Rezension: Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen
von Chris Malberg
Eine Antirepressions-Broschüre mit dem aussagekräftigen Titel "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen" ist dieser Tage als Buch erschienen. Geschrieben wurde es vom Bündnis für die Einstellung der §129a-Verfahren. Diese Gruppe hat über 3 Jahre zu den Berliner Verfahren wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg) und zu der versuchten Brandstiftung an Bundeswehr-LKW politische Solidarität geleistet.
Die Ermittlungen nach §129a, die kurzzeitige Inhaftierung des Sozialwissenschaftlers Dr. Andrej Holm 2007 und das Gerichtsverfahren gegen die drei Antimilitaristen Axel H., Florian L. und Oliver R. in Berlin-Moabit 2008/09 haben in den letzten 3 Jahren für viel Wirbel und Unterstützung gesorgt. Zahlreiche Prominente haben sich für die Einstellung der Ermittlungen eingesetzt. Aus der linken außerparlamentarischen Bewegung gab es zudem Aktivitäten unter dem Motto "Es gibt zu viele Bundeswehrfahrzeuge" oder "Kriegsgerät interessiert und brennend" - zwei Parolen, die aus der Solidaritäts-Bewegung kamen und erst nach einiger Zeit vom Einstellungsbündnis aufgegriffen wurden, wie das Bündnis in seinem Nachbereitungstext selbstkritisch zugibt.
Die Broschüre ist in Buchform erschienen und zu einem erschwinglichen Preis über den linken Buchhandel erhältlich. Vom Charakter her ist das Buch aber eher eine Broschüre. Sie liest sich ausgesprochen gut, viele Ereignisse werden nochmals in Erinnerung gerufen, aber auch Neues erfahren die Leser: Beispielsweise die internen Auseinandersetzungen im Solidaritäts-Bündnis.
Die Publikation wirft dadurch Fragen auf, mit denen Beschuldigte und ihre UnterstützerInnen konfrontiert sind: Was thematisiert man öffentlich? Alles, was in den Akten steht und damit dem Staat bekannt ist, oder greift man bewusst nur bestimmte Aspekte heraus, die eine breite Solidarität garantieren? Darf man als SolidaritätsarbeiterInnen nur das tun, was die Beschuldigten wollen oder muss man sich zu allen Vorwürfen ins Verhältnis setzen? Diese Fragen hat das Einstellungsbündnis beschäftigt. Darüber hat es nach eigenen Angaben lange debattiert. Nicht immer kam es - und das macht die Angelegenheit sympatisch - zu einer eindeutigen Antwort.
Gründliches Debattieren vor einer kollektiven Entscheidung und Meinungsäußerung scheint symptomatisch für das Einstellungsbündnis gewesen zu sein. Das Ergebnis kommt dann um so klarer, deutlicher und geballt: Die Soli-Gruppe behandelt die Themen Repression und Überwachung, Antirepressionsarbeit und Solidaritäts-Definitionen, außerdem viele interessante Details, die für politische AktivistInnen bedeutsam sind. Es geht um die Ermittlungsparagraphen 129 und 129a (Mitgliedschaft in einer kriminellen/terroristischen Vereinigung) und die Frage, wie man einen politischen Prozess führen kann. Es geht um die Situation im Gefängnis, die Verhältnisse sowohl in Untersuchungshaft als auch beim Haftantritt nach der rechtskräftigen Verurteilung. Es geht um linke Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um kritische Wissenschaft, um Gentrifizierung, sehr viel um Antimilitarismus, um die Legitimität von Sabotage an Kriegsgerät und um Militanz.
Auch Aspekte aus der Militanzdebatte, die in den Jahren 2001 bis 2007 in der Szenezeitschrift "Interim" geführt wurde, werden in der Broschüre vorgestellt und diskutiert: Die Konzepte der autonomen Gruppen bzw. militanten Gruppen; wechselt man seinen Gruppennamen oder gewährleistet man Namens-Kontiuität und Verbindlichkeit? In der Broschüre finden sich auch Ratschläge für politisch aktive Menschen - auch wenn in dem kurzen Kapitel "Ermittlungsmethoden" für erfahrene GenossInnen nicht viel neues steht, aber zumindest Wichtiges kurz angesprochen wird: Erkennungsdienstliche Behandlung, DNA-Spuren, Überwachung, Methoden des Verfassungsschutzes, der Ermittler, der Staatsanwaltschaft und der Richter.
Die Broschüre ergänzt Ratgeber-Literatur wie das Antirepressionshandbuch "Durch die Wüste" aus dem Unrast-Verlag und illustriert sie am konkreten Beispiel. "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen" reiht sich in zahlreiche Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte ein. Andere Nachbereitungsbroschüren, die vor 15-20 Jahren erschienen sind, finden sich heute nur noch in Infoläden und linken Archiven. Auf einige bezieht sich das Einstellungsbündnis. In den letzten Jahren ist keine derartige Nachbereitung mehr erschienen, weil es kaum §129a-Prozesse anlässlich militanter Aktionen aus der jüngsten Vergangenheit gab, zu denen kontinuierlich Solidarität organisiert wurde.
Ein Fazit des Einstellungsbündnisses: "Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ist schnell zusammengezimmert. Der Logik der Ermittlungsbehörden sind hierbei kaum Grenzen gesetzt. Das macht die Dimension deutlich: Die gesamte radikale Linke ist von den §129-Verfahren betroffen."
Hinweis zur Broschüre: http://einstellung.so36.net/de/1815
Verlag und Bestellung: http://www.edition-assemblage.de
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Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren
Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)
ISBN 978-3-942885-00-3 | edition assemblage | farb. Broschur | April 2011 | 86 Seiten | 4.80 €