Unter Verdacht - Andrej H., ein Terrorist?

Soziologen müssen wie “Läuse im Pelz” sein: Kritisch und hartnäckig, wenn es darum geht, soziale Missstände aufzuklären und die gesellschaftliche Chancengleichheit stets im Blick behalten. So gehört auf einer Einführungsveranstaltung für angehende Sozialwissenschaftler an der Universität von Amsterdam.

Andrej H., einem Soziologen der Berliner Humboldt-Universität, ist diese kritische Grundhaltung nun zum Verhängnis geworden. Völlig überraschend wurde der 36-Jährige am 1. August wegen des Verdachts der “Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung” festgenommen und sitzt seitdem in einer vier Quadratmeter großen Zelle in U-Haft.

Dem Forscher, der sich vor allem mit stadtsoziologischen Themen beschäftigt und seine Dissertation über die soziale Aufwertung des Stadtteils Prenzlauer Berg geschrieben hat, wird zur Last gelegt, zu den Drahtziehern und intellektuellen Ideengebern der terroristischen Vereinigung “militante gruppe” (mg) zu gehören. In älteren Bekennerschreiben der linken Gruppierung waren teilweise Schlagworte gefunden worden, die H. in einer wissenschaftlichen Abhandlung von 1998 verwendet hatte. Es geht unter anderem um Begriffe wie “Gentrification” und “Reproduktion” - zumindest ersterer ist in der Stadtsoziologie durchaus gängig.

Dieser auf einer ungerichteten Google-Recherche basierende Anfangsverdacht genügte, den Wissenschaftler mittels Stafgesetzbuch-Paragraf §129a von September 2006 an systematisch überwachen zu lassen. Die Dokumentation dieser Beschattung füllt 29 Leitz-Ordner und erhält offenbar keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass H. auch für die “militante gruppe” schrieb.

Einen Haftbefehl gegen den Vater dreier Kinder verhängte die Bundesanwaltschaft schließlich, nachdem Ende Juli in Brandenburg drei Männer versucht hatten, Fahrzeuge der Bundeswehr in Brand zu setzen: Einer der Täter hatte sich mehrere Monate vorher zwei Mal mit Andrej H. getroffen - Verabredungen, über deren Inhalt die ermittelnden Stellen nichts genaueres herausgefunden hatten, die aber fortan als “konspirative Treffen” gehandelt wurden.

“Kritische Wissenschaft mit einem Bein im Gefängnis”

Am Institut für Sozialwissenschaften reagierte man nach der Verhaftung prompt: H.s Doktorvater, Hartmut Häußermann, organisierte mit Kollegen und Studenten eine Solidaritäts-Aktion für den Inhaftierten, die einige öffentliche Aufmerksamkeit erzielte. In einem offenen Brief an Generalbundesanwältin Monika Harms forderten sie die Freilassung Andrej H.s. und mahnten, dass “kritische Forschung in Verbindung mit sozialem Engagement nicht automatisch zum terroristischen Tatbestand erklärt werden” dürfe.

Vor allem gegen eine “Konstruktion der intellektuellen Täterschaft” verwahrten sich die Wissenschaftler. Die Bundesanwaltschaft hatte argumentiert, der Soziologe sei aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten und seines freien Zugangs zu Bibliotheken in der Lage, einer terroristischen Vereinigung eine ideologische Argumentationsgrundlage zu liefern.

“Solche Argumente lassen jede wissenschaftliche Tätigkeit als potentiell kriminell erscheinen”, heißt es in dem offenen Brief, den mittlerweile 2572 Personen unterzeichnet haben. Nichts, was Soziologen auf sich sitzen lassen können. Wer Grund- und Menschenrechte im deutschen Rechtsstaat für essentiell hält, dem dürften sich angesichts Andrej H.s Geschichte die Nackenhaare sträuben. Die Laus kann gar nicht anders, als sich fest zu beißen.

Nachtrag: Der Unterstützer-Kreis von Andrej H. meldet soeben, dass H. heute gegen Kaution und unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist. Die Bundesanwaltschaft habe mitgeteilt, dass sie gegen diese Entscheidung in Beschwerde einlegen werde. Es sollen weiter Unterschriften gesammelt werden, bis das Verfahren eingestellt wird.