Der Hunger des Staates nach Feinden
Genese und Anwendung der 129er-Paragrafen
Die Rote Hilfe hat eine Broschüre zur Geschichte der Paragrafen 129, 129a und 129b herausgegeben.
In einem der ersten Urteile nach dem 1976 in das Strafgesetzbuch eingeführten Paragrafen 129a umschrieb der Bundesgerichtshof damit »eine Strafbarkeit bereits weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer Handlungen«. Es sei gar nicht erforderlich, dass Personen, die sich zusammenschließen, schon irgendeine Straftat begangen haben, vielmehr genüge es, so das höchste Strafgericht der BRD, dass sie »die Begehung künftiger Straftaten ins Auge gefasst haben«. Das bezeichnete der jahrzehntelang für die »Zeit« als eine Art Kronjurist agierende Rechtskommentator Hans Schueler einmal kopfschüttelnd als einen »Anschlag auf den Rechtsstaat«.
Ein Allzweckparagraf
Die mit der Anwendung dieses Allzweckparagrafen seitdem geschriebenen Justizgeschichten in diesem Land sind unendlich. Mit seiner Anwendung wird für die Betroffenen quasi der juristische Ausnahmezustand verhängt. Der Vorwurf allein kann die Inhaftierung bedeuten und zieht auch verschärfte Haftbedingungen nach sich.
Eine Anfang der 1990er Jahre von Rolf Gössner publizierte Untersuchung über die politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat hat nachgewiesen, dass sich der Paragraf so gut wie ausschließlich gegen AktivistInnen aus der linken Fundamentalopposition oder gegen die, die die Staatsbehörden dafür halten, angewendet wird. Und deren Liste ist nach über 30 Jahren außerordentlich lang, wie eine Dokumentation der Roten Hilfe unter dem sinnfälligen Titel: »Wir sind alle 129a« zeigt. Peter O. Chotjewitz, der für Andreas Baader ein Mandat als Rechtsanwalt wahrnahm, unterscheidet »zwischen den vergleichsweise Wenigen, die vom Verfolgungsapparat als ›Haupttäter‹ ausgegeben werden, und den Unterstützern, Sympathisanten etc.«. Für den »Haupttäter« spiele der 129a keine Rolle, sein Urteil stehe ohnehin fest, »sobald sein Konterfei auf dem Fahndungsplakat« erscheine. »Der Paragraf 129a ist für den gemacht«, so Chotjewitz, »den man beim besten Willen keinen Mord in die Schuhe schieben kann.«
Jeden kann es treffen
So reicht die in der vorliegenden Broschüre vorgestellte illustre Liste der 129a-Delinquenten von Parolensprühern, Autoanzündern, Bürobesetzern, Druckern, Antifaschisten, Frauenzentrumsaktivistinnen, Unterstützern von Stadtindianer-Texten bis zu im Exil aktiven nationalen Befreiungskämpfern, Zeitungsredakteuren und Journalisten. Dabei provozierte die in der 129a-Anwendung eingeschriebene Maßlosigkeit des justiziellen Strafarsenals glücklicherweise immer mal wieder den öffentlichen Widerspruch. Und dieser machte dabei in der Geschichte der vielfältigen Protestbewegungen dieses Landes die Uhrenkäuferin Ingrid Strobl und den umtriebigen Fachbibliotheksnutzer Andrej Holm in besonderer Weise prominent. Mehr noch: Der Protest konnte in diesen Fällen wesentlich dazu beitragen, dass die in das Visier der Staatsschutzjustiz Genommenen vorzeitig aus der Haft entlassen werden mussten. Die vorliegende Broschüre ist ein illustrativer Abriss über die Anwendung dieses juristischen Ausnahmezustandsparagrafen und seinen unmittelbaren Wirkungen auf die Betroffenen.
Rote Hilfe: Wir sind alle 129a. Der Hunger des Staates nach seinen Feinden, Göttingen, 84 S., 3 €.