Fahnder am Ende
Terrorverdacht: Bundesanwaltschaft stellt Verfahren gegen Berliner Soziologen ein. Anwältin kritisiert jahrelange Überwachungsmaßnahmen
Von Frank Brunner
Das seit September 2006 laufende Verfahren gegen den Berliner Soziologen Andrej Holm wurde eingestellt. Das bestätigte Holms Rechtsanwältin Christina Clemm am Montag auf Nachfrage von junge Welt. Seit 2006 hatte die Bundesanwaltschaft (BAW) gegen den Wissenschaftler wegen Mitgliedschaft in der linksradikalen »militanten gruppe« ermittelt. Der Verdacht, daß Holm der »mg« angehöre, habe sich letztlich nicht erhärtet, begründete die Behörde ihre Entscheidung. »Zu dieser Erkenntnis hätte die BAW bereits vor drei Jahren kommen können«, kritisierte Strafverteidigerin Clemm. Die Ausführungen der Ankläger seien fast gleichlautend mit der Begründung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom Oktober 2007. Damals hatten die Richter den Haftbefehl gegen Holm aufgehoben und das mit mangelnden Beweisen erklärt. »Die BAW wußte genau, daß sie ihre Vorwürfe niemals belegen kann, wollte sich aber die Option offenlassen, meinen Mandanten weiter zu observieren«, erklärte Clemm.
Tatsächlich wurden Holm und sein Umfeld jahrelang ausgeforscht. Spezialisten des Bundeskriminalamtes hörten Telefongespräche ab, installierten Abhörgeräte in der Wohnung und beschatteten den Soziologen auch außerhalb seiner vier Wände. Hintergrund der Aktion: Holm, der an der Berliner Humboldt-Universität zum Thema Stadtentwicklung forscht, hatte in seinen Veröffentlichungen Fachvokabular, wie »Gentrifizierung« verwendet. Der Begriff, so die BAW, taucht auch in den Bekennerschreiben der »mg« auf. Die Gruppe hatte sich von 2001 bis zu ihrer Selbstauflösung 2009 zu etwa 25 Anschlägen auf öffentliche und private Einrichtungen bekannt.
Zuletzt verurteilte das Berliner Kammergericht im Oktober 2009 drei Kriegsgegner zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen Mitgliedschaft in der Untergrundtruppe und einem versuchten Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge.
Mit einem der Verdächtigen hatte sich Holm Anfang 2007 getroffen. Unter »konspirativen Umständen«, wie es im BKA-Bericht heißt. Holm habe sich über ein anonymes Internetprogramm verabredet und hatte bei Treffen sein Mobiltelefon nicht dabei. »Dies entspricht der Gepflogenheit der linksextremistischen Szene zu Zwecken der Konspiration«, notierten die Staatsschützer. Zudem habe Holm als Hochschulmitarbeiter Zugang zu Bibliotheken, die er unauffälig zu Recherchen nutzen könne und sei intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der »mg« zu verfassen. Am 31. Juli 2007 wurde der Wissenschaftler verhaftet. Erst Ende August ordnete der BGH eine Haftaussetzung an, weil kein »dringender Tatverdacht« bestehe. Dem folgte nun auch die Bundesanwaltschaft. Doch neben Holm gerieten in den vergangenen vier Jahren Hunderte weitere Menschen ins Visier der Fahnder. Man werde jetzt mögliche Entschädigungsansprüche prüfen, erklärte Anwältin Clemm gestern. Erst im März hatte der BGH die Überwachungsmaßnahmen von BKA und Verfassungsschutz gegen drei angebliche »mg«-Mitgliedern für rechtswidrig erklärt.