Brandstifter im Gegenlicht

Wer steckt hinter der "Militanten Gruppe", die seit Jahren in Berlin Menschen bedroht und Autos anzündet? Liegt der Schlüssel in einem soziologischen Begriff?

Gespenster gehen um im Land und zünden Autos an. So ist es zum Beispiel im Mai 2004 mit Fahrzeugen der Deutschen Telekom in Berlin-Wedding oder im September 2006 mit vier Dienstfahrzeugen des Ordnungsamtes Berlin-Reinickendorf geschehen. Während aber die Autos real brannten, blieben die Täter Gespenster. Der einzige Zusammenhang ließ sich über Bekennerschreiben herstellen, in dem eine "militante gruppe", abgekürzt: "mg", die Verantwortung übernahm. In den Briefen bezog sich die "mg" immer auch auf aktuelle politische Themen. Ansonsten aber blieb sie ein Phantom.

Jetzt hat die Polizei vor kurzem erstmals vier Personen festgenommen, die Mitglieder der "militanten gruppe" sein sollen. Verdächtigt werden sie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Während aber die drei Beschuldigten, Florian L., Oliver R. und Axel H., dringend verdächtig sind, in den frühen Morgenstunden des 31. Juli 2007 in Brandenburg/Havel versucht zu haben, drei Lastkraftwagen der Bundeswehr in Brand zu setzen, wird Andrej H., ein Stadtsoziologe der Berliner Humboldt-Universität, der "intellektuellen Täterschaft" beschuldigt, und das macht den Fall brisant. Es geht in der Anklage der Bundesanwaltschaft nicht um Brandstiftung, sondern um die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Die "militante gruppe" ist erstmals im Juni 2001 aktiv geworden. Damals hatten Mitglieder der Gruppe dem Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff, und den Repräsentanten der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft Briefe zugeschickt, in denen sich - wie im schlechten Mafiafilm - scharfe Munition befand. Im beiliegenden Briefchen wurde die Höhe der Entschädigungszahlungen beanstandet. Seitdem hat sich die "mg" zu 25 Brandanschlägen bekannt. Dabei entwickelte sie eine besondere Vorliebe für Autos und Autohäuser.

Gespenster-Dialog

Die "mg" bezeichnet sich selbst als "klandestine Gruppe" im revolutionären Kampf, die auf einer "sozialrevolutionären antiimperialistischen kommunistischen Grundlage" agiert. Als Fernziel gaben die Dunkelmänner die Gründung einer Partei an. Das alles liest sich reichlich obskur, Jürgen Kaube sprach in dieser Zeitung von der "Diktatur des Antiquariats!". Und so ist auch der Ruf der "mg" unter den vielen zivilen Linken Berlins.

Drei Anfragen bei Bekannten, die sich in linken Theoriekreisen auskennen, wer oder was sich hinter der "mg" verberge, provozierten nur entsetzte Reaktionen. Sie reichten von Erleichterung darüber, dass man zum Glück noch nie einen dieser ominösen Idioten getroffen habe, bis zur säuerlichen Anmerkung, dass man ab einem bestimmten Alter wissen müsse, wo man lebe, und da sei es nun mal zu Recht verboten, Autos abzufackeln und das auch noch für ein Argument zu halten.

Die "mg" blieb auch nach ersten Recherchen bloß schemenhaft, was meinen Wunsch nach einem Treffen nur beflügelte. Über viele Umwege war es dann tatsächlich gelungen, das Gespenst zu treffen. Ein dunkler Hinterraum, nur ein paar Lichtstrahlen drangen durch die kaputten Stellen einer Jalousie. Ein Phantombild, das war der erste Gedanke, könnte ich aus den Eindrücken in dem diffusen Licht nicht rekonstruieren. Vielleicht ist es das Bezeichnendste an dieser Art von Treffen, dass man sofort in Kategorien der Verfolgung denkt. Wie früher, wenn man am Abend "Aktenzeichen XY" gesehen hatte und am nächsten Morgen auf dem Fahrradweg in die Schule hinter jedem Busch einen bösen Mann vermutete. Es fiel mir dann auch ein großer Stein vom Herzen, als das Gespenst gleich meinte, es habe "nicht gezündelt", habe also selbst keine Autos in Brand gesteckt. Und das Einzige, was es sicher sagen könne, sei, dass die Polizei - das Gespenst benutzte einen anderen Ausdruck - Leute, die gezündelt haben, auf Schritt und Tritt verfolge. Das heißt, es gibt Brandstifter, die frei und der Polizei bekannt sind und deren Umfeld observiert wird. Das war eine unheimlich beruhigende Auskunft, denn so schien mir gesichert, dass mein Gespenst gerade nicht observiert werde und damit auch ich inkognito bleiben könne. Allerdings schossen mir sofort tausend Möglichkeiten durch den Kopf, wo ich den, von dem ich nicht weiß, ob er oder sie, was auch immer, getan hat, getroffen haben und so ins Visier der Polizei geraten sein könnte. Ansonsten gab das Gespenst aber keine weiteren Auskünfte. Von einer Organisation wisse es nichts, einen Kader gebe es nicht. Die "mg" blieb ein Phantom, und als das Gespenst mir dann zu verstehen gab, dass es mich von früher kenne - ich hatte als Student jahrelang als Aktivist des Nachtlebens als Barmann gearbeitet -, löste sich die Spannung, und es gab keinen Grund mehr, ihm nicht zu glauben. Trotzdem meinte ich, wieder draußen auf der Straße im Sonnenlicht, sofort ein Geräusch zu hören, das klang wie das Zuschnappen von Handschellen.

