Durchsuchung ohne Beschluß
Ein weiteres Mal haben am Sonntag Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) die Wohnung des Berliner Soziologen Andrej H. durchsucht, gegen den die Bundesanwaltschaft (BAW) wegen »Bildung einer terroristischen Vereinigung« ermittelt.
Nach Angaben der Anwältin von H. ,Christina Clemm, geschah dies ohne einen Durchsuchungsbeschluß. Objekt der Begierde der Fahnder sei ein schwarzer Beutel gewesen, »in dem sich Ermittlungsakten befanden«. Die Beamten hätten die Unterlagen durchgesehen und nach handschriftlichen Anmerkungen gesucht. »Das ist selbstverständlich illegal« kritisierte Clemm das Vorgehen in einer Presseerkärung. »Eine stärkere Einschränkung der Rechte auf faire Verteidigung ist kaum vorstellbar«.
Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft räumte auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP ein, daß die Beamten ohne Durchsuchungsbeschluß agierten. Die Maßnahme sei auf mündliche Anordnung des zuständigen Richters am Bundesgerichtshof (BGH) erfolgt. Aufgrund »konkreter Anhaltspunkte« habe die »Aussicht« bestanden, weitere Beweismittel zu finden. Dies sei aber nicht der Fall gewesen.
Dem Sozialwissenschaftler Andrej H. und sechs weiteren Männern wird die Mitgliedschaft in einer »Militanten Gruppe« vorgeworfen. Er und drei weitere Beschuldigte wurden am 31. Juli inhaftiert. Diese waren nach Polizeiangaben bei dem Versuch festgenommen worden, Fahrzeuge der Bundeswehr anzuzünden.
Die Anwältin stellte das Vorgehen der Behörden in einen Zusammenhang mit einer im Laufe der Woche zu erwartenden Entscheidung des dritten Senats des Bundesgerichtshofs. Andrej H. war vergangene Woche aus der Untersuchungshaft in Berlin-Moabit entlassen worden. Zwar besteht der Haftbefehl gegen ihn weiter, doch stimmte der zuständige Ermittlungsrichter einer Haftverschonung gegen Zahlung einer Kaution und Meldeauflagen zu. Die Bundesanwaltschaft legte daraufhin Widerspruch ein. Nun stehe sie sehr unter Druck und versuche »mit allen Mitteln, Gründe für ihre Beschwerde gegen die Haftverschonung« zu finden, so die Anwältin. Generalbundesanwältin Monika Harms hatte den Haftbefehl und das Ermittlungsverfahren gegen Andrej H. in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gerechtfertigt. »Wenn ein Wissenschaftler sich in den Dienst kriminell agierender Leute stellt«, erklärte die Chefanklägerin der Republik, »dann ist das genausowenig ein neutrales Verhalten wie im Fall des Bankmitarbeiters, der mit der Abwicklung eines Transfers nach Luxemburg bei der Steuerhinterziehung hilft.« Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erlasse keine Haftbefehle »nur aufgrund von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, wie es in manchen Medien unterstellt wurde«, verteidigte Harms ihr Vorgehen. »Natürlich« gebe es »konkrete Anhaltspunkte für konspirative Verbindungen zwischen diesen Personen« – Beweise gibt es also offenbar nicht.
Gegen die Inhaftierung der vier Männer und das Verfahren nach Paragraph 129 a hat sich internationaler Protest entwickelt. Neben prominenten Wissenschaftlern wie den US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett und Mike Davis haben inzwischen etwa 5000 Menschen offene Briefe an die BAW unterzeichnet, die das Ermittlungsverfahren kritisieren. Es sei auch diesem »ständig wachsenden Druck aus dem In- und Ausland zu verdanken, daß Andrej vorläufig wieder in Freiheit ist«, erklärte Volker Eick, einer der Sprecher des »Bündnisses für die Einstellung des 129a-Verfahrens«. Das Bündnis fordert die unverzügliche Freilassung der drei verbliebenen Inhaftierten.