Militante Gruppe - zündelndes Phantom
Berlin - "Auch Kugeln markieren einen Schlussstrich", so hieß es in einem Drohbrief, den der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff im Jahr 2001 erhielt. Mit im Umschlag lag eine scharfe Kleinkaliberpatrone. Das Schreiben markiert die Geburtsstunde der "militanten gruppe (mg)". Lambsdorff war ins Fadenkreuz der neuen Linksterroristen geraden, weil er Regierungsbeauftragter für die Entschädigung der Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus war.
Immer wieder hat die "militante gruppe" seitdem Politikern gedroht, Gewalt wendete sie gegen Personen bisher nie an - wohl aber verübte sie vor allem im Großraum Berlin eine ganze Reihe von Brandanschlägen auf Gebäude oder Fahrzeuge, zu denen sich die Mitglieder wenig später in Selbstbezichtigungsschreiben bekannten. Eine kommunistische Weltordnung streben die Radikalen an, doch erst wollen sie die gegenwärtige Struktur der Gesellschaft zerschlagen.
Wer steckt hinter der "militanten gruppe"? Seit sechs Jahren fahnden die Sicherheitsbehörden ohne Ergebnis. Nun sollen den Ermittlern erstmals Mitglieder der "mg" ins Netz gegangen sein: Drei Männer waren bereits über einen längeren Zeitraum observiert worden, am vergangenen Dienstag sollen sie schließlich versucht haben, in Brandenburg an der Havel drei Lastwagen der Bundeswehr anzuzünden.
Nicht einmal Gerüchte kursieren
Eine Aktion der "mg"? "In den Akten, die wir jetzt haben, ist eine Verbindung zur 'militanten gruppe' nicht im Ansatz zu erkennen", sagt Sven Lindemann, Anwalt eines der Festgenommenen. Auch im Haftbefehl heißt es, es lägen keine polizeilichen Erkenntnisse auf eine Verbindung der Männer zur "mg" vor. Lediglich die Muster der Taten sollen die gleichen sein. Wer die "wahre 'mg'" sei, darüber wisse er nichts, sagt Anwalt Lindemann. Auch wer sich in der linken Szene umhört, bekommt immer die gleiche Antwort: Kontakt zu den Terroristen hat niemand, es kursieren nicht einmal Gerüchte, wer dahinter stecken könnte.
Selbst nach den jüngsten Verhaftungen könnte die "mg" weiterhin das Phantom bleiben, das sie bisher war. Ihre oft seitenlangen Bekennerschreiben sind rhetorisch aufgebauscht und wenden sich gegen Globalisierung, Kapitalismus oder "deutsche Sozialtechnokraten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft". Der intellektuelle Unterbau hat die Fahnder dazu veranlasst, den Berliner Stadtgeografen Andrej H., 36, als Verfasser der Pamphlete zu vermuten. Er sitzt nun ebenfalls in Untersuchungshaft.
In der radikalen linken Szene in Berlin gibt es durchaus Menschen, die mit den Aktionen der "militanten gruppe" sympathisieren. "Ich bin Antimilitarist. Wenn ein Auto der Bundeswehr abgefackelt wird, ist das durchaus eine Aktion, die ich gutheißen kann. Vor allem, weil bald die Entscheidung über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes ansteht", sagt Aktivist Tobias, der während des G-8-Gipfels für das linke Netzwerk "Dissent" aktiv war und seinen vollen Namen lieber nicht öffentlich nennen will.
G-8-Kater in der linken Szene
"Militante Gruppe, Salz in der Suppe", schallte es mittlerweile bei fast jeder linken Demonstration aus dem "schwarzen Block", in dem sich die Radikalsten formieren. Von den Anschlägen erfahre man zwar nur aus der Presse, sagt Aktivist Tobias, aber bei vielen Linksradikalen riefen sie durchaus ein zufriedenes Schmunzeln hervor. "Solidarische Kritik" sei hauptsächlich geübt worden, wenn etwa scharfe Patronen an Politiker verschickt wurden. Erschießungen anzudrohen, das gehe eben zu weit. In den Foren der linken Medienplattform indymedia sind auch Einträge zu finden, die sich direkt gegen Gewalt aussprechen: "Keine Solidarität mit der mg!! Wer Gewalt ausübt, kann niemals damit rechnen", schreibt ein Mitglied des Forums.
Die Szene kann sich von der Taktik der "mg" ein genaues Bild machen. In einem Text der linksradikalen Zeitschrift "Interim" ließ die Gruppe im Jahr 2006 verlauten: "Dabei ist größter Wert auf die Zielgenauigkeit bei Aktionsvorhaben zu legen. Wenn bspw. eine spezifische 'Nobelkarosse' flambiert werden soll, dann ist darauf zu achten, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft keine Kleinwagen geparkt sind und die weitere Umgebung (Wohnhäuser etc.) nach allem, was einzuschätzen ist, nicht tangiert wird. Ist man dessen nicht sicher, hat eine solche Aktion zu unterbleiben."
Ansonsten scheint die Szene noch unter einer Art G-8-Kater zu leiden: Man ist des Protestierens müde. Waren am 9. Mai bundesweit noch Tausende linker Demonstranten gegen die damaligen Razzien in der Szene auf die Straße gegangen, waren es nach den Festnahmen am Dienstag in Berlin 150, in Hamburg gerade einmal 50. "Ich möchte jetzt auch mal meinen Senf dazu abgeben: Ich war sehr enttäuscht von dieser Soli-Demo!", schreibt ein angesichts der bescheidenden Resonanz frustrierter Aktivist im Forum von indymedia.
Mitarbeit: Jan Müller