„Wir müssen uns beeilen“
Frau Harms, in Afghanistan mehren sich Attentate auf Deutsche und Entführungen von Bundesbürgern. Zugleich erfahren wir, dass Islamisten aus Deutschland in Pakistan zu Terroristen ausgebildet werden. Wächst die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus auch für Deutschland?
Ob die Gefahr weiter gewachsen ist, weiß ich nicht - jedenfalls nehmen wir sie stärker wahr. Wir haben ja seit Jahren eine Bedrohung. Und seit Jahren sind Leute von hier aus in Ausbildungslager nach Afghanistan gegangen und wieder zurückgekommen. Nicht jeder, der an diesem „Tourismus“ teilgenommen hat, wird hier zum Terroristen. Ich kann aber den Leuten nicht hinter die Stirn schauen. Wann ist einer bereit, etwas zu tun? Wann bekommt er einen Auftrag? Diese Situation macht mir Sorge. Denn es sind Leute, die in Deutschland unauffällig gelebt haben, die wir oft eingebürgert haben und die dann zu fanatischen Islamisten werden.
Was können Sie tun?
Wir sehen unsere Aufgabe darin, konsequent jedem Verdacht auf terroristische Planungen nachzugehen und entsprechende Straftaten hart zu verfolgen. Dies kann unter Umständen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten Eingriffe in Freiheitsrechte erfordern, die auch hinterfragt werden können. Über die etwaigen Instrumente erleben wir ja derzeit eine heftige Debatte.
Innenminister Schäuble wird vorgeworfen, er überziehe mit seinen Vorschlägen. Ist das berechtigt?
Ich möchte mich nicht einmischen in die Debatte zwischen dem Justiz- und dem Innenministerium. Ich will aber auf eines hinweisen: Herr Schäuble hat Fragen aufgegriffen, die im Kompetenzbereich des Bundeskriminalamtes nach der Föderalismusreform noch offengeblieben waren. Manches ist dabei sicher in recht schneller Folge angesprochen worden, um zeitnah einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen zu können. Doch sicher ist es Aufgabe eines Innenministers, auf Gefahren hinzuweisen, seine Schlüsse zu ziehen und daraus entsprechende Vorschläge zu entwickeln.
Wie stehen Sie zum Instrument der Online-Durchsuchung?
Wir müssen uns beeilen, um in der technischen Entwicklung auf Augenhöhe mit den Straftätern zu kommen. Die elektronische Entwicklung geht so schnell voran, dass wir ansonsten mit dem eher schwerfälligen Instrumentarium der Strafprozessordnung weit abgeschlagen werden. Wir haben bisher kein Problem mit der Möglichkeit einer Telefonüberwachung, wenn ein Verdacht auf bestimmte Straftaten besteht und es einen richterlichen Beschluss gibt. Nun telefonieren Straftäter aber nicht mehr nur in herkömmlicher Weise, sondern kommunizieren zunehmend verschlüsselt übers Internet, so dass wir an die Informationen nicht mehr herankommen. Deshalb sage ich: Wir müssen bei schwersten Straftaten eine solche Möglichkeit - selbstverständlich unter Richtervorbehalt - haben, und zwar auch im Bereich der Strafverfolgung, nicht lediglich im präventiv-polizeilichen Bereich.
Geht das überhaupt technisch?
Sicher ist die Online-Durchsuchung mit einem großen technischen Aufwand verbunden. Im Übrigen wird ja nicht daran gedacht, flächendeckend alle möglichen Computer auszuspähen. Vielmehr wären Online-Durchsuchungen nur in einer geringen Anzahl von Fällen und unter engen rechtlichen Voraussetzungen möglich und erforderlich. Die verbreitete Sorge, die Ermittlungsbehörden wollten in jeden PC hineinschauen, ist völlig unbegründet.
Nicht nur der islamistische Terrorismus beschäftigt Sie. Gibt es wieder einen bedrohlichen Linksextremismus in Deutschland?
Es gab die ganze Zeit Linksextremismus. Doch im Vergleich zur RAF haben die Linksextremisten moderater agiert. Wir haben aber in den letzten Jahren rund 25 Anschläge der terroristischen Vereinigung „militante gruppe“ zu verzeichnen, die zwar „nur“ gegen Sachen gerichtet waren; auch solche Anschläge rufen indes Verunsicherung hervor, egal, ob es um Brandanschläge auf ein Finanzamt oder eine Sozialbehörde geht. Der Staat soll vorgeführt werden als einer, der solchem Treiben hilflos ausgeliefert ist. Das darf man nicht verharmlosen. Es sind keine Dummenbubenstreiche, wenn Bundeswehrfahrzeuge angezündet werden.
