Das Haar in der Suppe
Nach 63 Verhandlungstagen endete am Freitag voriger Woche der Prozess gegen drei Angeklagte, denen unter anderem die Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« vorgeworfen wurde. In seiner Urteilsbegründung konnte der Vorsitzende Richter des Berliner Kammergerichts zwar wenig über eine konkrete Einbindung der Angeklagten in die MG sagen, die Verurteilung folgte dennoch den Forderungen der Bundesanwaltschaft.
»Das Strafmaß ist weder besonders milde noch besonders hoch.« So versuchte Rechtsanwalt Olaf Franke am Freitag voriger Woche in Berlin direkt nach der Urteilsverkündung gegen drei angebliche Aktivisten der Militanten Gruppe (MG) Gelassenheit zu verbreiten. Doch an diesem nasskaltem Herbsttag hatte das Berliner Kammergericht alle Hoffnungen, dass eine Verurteilung wegen »Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung« unterbleibt, zerstört und sich nahezu wörtlich den Strafanträgen der Bundesanwaltschaft (BAW) angeschlossen. So soll der 37jährige Altenpfleger Florian L. für drei, seine beiden Mitangeklagten, der ebenfalls 37jährige Antiquar Oliver R. und der 48jährige Sozialpädagoge Axel H., sollen gar für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.
Ihre sechs Anwälte zeigten sich empört darüber, mit welcher Leichtigkeit das Gericht und sein Vorsitzender Josef Hoch alle in den vergangenen sechs Monaten von der Verteidigung vorgebrachten Beweisanträge in seiner mündlichen Urteilsbegründung beiseite wischte. »Man kann unsere Mandanten in strafrechtlichen Sinne für schuldig halten, einen Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr versucht zu haben«, schreiben die Anwälte in einer Erklärung. »Aber stichhaltige Belege, dass sie Mitglieder der MG waren, hat dieses Verfahren nicht zutage gebracht«, betonen sie. Weil sie ein solches Urteil des Gerichts befürchteten, hatten die Verteidiger bereits auf ihre Plädoyers verzichtet. »Ein Einhalten formaler Spielregeln, die ihres Inhalts entkleidet sind, macht für die Verteidigung keinen Sinn.«
Kurz zur Erinnerung: In der Nacht des 31. Juli 2007 observierte eine Spezialeinheit der Berliner Polizei die drei nun Verurteilten dabei, wie sie, so die Anklageschrift, »in der Nähe von Brandenburg an der Havel mehrere Brandsätze unter drei abgestellte LKW der Bundeswehr legten«. Die Fahnder waren ihnen als mutmaßlichen Mitgliedern der MG seit Monaten auf den Fersen. Aus Sicht der BAW wurden sie »auf frischer Tat« ertappt, dieser Ansicht schloss sich nun auch das Gericht an. Allerdings bestanden die Angeklagten darauf, dass auch dies ihnen erst mal bewiesen werden müsse, und verweigerten die Aussage.
Doch wesentlich schwerer wog die Anklage durch die BAW wegen Mitgliedschaft in der MG. Denn erst dieser Vorwurf begründete die Zuständigkeit der BAW und des Berliner Kammergerichts, sonst wäre »wegen gemeinschaftlicher versuchter Brandstiftung« ein Brandenburger Amtsgericht zuständig gewesen. Schon im Herbst 2007 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die MG von einer »terroristischen« zu einer »kriminellen Vereinigung« zurückgestuft, und nur mit Mühe konnte die BAW ihre Zuständigkeit in dem Verfahren bewahren. Zudem setzte der BGH damals die Haftbefehle gegen die drei nun Verurteilten außer Vollzug. In mehreren wegweisenden Urteilen machte der BGH den Fahndern den Unterschied zwischen »Vermutungen« und »Beweisen« deutlich. Seit 2001 fahndeten die Sicherheitsorgane der BRD erfolglos nach der MG, die sie für mindestens 25 Brandanschläge zwischen Juni 2001 und Mai 2007 mit einem Sachschaden von rund 840 000 Euro verantwortlich machen, und verrannten sich dabei in teils aberwitzige Verdächtigungen.
