Gefährliche Soziologie

Berliner Dozent sitzt wegen Terrorverdachts in Einzelhaft

Seit Monaten steckt die aus der linksautonomen Szene stammende "Militante Gruppe", kurz "MG", Fahrzeuge von Polizei, Bundeswehr und Privatunternehmen im Großraum Berlin in Brand. Zu ihrem revolutionären Programm gehöre, wie sie mitteilt, auch das "Flambieren von Nobelkarossen". Erst Ende Juli 2007 verhinderte die Polizei einen Anschlag auf drei Bundeswehr-Laster. Vier mutmaßliche Mitglieder der Gruppe wurden festgenommen, darunter der Berliner Sozialwissenschaftler Dr. Andrej H..

Laut Bundesanwaltschaft wurden die beiden 35-jährigen Verdächtigen Florian L. und Oliver R. sowie der 56-jährige Axel H. am 31. Juli in Brandenburg an der Havel bei dem Versuch festgenommen, drei Lastwagen der Bundeswehr anzuzünden. Den vierten Beschuldigten Andrej H., Dozent an der Humboldt Universität, verdächtigen die Ermittler, Vordenker und Stichwortgeber der "Militanten Gruppe" zu sein.

"Die Vorwürfe, die ihm gemacht werden, sind: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a Strafgesetzbuch", sagt Andrej H.s Anwältin Christina Clamm. Begründet würden die Vorwürfe mit zwei Hauptpunkten: Zum einen, dass sich Andrej H. in seinen Büchern mit bestimmten Themen auseinandersetze, die auch in einem Bekennerschreiben der Gruppe auftauchten und zum anderen, dass der Dozent den ebenfalls verhafteten Florian L. kenne und mit ihm Kontakt gehabt habe.

Forschungsschwerpunkt Gentrification

Andrej H.s Forschungsschwerpunkt war die Verwandlung des Ostberliner Stadtteils Prenzlauer Berg vom Sanierungsfall zum angesagten Schickimicki-Viertel. Gegen die von Soziologen so genannte Gentrification, die Veredelung von Wohnvierteln, in deren Verlauf die armen Einwohner von den Reichen verdrängt werden, engagierte sich Andrej H. auch öffentlich. Aber reicht das alleine aus, den Soziologen zu einem intellektuellen Wegbereiter des Terrors abzustempeln?

Der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann von der Humboldt-Universität ist entrüstet: "Das ist für mich neu und beängstigend. Das hatte ich so noch nicht gesehen, dass jemand verhaftet werden kann aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeit", sagt er. "Es ist ja nichts bewiesen und es gibt auch keine deutlichen Zeichen dafür, dass er außerhalb der geltenden Gesetze aktiv geworden sei." Dass nun im Bundeskriminalamt Leute "unsere Bücher lesen und gucken, wo tauchen die Begriffe und Worte sonst noch auf und dann uns dafür verantwortlich machen, was andere daraus machen, das ist ganz makaber und bestürzend."

Die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt

Seit Anfang August 2007 sitzt Andrej H. im Untersuchungsgefängnis Moabit in der Einzelzelle und darf eine Stunde Besuch pro Monat empfangen. Nach dem Paragraphen 129a aus den 1970er Jahren ist dies ganz legal. Die Bundesanwaltschaft gibt wie üblich keine Auskunft zu laufenden Ermittlungen, nur den Hinweis, dass es zwischen Andrej H. und anderen angeblichen Mitgliedern der "MG" "umfassende konspirative Kontakte und Treffen" gegeben habe. Was dabei besprochen wurde, entging den Ermittlern. Dennoch gilt hier offenbar die Unschuldsvermutung nicht mehr.
  

Eine Reihe von prominenten Professoren hat nun in einem offenen Brief gegen die "Kriminalisierung kritischer Wissenschaftler" protestiert. Auch US-amerikanische Soziologen schlossen sich ihnen an. Gentrification und Luxussanierung sind für die meisten von ihnen ein selbstverständliches Thema. Bisher ist der Fall Andrej H. einzigartig. Doch manche fürchten, dass der Fall Schule machen und bald auch anderen engagierte Wissenschaftler mit der "Terrorismus-Keule" zur Strecke gebracht werden könnten.