Nun sind vier mutmaßliche Mitglieder der „militanten gruppe“ verhaftet worden, unter ihnen ein Soziologe der Humboldt-Universität. Man wirft Ihnen vor, Sie hätten überzogen.
Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erlässt keine Haftbefehle nur aufgrund von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, wie es in manchen Medien unterstellt wurde. Auch nicht für den freien Zugang zu Bibliotheken. Natürlich gibt es konkrete Anhaltspunkte für konspirative Verbindungen zwischen diesen Personen. Losgelöst vom konkreten Fall: Wenn ein Wissenschaftler sich in den Dienst kriminell agierender Leute stellt, dann ist das genauso wenig ein neutrales Verhalten wie im Fall des Bankmitarbeiters, der mit der Abwicklung eines Transfers nach Luxemburg bei der Steuerhinterziehung hilft. Im Übrigen hat der Ermittlungsrichter den Haftbefehl gegen den Soziologen gegen Geld- und Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt. Aber aufgehoben ist er nicht. Im Gegenteil: Der Ermittlungsrichter hat bestätigt, dass der Beschuldigte dringend verdächtig ist, Mitglied der „militanten gruppe“ zu sein.
Wir erleben eine heftige Debatte über die RAF. Wie weit sind Ihre Ermittlungen zum Mordfall Buback?
Wir haben ein Ermittlungsverfahren gegen das ehemalige RAF-Mitglied Stefan Wisniewski eingeleitet, weil der frühere RAF-Mann Peter Jürgen Boock behauptet hatte, Wisniewski sei bei der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback beteiligt gewesen. Wir haben dann eine Diskussion erlebt, die ich unerträglich fand. Jeder glaubte, irgendwelche „Teilerkenntnisse“ über die Medien zum Besten geben zu müssen. Wir mussten Zeugen, ja sogar die möglicherweise Tatverdächtigen vor der Öffentlichkeit schützen. Wir haben nun die Urteile herausgegeben; das war mit großem Aufwand verbunden, weil etwa Klarnamen geschwärzt werden müssen. Die Ermittlungen dauern an. Und wir sollten stets bedenken, dass auch ehemalige Mitglieder der RAF ein Interesse daran haben können, jemanden zu beschuldigen, der an den Taten nicht beteiligt war.
Hat die Bundesanwaltschaft die RAF zu sehr als Kollektiv behandelt?
Nein. Die Bundesanwaltschaft und die Senate haben sich damals bemüht, die individuellen Tatbeiträge aufzuklären. Aber die RAF-Mitglieder haben nichts zur Sache gesagt, sondern nur politische Erklärungen abgegeben. Zwar hat man den Schützen im Mordfall Buback nicht ermitteln können. Aber man konnte ermitteln, wer in die Vorplanung und in den Ablauf des ganzen Geschehens eingebunden war. Dazu gibt es den Tatbestand der Mittäterschaft. Die Senate haben damals sehr sorgfältig gearbeitet. Ich wehre mich nachdrücklich gegen Vorwürfe, der Sachverhalt sei nicht ausreichend aufgeklärt worden.
Die dritte Generation der RAF hat zehn Tote auf dem Gewissen. Keiner dieser Morde ist aufgeklärt. Warum hat die Bundesanwaltschaft so wenig Erfolg gehabt?
„Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn“, heißt ein Sprichwort. Die dritte Generation ist sehr konspirativ vorgegangen. Viele Verhaltensweisen, die in der ersten und zweiten Generation noch Ermittlungsansätze lieferten, wurden geändert. Und leider hat sich keiner aus der RAF dazu durchringen können, uns zu sagen, was da passiert ist. Immerhin wurden zwei Mitglieder der dritten Generation verurteilt, nämlich Eva Haule und Birgit Hogefeld. Aber Sie haben recht: Es ist ein eher deprimierendes Ergebnis.
Gibt es etwas, was wir aus der Auseinandersetzung mit der RAF für heute lernen können?
Ich glaube, dass dieser Abschnitt unserer Geschichte abgeschlossen ist. Aber es gibt auch heute noch Tendenzen in der Gesellschaft, Gewalt gegen Sachen zu rechtfertigen oder zumindest zu verzeihen und nicht als strafbares Unrecht anzusehen. Dass man diese Entwicklung im Auge behalten muss, damit es nicht wieder zur Gewalt gegen Menschen umschlägt, das kann man schon aus der Geschichte der RAF lernen.
Das Gespräch führten Reinhard Müller und Markus Wehner.