Die Akten gehören öffentlich gemacht

Der Soziologe Andrej H. wartet auf Rehabilitierung. KOMMENTAR VON UWE RADA

Der Soziologe Andrej H. ist auf freiem Fuß: Gegen die Zahlung einer Kaution durfte er am Mittwoch die JVA Berlin-Moabit verlassen. Das ist die erfreuliche Nachricht. Die wenig erfreuliche lautet: Der dringende Tatverdacht, er sei Mitglied der terroristischen Vereinigung "militante gruppe" (mg), besteht laut Bundesanwaltschaft weiter. 

Nicht, dass nicht auch ein Soziologe in der Lage sein könnte, Brandsätze zu zünden. Aber das Hauptindiz gegen H. besteht nach wie vor darin, in seinen Publikationen "Phrasen" und "Schlagwörter" verwendet zu haben, wie sie auch die "mg" in ihren Bekennerschreiben benutzt. Ein ähnlicher Vorwurf wird auch einem Politologen gemacht, der ebenfalls verdächtigt wird, der "mg" anzugehören.

Als Mitarbeiter eines Forschungszentrums, so die Begründung, stünden ihm Bibliotheken zur Verfügung, die er "unauffällig nutzen kann", um zu bestimmten Themen zu recherchieren. Tausende Wissenschaftler haben dieses Konstrukt angeprangert. Zu Recht: Denn wird der Terrorismusparagraf 129a StGB auf eine "intellektuelle Urheberschaft" ausgeweitet, ist künftig jeder verdächtig, der in Aufsätzen oder Büchern willkürlich inkriminierte Begriffe verwendet.

So erfolgreich der Protest der scientific community auch für die Freilassung war. Der Terrorismusvorwurf gegen Andrej H. und seinen Kollegen bleibt im Raum, selbst wenn am Ende des Ermittlungsverfahrens nichts mehr von den Vorwürfen bleibt, und wird in den Suchmaschinen des Internet weiter leben. Eine umfassende Rehabilitierung kann es deshalb nur geben, wenn Beschuldigte wie Anwälte die Akten und das ihnen zugrunde liegende Konstrukt öffentlich machen. Dann kann jeder, ob Kollege, Auftraggeber oder Journalist, sich ein eigenes Bild davon machen, was Terrorverdacht hierzulande heißt - und was nicht.

Natürlich entspricht eine Veröffentlichung der Akten nicht dem Gesetz. Dafür steht es ganz im Geist der friedlichen Revolution in der DDR. Macht alle Stasi-Akten öffentlich, hieß es damals. Heute sollte es auch für die Bundesanwaltschaft gelten.