Schelte für BKA und Verfassungsschutz

Bundesgerichtshof: Linke Aktivisten wurden sieben Jahre lang zu Unrecht überwacht

Von Sven Gerner

Der Bundesgerichtshof erklärt die Überwachung von drei Berliner Linken nachträglich für rechtswidrig. Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte entlastende Informationen zurückgehalten, um die richterliche Genehmigung für seine Ermittlungen zu erhalten.

Es ist eine Niederlage für das BKA und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Seit 2001 hat das BKA sieben Jahre lang auf Grundlage von Informationen des BfV rechtswidrig gegen drei Berliner wegen Gründung der »militanten gruppe« ermittelt, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Zu keiner Zeit bestand ein Verdacht, der die einschneidenden Maßnahmen rechtfertigte, heißt es im Beschluss des dritten Strafsenats aus dem März 2010, der dieser Tage den drei Betroffenen zugestellt wurde. Sie hatten die Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahmen durch das oberste deutsche Strafgericht überprüfen lassen.

Die 37-, 49- und 62-jährigen Berliner engagieren sich in der Initiative Libertad! für die Freiheit der politischen Gefangenen weltweit. Einer von ihnen ist Markus H. Aus den Ermittlungsakten, in die er Einsicht nehmen konnte, geht hervor, dass seine beiden Freunde und er bereits im Jahr 1998 »Ziel operativer Maßnahmen« des Verfassungsschutzes wurden. »Damals standen wir im engen Austausch mit anderen radikalen Linken in Europa, Lateinamerika und den USA«, schildert er gegenüber ND. Gemeinsam organisierten sie eine Konferenz in Berlin zu Perspektiven internationaler Solidarität mit Gefangenen. Das machte sie neben ihrem jahrelangen politischen Engagement für den Geheimdienst interessant.

Als sich 2001 die »militante gruppe« (mg) zu ihren ersten Anschlägen bekannte, übergab das BfV dem BKA ein Dossier, in dem der Geheimdienst behauptete, die drei Libertad!-Mitglieder seien die mg-Gründer. Die Bundesanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129a StGB ein, der die Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt.

Damit begann die Überwachung. Einer der drei erfuhr 2002, dass seine Handygespräche belauscht wurden: Die Telefongesellschaft o2 stellte ihm das Abhören seiner Telefonate in Rechnung. Die Bespitzelung ging jedoch weit über die Auswertung von Telefon- und Internetnutzung hinaus. Markus H. berichtet von Videoüberwachungen der Hauseingänge, Abhörmikrofonen mit Peilsendern im Pkw und dem gescheiterten Versuch, einen Spitzel in die Gruppe einzuschleusen. Von den Ermittlungen haben sie offiziell erst erfahren, als vor dem G8-Gipfel 2007 ihre Wohnräume und Arbeitsstellen sowie das Berliner Libertad!-Büro durchsucht wurden.

Die Maßnahmen haben, schreibt der BGH in seinem Beschluss, sogar »entlastende Umstände gebracht«. Dennoch wurden die Ermittlungen auf weitere Personen, Familienangehörige und Bekannte ausgeweitet. Erst in den Jahren 2008 und 2009 stellte das BKA die Verfahren gegen zwischenzeitlich acht Beschuldigte ein. Die Polizeibehörde musste eingestehen, dass sie jahrelang ergebnislos ermittelte und nicht den Hauch einer Spur zur »militanten gruppe« hatte.

Sämtliche 36 Beschlüsse des Ermittlungsrichters beim BGH, auf deren Grundlage die Telekommunikationsüberwachung und die Observationen stattfanden, hob der BGH nun auf. Dabei rügten die Richter das BKA, weil es dem Ermittlungsrichter zentrale Informationen vorenthielt, darunter ein linguistisches BKA-Gutachten, das den Erkenntnissen des Verfassungsschutz widersprach. Auch der Kölner Geheimdienst bekommt sein Fett weg: Die folgenschweren Behauptungen des Verfassungsschutzes, auf denen die Aufnahme und Ausweitung der Ermittlungen beruhten, seien nicht mit Tatsachen belegt, urteilt der BGH.

Das gesetzeswidrige Vorgehen des BKA ist kein Einzelfall. Auch die anderen Razzien vor dem G8-Gipfel 2007 in linken Projekten und Wohngemeinschaften hatte der BGH im Januar 2008 für rechtswidrig erklärt, weil Bundesanwaltschaft und BKA dafür nicht zuständig gewesen seien.

Markus H. sieht darin einen Beleg für das Verfolgungsinteresse der Ermittlungsbehörden: »Die Paragrafen 129ff ermöglichen dem deutschen Staat seit vielen Jahrzehnten weitreichende Überwachungsmaßnahmen zur Erfassung linker Aktivitäten und Zusammenhänge. Die Ermittlungen wegen Terrorismusverdachts dienen vor allem dazu, den Widerstand gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse als gewalttätig und extremistisch zu denunzieren.« Einschüchtern ließen sich H. und seine Freunde jedoch nicht. Sie engagieren sich heute in einer Kampagne gegen Krieg, Folter und Lagerhaft.