Karlsruhe: Andrej frei. Wo bleiben die anderen drei?

Gegen Kaution und unter Auflagen ist Andrej. H. aus der Untersuchungshaft vorläufig entlassen, nicht ohne die Mitteilung, dass der Haftbefehl nach 129a sofort wiederbelebt werden kann. Die Bundesanwaltschaft will gleich an die nächste Instanz, sich gegen die Leichtfertigkeit des Untersuchungsrichters zu verwahren. Einen praktizierenden Terroristen zu grenzenlosen Kontakten nach außen freigeben!

Schon von daher kein Grund zur Entwarnung. Es bleiben die drei anderen, die man angeblich beim Militärlastwagenzündeln erwischt hat. Um es noch einmal zu sagen: es geht nicht darum, dass Intellektuelle ihren Mit-Intellektuellen heraushauen, sondern dass dem Staat ein Instrument aus der Hand geschlagen wird, mit dem er beliebig jeden Willen zur aktiven Veränderung kriminalisieren kann.

Sennet hat in der Begründung für seinen und anderer Profs Protest gegen die Inhaftierung in der Begründung mit Recht ausgeführt, dass nicht nur in Deutschland, sondern allenthalben mit beispielloser Brutalität zugeschlagen wird, nicht etwa gegen Al Kaida oder sonstige Phantome, sondern gegen alles, das aktiv und unbequem werden könnte. Die Vorbeugung steht überall im Vordergrund.

Geschichtlich beruht Paragraph 129a natürlich auf den Sondermaßnahmen gegen die RAF 1976. Aus der gezielten Prozess-und Fahndungserleichterung gegen die RAF wurde durch die Gesetzesform eine “für immer” wirksame und jederzeit vorrätige Waffe.

Der Willkürcharakter des Paragraphen liegt auf der Hand. Wie Kirchheimer immer wieder betonte, ist die Konstruktion des Rechtsstaats nicht erfunden, um Gerechtigkeit zu schaffen, sondern Berechenbarkeit. Jeder potentielle Täter- so die Theorie- soll vor der Tat berechnen können, was ihm blüht. Und sich darauf einstellen. Ganz offenbar gibt es aber kein Mittel, vorauszuwissen, was die Obrigkeit nachträglich als “terroristische” Handlung im Rahmen einer entsprechenden “Vereinigung” definieren wird. Vergleiche damit Diebstahl, definiert als “Wegnahme einer fremden beweglichen Sache”. Was fremd, was beweglich, was Sache ist, weiß jeder schon vorher. Dass Brandstiftung- möglicherweise als Mittel im Kampf gegen wachsenden Militarismus gedacht- nachträglich Terror sein wird, kann niemand vorauswissen.

Wie erst jetzt ganz bekannt wurde, ist das ganze Arsenal von 1977 mit dem Paragraphen zusammen wieder aufgeboten worden. Totale Einzelhaft, Trennscheibe beim Kontakt mit Besuchenden, alles, was damals eingeführt worden war. Andrejs kleiner Sohn durfte ihn keine Sekunde berühren. Das verschlug ihm die Sprache.

Paragraph 129a muss weg! Seine neue Ausweitung und Anwendung steht im engsten Zusammenhang mit den weiteren polizeilichen und rechtlichen Maßnahmen, wie sie vor Heiligendamm zur Anwendung kamen ( Seine Anwesenheit in Heiligendamm wurde Andrej H. übrigens besonders vorgeworfen) Durchsuchung und Beschlagnahme des Computers einer Organisation in Bonn gehören genau in diesen Zusammenhang: Der zugrundeliegende Vorwurf: Planung einer Straftat. Und worin soll die bestanden haben? Offenbar befinden sich auf dem Computer Hinweise darauf, wie bei massenhaften Blockaden Polizeiketten unterlaufen werden können. ( Wink vor allem an all diejenigen, die sich vor vier Wochen erbittert vom Schwarzen Block distanzierten, während Massenblockade als Friedenstat verherrlicht wurde. Für den Staat gibt es keine Friedenstat, sondern unterschiedslos Unterdrückung von “Sachbeschädigung” ( Zerstörungen am Zaun) oder “Vermummung” oder was auch immer).

Wer weiß,dass an den in Heiligendamm entwickelten Demonstrationsformen festgehalten werden muss, der muss sich konsequenterweise gegen das gesamte Arsenal juristischer und polizeilicher Repression wenden. Sonst kann er es gleich bei einer Voranmeldung beim “Aufstand der Anständigen” bewenden lassen.

Wie bei der Demonstration am Mittwoch vor dem Moabiter Knast mit Recht gesagt wurde: es darf jetzt nicht darum gehen, sich erst einmal beim Staat die Eintrittskarte zum Protestieren zu erbetteln, indem man “Gewalt in jeder Form, auch gegen Sachen” entschieden ablehnt, vor man bescheiden seinen juristischen Einwand äußert. Die Frage, wie man dem Einsatz der neuen Wehrmacht in aller Welt, vor allem in Afghanistan, am wirksamsten schadet- ihr so umfassend wie nötig entgegentritt- muss strikt intern beantwortet werden. Sie geht den Staat nichts an.

Gerade deshalb ist jede Distanzierung innerhalb der gegenwärtigen Kampagne gefährlich. Es geht um gemeinsame Bemühung um Entwaffnung sämtlicher Tendenzen des Staates, mit denen er alle Widerständigen bedroht, seien es polizeilich-juristische, seien es die Waffen im eigentlichen Sinn selbst: sie müssen ihm aus der Hand geschlagen werden.

Das wird nicht schnell geschehen. Aber daran muss als Minimum festgehalten werden.

Quelle: 3sat
AutorIn: fg