Die kriminelle Energie der "mg" fließt zu beträchtlichen Teilen in ein sehr effektives Vertuschungs- und Verdunklungssystem, so dass die Behörden gegenwärtig einen eher hilflosen Eindruck machen.

Die Bundesanwaltschaft bewegt sich in der Konstruktion ihrer Anklage auf sehr dünnem Eis und machte sich in den Augen vieler Intellektueller einer spekulativen Vermischung von theoretischer Kritik mit krimineller Praxis verdächtig: Dem Soziologen Andrej H. wird nicht die direkte Teilnahme an einer Tat vorgeworfen, sondern dass er in seinen veröffentlichten Schriften "Schlagwörter und Phrasen" verwende, die auch in den Bekennerschreiben der "mg" auftauchten. Einer dieser Begriffe ist "Gentrifikation". Das ist eine erschreckend dürftige Begründung, denn der Begriff - er bezeichnet die Aufwertung und Verteuerung bestimmter Stadtteile und die damit einhergehende Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung - und die damit verbundenen Forschungen sind so verbreitet, dass, wenn sein Gebrauch unter Strafe gestellt wird, man beim nächsten Stadtsoziologenweltkongress die Mehrzahl der Teilnehmer verhaften müsste. Die Energie, die auf die Verfolgung von Begriffen verwendet wird, dient, so steht zu befürchten, nicht zur effektiven Verbrechensbekämpfung, die Gespenster dürften sich schlapplachen.

Darum hat sich eine Gruppe prominenter Intellektueller und Akademiker in einem offenen Brief an die Bundesanwaltschaft gewandt, in dem es heißt: "Die Bundesanwaltschaft bedroht durch die Anwendung des § 129 (in dem es um die Bildung einer terroristischen Vereinigung geht) die Freiheit der Forschung und Lehre ebenso wie gesellschaftliches Engagement." Unterzeichnet haben neben französischen Intellektuellen und ehemaligen polnischen Oppositionellen der Solidarnosc mit Richard Sennett und Mike Davis zwei der angesehensten amerikanischen Soziologen, deren Forschungen zur Stadtentwicklung und -geschichte auch das Arbeitsgebiet von Andrej H. berühren.

Vor der Eskalation

H. hat sich nach dem Mauerfall vor allem mit der Stadtentwicklung im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg beschäftigt. Dabei arbeitete er nicht nur wissenschaftlich, sondern engagierte sich auch in der Mieterberatung und in Bürgerbewegungen, die versuchten, die Stadtteilerneuerung für die bestehenden Sozialstrukturen behutsam zu regeln. Was auch immer noch an Indizien oder Verdachtsmomenten gegen Andrej H. vorliegt, man hat ihn nie beim Autoanzünden angetroffen, und bloße Aufsätze können in einem Rechtsstaat nicht die Grundlage einer Verurteilung sein. Solch ein ungeschicktes Vorgehen verschafft den geheimen Kriminellen der "mg" bloß die Genugtuung, den Rechtsstaat planlos umhertapsen zu sehen, und nährt ihr Bedürfnis nach narzisstischer Befriedigung, das die amerikanische Terrorforscherin Louise Richardson als Hauptmotiv von Terroristen beschrieben hat.

Eine Gruppe, die sich am Obskurantismus erfreut, um unregelmäßig irgendwo Kraftwagen zu zerstören, ist leicht zu überschätzen. So sehr ein kluges und zielgerichtetes Vorgehen der Bundesanwaltschaft mit dem Wechsel von der philologischen hin zur kriminalistischen Methode beginnen müsste, so wenig dürfen sich aber die intellektuelle und undogmatische linke Szene, Gentrifikationsforscher und andere zum Club der klammheimlichen Parteigänger der antiquarischen Phantome mausern. Sinnvoll wäre es, eine Berliner Version der von Richardson empfohlenen Gegenstrategie gegen Terrorgruppen, einer Mischung aus Polizeiarbeit, Geduld und konsequenter, breiter öffentlicher Verurteilung, zu entwickeln.

Es gab dann noch ein zweites Treffen mit einem schon älteren Veteranen der Hausbesetzerbewegung, dieses Mal am helllichten Tag in einem Park. Genaueres konnte er nicht zu Organisations- und Aktionsformen der "mg" sagen, was ihn lächelnd fragen ließ, ob es sie überhaupt gebe. Ob aber, wie er meinte, junge Leute tatsächlich intellektuelle Einflüsterer brauchten, um aktiv zu werden, sei doch zu bezweifeln. Dahinter stecke eher die Projektion der Behörden, dass so eine Organisation auch "ein Gehirn, einen Chef brauche". Und solch eine Projektion kann schlimme Folgen haben, denn wer sich in wahnhafter Selbstüberschätzung von den Behörden zum Doktor Mabuse promoviert fühlt, vollzieht auch gerne den Schritt zu entsprechend dramatischeren Anschlägen, dann wandelt sich das Phantom zum Vampir.

CORD RIECHELMANN