"Wissenschaftler müssen jetzt aufpassen"

Der Bund versucht den Tatbestand "Terrorismus" ins Uferlose auszuweiten, warnt Grünen-Fraktionschef Ratzmann. INTERVIEW: ANNA LEHMANN

Kann man ins Gefängnis kommen, weil man die falschen Leute kennt?

Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft augenscheinlich ja, sogar wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Reicht der Verdacht, oder muss ein konkreter Beweis vorliegen, dass man nach Paragraf 129a beschuldigt werden kann?

Normalerweise müssen Tatsachen vorliegen, die einen konkreten Verdacht begründen. Welche das hier sind, bleibt das Geheimnis der Bundesanwaltschaft. Die Beschuldigten müssten in eine feste Struktur eingebunden sein, die hierarchisch, arbeitsteilig funktioniert. Augenscheinlich versucht die Bundesanwaltschaft gerade, den Tatbestand der terroristischen Vereinigung auf einen zufällig zustande gekommenen, losen Zusammenschluss von Personen auszudehnen und damit einen uferlosen Anwendungsbereich für diesen Paragrafen zu schaffen.

Die Begründung für die Verhaftung von Andrej H. lautet, es tauchten übereinstimmende Phrasen in Bekennerschreiben und in einem Aufsatz von ihm auf. Außerdem bestünden konspirative Kontakte.

Ich halte das für sehr fragwürdig. Das hieße, dass zukünftig jeder Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin, die sich im politischen Bereich und mit gesellschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen, aufpassen müssen, dass niemand gegen ihren Willen ihre Ausführungen zur Begründung seiner eigenen und strafrechtlich relevanten Handlungen heranzieht. Wenn sie dann vielleicht noch in Seminaren Kontakt hatten, werden sie gleich zum Bestandteil einer konstruierten terroristischen Vereinigung.

Da kann doch jeder gute Anwalt seine Mandanten sicher mühelos raushauen?

Ich gehe auch davon aus, dass das Konstrukt, das die Bundesanwaltschaft da zusammengezimmert hat, einer Überprüfung nicht standhält.

Wie lange kann die Untersuchungshaft dauern?

So lange, wie ein Haftprüfungsgericht den Haftbefehl nicht aufhebt. Nach einem halben Jahr muss der Befehl überprüft werden.

Gilt dabei die Unschuldsvermutung eigentlich noch?

Natürlich gilt die Unschuldsvermutung. Es ist gängiges Verfahren in Strafprozessen, dass bei dringendem Tatverdacht und Fluchtgefahr, die Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen kann. Aber ich glaube, der BGH und die Bundesanwaltschaft sind in diesem Fall übers Ziel hinausgeschossen. Mir scheint, es geht hier vor allem darum, die Schlappe der Hausdurchsuchungen vor dem G-8-Gipfel auszuwetzen.