Strafjustiz statuiert ein Exempel - hohe Haftstrafen für linke Kriegsgegner
Drei Berliner Antimilitaristen von heute an für drei bzw. dreieinhalb Jahre im Gefängnis
Wenn die eigentliche Straftat nicht genug hergibt, muß das politisch begründete Organisationsstrafrecht nachhelfen
Am heutigen Freitag, dem 8. Juli 2011, müssen sich die drei Berliner Antimilitaristen Axel H., Florian L. und Oliver R. in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Hakenfelde einfinden. Sie waren als Mitglieder einer sogenannten "militanten gruppe" (mg) im Oktober 2009 vom Berliner Kammergericht zu Freiheitsstrafen von drei bzw. dreieinhalb Jahren verurteilt worden, die sie nun, nachdem der Bundesgerichtshof die Urteile bestätigt hat, antreten müssen. Allem Anschein nach hatten es die zuständigen Gerichte und Justizbehörden eilig, diese drei Kriegsgegner hinter Schloß und Riegel zu bekommen, was die Vermutung, hier solle ein Exempel statuiert werden, indem man potentielle NachfolgetäterInnen durch die Höhe der verhängten Urteile abgeschreckt, erhärtet.
Die eigentliche Straftat, die den drei zur Last gelegt wurde, liegt inzwischen vier Jahre zurück. In der Nacht vom 30. auf den 31. Juli 2007 sollen die wenig später Festgenommenen Brandsätze auf Lastkraftwagen der Bundeswehr angebracht und entzündet haben. Wegen ihrer frühzeitigen Entdeckung blieb es bei dieser Tat, juristisch gesprochen, bei dem Versuch einer Brandstiftung. Das Berliner Kammergericht fügte diesem Vorwurf noch die versuchte Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel hinzu, doch weitaus wesentlicher für die später verhängten Urteile dürfte die Hinzuziehung des Paragraphen 129 StGB (kriminelle Vereinigung) gewesen sein. Dieser Straftatbestand ist im engeren Begriffsverständnis gar keiner, weil nicht eine konkrete Straftat mit ihm geahndet werden soll, sondern die wie auch immer geartete Zugehörigkeit (der Strafrahmen reicht von ihrer Gründung, der Mitgliedschaft bis hin zur Unterstützung oder Werbung) zu einer aus mindestens drei Personen bestehenden Organisation, deren Zweck aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden vorrangig in der Begehung von Straftaten besteht.
In dem umfangreichen und langjährigen Strafverfahren gegen die drei der mg-Mitgliedschaft nun Verurteilten ging es nicht unwesentlich darum, die Existenz der "militanten gruppe" sowie die Beteiligung der Angeklagten nachzuweisen. Dies ist aus Sicht der Verteidigung keineswegs gelungen, da für den für die Anklage relevanten Zeitraum von 2005 bis 2007 nicht einmal schlüssig nachgewiesen werden konnte, daß die mg dauerhaft aus drei Personen bestanden habe. Diese und alle weiteren kontroversen rechtlichen Fragen, die in dem Verfahren vor dem Berliner Kammergericht zwar von der Verteidigung angesprochen, aber keineswegs abschließend geklärt wurden, sind, abermals juristisch gesprochen, nicht mehr relevant, da das Urteil durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die von den Angeklagten eingelegte Revision abzulehnen, rechtskräftig geworden ist.
Der rechtliche Instanzenweg sieht nun keine weitere Möglichkeit mehr vor, die seitens der Angeklagten bzw. Verurteilten und ihrer Rechtsvertreter vorgebrachten Argumente noch einmal auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen zu lassen. Der Bundesgerichtshof hatte die Revision bereits am 3. Mai dieses Jahres abgelehnt, doch erst vor kurzem den Betroffenen mitgeteilt. Die Ladung zum Haftantritt folgte auf dem Fuße. Die Rechtsanwälte der Betroffenen legten sofort Rechtsmittel ein (Anhörungsrüge und Gegenvorstellung). Da diese Einsprüche jedoch keine aufschiebende Wirkung haben, ließ sich der heutige Haftantritt weder aufheben noch hinauszögern. Gleiches gilt für die Verfassungsbeschwerde, die die Anwälte der Betroffenen gegen die BGH-Entscheidung vorbereiten. Für die Betroffenen und ihre Unterstützer kam diese Entwicklung nicht überraschend. Arthur Schüler, Sprecher des Berliner Einstellungsbündnisses [1], erklärte in einem Interview mit der jungen Welt [2] zu der Frage, ob die Haltung des BGH, an der Prozeßführung des Berliner Kammergerichts keine Kritik zu üben und dessen Urteile abzusegnen, ihn bzw. das Bündnis verwundert hätte:
Nein, beim BGH sitzen ja keine gerechteren Richter. Karlsruhe hat sich erwartungsgemäß hinter das Urteil des Staatsschutzsenates des Berliner Kammergerichtes gestellt. Wer die Macht hat, hat das Recht. Da können wir noch so oft belegen: Das war ein politischer Prozeß, der Geheimdienst spielte bei den Ermittlungen eine entscheidende Rolle und hat das Verfahren gesteuert, das BKA hat Akten zurückgehalten und gefälscht. Das wollte ja schon das Kammergericht nicht umfassend aufklären.
Der Ruf nach Gerechtigkeit, der in diesen Sätzen anklingt, liegt auf derselben Linie wie das seitens der Unterstützer häufig angesprochene Mißverhältnis zwischen der Strafverfolgung gegen Kriegsgegner, die wegen des ihnen gemachten Vorwurfs, Kriegsmaterial der Bundeswehr beschädigt zu haben bzw. beschädigen zu wollen, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden, während Bundeswehrangehörige, die in einem Auslandseinsatz, wie die deutsche Kriegführung beschönigend genannt wird, Zivilisten getötet haben, mit keinerlei Strafverfolgung hierzulande zu rechnen haben. Dies als ungerecht zu empfinden oder der Strafjustiz den Vorwurf zu machen, bei Angeklagten, bei denen es sich erklärtermaßen um Kriegsgegner handelt, besonders hart durchzugreifen und zugleich den kriegführenden Akteuren juristisch den Rücken freizuhalten, offenbart ein Vertrauen oder doch zumindest Hoffen auf eine Rechtsstaatlichkeit bzw. "faire" Gerichtsbarkeit.
Wem es ernst damit ist, die politische Strafjustiz und insbesondere ihre besonders scharfen Instrumente, die Organisationsdelikte um Paragraph 129(a), als das zu begreifen, was sie sind, wird keine nennenswerte Energie darauf verwenden, den Strafverfolgungsbehörden sowie den Gerichten aller Instanzen vorzuwerfen, von ihnen Gebrauch zu machen. So steht denn auch bei AktivistInnen und UnterstützerInnen die Solidarität mit den Betroffenen im Vordergrund, während die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit darauf fokussiert wird, im besten Wortsinn aufklärerisch zu wirken und den weitverbreiteten Glauben an die seitens der Staatsorgane vorgehaltene Rechtsstaatlichkeit auf den Prüfstand zu heben.
Anmerkungen
[1] http://einstellung.so36.net/
[2] "Die drei Antimilitaristen sollen schnell in den Knast". Ein Gespräch mit Arthur Schüler, Interview: Markus Bernhardt, junge Welt, 07.07.2011, S. 8