinigung aus - und auch davon, dass der Soziologe drigend verdächtig ist, Mitglied der Gruppe zu sein, wie auch Generalbundesanwältin Monika Harms vor wenigen Tagen bestätigte. Sie betont, dass auch Brandanschläge, wenn sie nur gegen Sachen gerichtet seien, als terroristische Taten gewertet müssen, weil sie "Verunsicherung" auslösen:
Auch solche Anschläge rufen indes Verunsicherung hervor, egal, ob es um Brandanschläge auf ein Finanzamt oder eine Sozialbehörde geht. Der Staat soll vorgeführt werden als einer, der solchem Treiben hilflos ausgeliefert ist. Das darf man nicht verharmlosen.
Der Bundesgerichtshof scheint grundsätzlich darüber nachdenken zu wollen, unter welchen Bedingungen Straftaten, auch wenn sie politisch motiviert waren, als terroristisch eingestuft werden können. Fällt die Terrorismusverbindung weg, so würde gegen die "mg" nur wegen Brandstiftung und Sachbeschädigung ermittelt. Andrej H. wäre dann auch aus dem Schneider.
Im werden "umfassende konspirativer Kontakte und Treffen insbesondere mit dem Beschuldigten Florian L." vorgeworfen. Begründet wurde der Verdacht auch damit, dass seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen Formulierungen enthalten, die auch von der "mg" verwendet worden seien. Zudem soll er als Wissenschaftler die Möglichkeit genutzt haben, die für die Texte der Militanten Gruppe erforderlichen Recherchen in der Bibliothek durchzuführen.
Wie die Frankfurter Rundschau in Erfahrung gebracht haben will, scheinen die Beweise gegen den Soziologen noch dünner zu sein, als bislang bekannt geworden war. Offenbar ist der Staatsschutz bei einer Internetsuche nach Material gegen die "mg" im letzten Jahr auf einen Artikel in der linken Zeitung Telegraph aus dem Jahr 1998 über Kosovo gestoßen. Geschrieben hatte ihn ein Politologe aus Leipzig, aber von diesem Artikel aus sei man dann auf die Spur von drei weiteren Wissenschaftlern und Publizisten gekommen, darunter auch auf Andrej H.
Angeblich gebe es eine "Vielzahl" von Übereinstimmungen mit Bekennerschreiben und Publikationen der mg zwischen 2002 und 2006. Bekannt geworden war zunächst über die Anwältin, dass man Begriffe wie "Gentrification" oder "Prekarisierung" gefunden habe. Nach Informationen der Rundschau habe es sich im wesentlichen um neun Begriffe gehandelt, beispielsweise um "Reproduktion", "implodieren", "politische Praxis" und "marxistisch-leninistisch".
Eigentlich ist es auch egal, welche Begriffe es sind, mit denen ein Verdacht begründet wird, weil schon die Tatsache, dass so Beweise konstruiert werden, hanebüchen ist. Allerdings passen solche Vergleiche zum Internetgeist, sie sind nur das umgekehrte Verfahren, mit dem Copy&Paste-Sünder erwischt werden.