Repression greift nicht

Jahresrückblick 2009. Berlin verstärkt Druck auf Antimilitaristen und Linke. »mg«-Verfahren führt zu Haftstrafen. Aktivisten reagieren mit Solidarität statt Rückzug

Von Markus Bernhardt

Während sich die Bundeswehr in Afghanistan festsetzt und Verantwortung trägt für das Massaker an Zivilisten am 4.September bei Kundus, mußten sich Kriegsgegner in der BRD 2009 vorsehen. So verurteilte Josef Hoch, Richter am Berliner Kammergericht, Mitte Oktober drei Antimilitaristen wegen angeblicher Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg) sowie wegen versuchter Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge in Brandenburg/Havel. Für ihr antimilitaristisches Engagement sollen Axel H. und Oliver R. für jeweils drei Jahre und sechs Monate in Haft. Florian L. wurde zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt.

Prozeßbeobachter wie auch Anwälte der Kriegsgegner kritisierten, daß ein faires Verfahren von vornherein ausgeschlossen war. So hatte die Bundesanwaltschaft Anklage nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch (Bildung einer kriminellen Vereinigung) erhoben, ohne auch nur über Indizien zu verfügen, die für eine Mitgliedschaft der Beschuldigten in der »mg« sprachen. Richter Hoch, der auch schon den Prozeß gegen Egon Krenz, ehemaliger Staats- und Parteichef der DDR, führte, kritisierte darüber hinaus einige Medien, indem er ihnen tendenziöse Berichterstattung unterstellte, da diese bezüglich der Angeklagten von »Antimilitaristen« sprächen.

Opfer der staatlichen Kriminalisierungswelle gegen Kriegsgegner wurde mit Inge Viett auch ein prominentes ehemaliges Mitglied der »Bewegung 2. Juni« und der Roten Armee Fraktion (RAF). Im Rahmen der Proteste gegen ein Bundeswehrgelöbnis 2008 in Berlin, soll sie versucht haben, einen vom Führer der 24. Berliner Einsatzhundertschaft der Polizei namens Engelmann brutal niedergeschlagenen Demonstranten vor dem Zugriff weiterer Beamter zu beschützen. Trotz widersprüchlicher Aussagen der Polizisten wurde sie im Oktober vom Berliner Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 15 Euro wegen »Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte« verurteilt. Obwohl selbst die Richterin den damaligen Einsatz gegen die Bundeswehrgegner, bei dem es zu Übergriffen auf einzelne Demonstranten kam, als »unverhältnismäßig« kritisierte, übte sich die Boulevardpresse in Stimmungsmache gegen Viett. Nach ihrer Verhaftung hatte die Bild-Zeitung mit der gewaltverherrlichenden Überschrift »Wer stopft der Exterroristin das Schandmaul?« aufgemacht.

Seit der diesjährigen »Revolutionären 1.-Mai-Demonstration« berichten die sogenannten Leitmedien nahezu täglich haßerfüllt über all diejenigen, die in den Redak­tionsstuben für »links« gehalten werden. Betroffen von den medialen Anfeindungen sind maßgeblich Antifaschisten, Hausbesetzer, Kriegsgegner und auch ehemalige Funktionsträger der DDR. Die Kampagnen bleiben nicht ohne Wirkung. So bezeichnete Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erst Anfang Dezember Teile der linken Szene in Anlehnung an die Entgleisung des früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumachers als »rotlackierte Faschisten« und gab eine Studie zu »linksextremer Gewalt« in Auftrag.

Allen Kampagnen zum Trotz ist den staatlichen Repressionsorganen und ihren willigen Helfern bei der Springer-Presse der große Coup gegen die Linke bisher nicht gelungen. So mußten in den vergangenen Monaten zwei wegen angeblicher Autobrandstiftung Inhaftierte wieder auf freien Fuß gesetzt werden, weil kein hinreichender Tatverdacht bestand. Auch die Berliner Schüler Yunus K. und Rigo B., denen vorgeworfen wurde, im Anschluß an die diesjährige »Revolutionäre 1.-Mai-Demonstra­tion« in Kreuzberg Molotowcocktails auf Polizeibeamte geschleudert zu haben, mußten kurz vor Weihnachten nach über siebenmonatiger Untersuchungshaft freigelassen werden. Während sich die Partei Die Linke mit Äußerungen zum von Beobachtern als »Schauprozeß« kritisierten Verfahren vornehm zurückhielt, forderten selbst Gliederungen der Jusos, einen Freispruch und eine Haftentschädigung weit über dem üblichen Tagessatz von 25 Euro.

Überhaupt hält sich die Berliner Linkspartei auffällig raus, obwohl auch ihre Mitglieder von der Stimmungsmache betroffen sind. Sowohl Kirill Jermak, Abgeordneter der Partei in der Berzirksverordnetenversammlung von Berlin-Lichtenberg, als auch Evrim Baba, Mitglied des Abgeordnetenhauses, standen wegen Demonstrationsanmeldungen mehrfach in der Schußlinie der Springerpresse und wurden zusätzlich parteiintern zurechtgewiesen. Auch, daß die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, die linke Bundestagsabgeordnete Inge Höger wegen einer Stellungnahme zum »mg«-Verfahren in die Nähe von Terroristen rückte, rief im Berliner Landesverband keinerlei Kritik hervor.

Berlins linke Szene hingegen ließ sich von der Repression bisher nicht aus dem Takt bringen. »Die radikale Linke soll sich nicht bange machen lassen, sondern den kommenden Klassenkämpfen und der unweigerlich steigenden Repression ins Auge sehen und sich vorbereiten«, äußerte Inge Viett im September im Interview mit junge Welt.