Aus Sicht der Verteidigung basiert der Vorwurf der Mitgliedschaft in der MG lediglich »auf Indizien, die auch anders zu interpretieren sind, und Informationen des Verfassungsschutzes«. So bezeichnete im Februar 2009 Elmar Remberg, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (VS), vor Gericht als Zeuge seine Quelle als »nachrichtenehrlich«. Doch »der Wahrheitsgehalt der Angaben des V-Mannes kann so in keiner Weise überprüft werden«, monierte die Verteidigung. Insbesondere da der VS in Hinblick auf die MG in den vergangenen Jahren wiederholt Tipps zu vermeintlichen Mitgliedern an das Bundeskriminalamt weitergab, von denen sich die meisten nach zum Teil jahrelangen Observationen selbst aus Sicht der Fahnder als gegenstandslos erwiesen. Nun stellte das Gericht im Falle der drei Angeklagten fest, dass der VS-Spitzel bei der Urteilsfindung keine Rolle gespielt habe. Aber das ganze Verfahren in dieser Form basierte darauf. Ebenso stellte sich die Frage, ob es sich bei diesem Spitzel eher um eine Kunstfigur handelt, die anderweitige umfangreiche nachrichtendienstliche Ermittlungen des VS kaschieren soll.
Denn auch das BKA erfand auf der Suche nach der MG neue »ungewöhnliche Ermittlungsmethoden«. So beteiligte sich das BKA unter dem Tarnnamen »Die zwei aus der Muppetshow« im Jahr 2005 mit zwei Texten an der von der MG in der Autonomenzeitschrift Interim geführten »Militanzdebatte«. Damit sollte »eine Reaktion bei der MG provoziert werden«, heißt es dazu in einem Vermerk in einer BKA-Akte. Die beiden Texte wurden 2009 als Beweismittel in das laufende Verfahren eingeführt, um zu belegen, wie die MG für Gewalttaten warb und diese vorbereitete. Darüber hinaus sollten mutmaßliche Mitglieder und Sympathisanten der Gruppe auf eine vom BKA betriebene und recht informative Webseite zum Thema MG gelockt werden. Mittels der bei den Internetanbietern gespeicherten IP-Adressen waren so die Interessenten zu identifizieren.
Auf diese Widersprüche, die ein rechtsstaatliches Verfahren eigentlich unmöglich machen, ging Richter Hoch nicht ein. Gefühlte zwei Drittel der Zeit der mündlichen Urteilsbegründung referierte er völlig unstrittige Tatsachen über die Aktionen der MG. Dabei betonte er allerdings immer wieder deren Gefährlichkeit und machte sie als Vorbilder für die Serie von Brandstiftungen an Luxusautos in der Berliner Innenstadt verantwortlich. Erst im letzten Drittel setzte er sich mit den Persönlichkeiten der Angeklagten auseinander, ohne wirklich etwas zu einer konkreten Einbindung der Angeklagten in die MG sagen zu können. Auch die Selbstauflösung der MG in einem umfangreichen Papier in diesem Sommer tat Richter Hoch als Trick zur Entlastung der drei ab. In diesem in der klandestin herausgegebenen autonomen Zeitschrift Radikal veröffentlichten Text bedauerte die MG, dass sie in all den Jahren »quasi aus einem autistischen Dahinwursteln« nie herausgekommen sei.
Den Unterstützern der Angeklagten ist es kaum gelungen, die Frage nach legitimen Widerstand gegen Militäreinsätze mit dem Verfahren zu verbinden. Zwar hören sich Sätze wie »Kriegsgeräte, die hier kaputt gemacht werden, können woanders keinen Schaden anrichten« ganz flott an. Doch die gradlinige Schlussfolgerung zum Widerstand aus »Wir wollen den Krieg in Afghanistan nicht, die Angeklagten wollen den Krieg nicht, und auch zwei Drittel der Bevölkerung wollen den Krieg nicht« abzuleiten, ist schon ein wenig einfach. Denn die umfangreichen politischen Texte der MG sind von einem so simplen antiimperialistischen Weltbild und Wunsch nach einer »kommunistischen Weltordnung« geprägt, dass diese seit Jahren sogar auf heftigen Widerspruch aus der eher libertär orientierten autonomen Szene stoßen.
Jetzt hoffen die Anwälte der Verurteilten auf die Revision. Insbesondere setzen sie auf den Widerspruch, dass im mündlichen Urteil des Gerichts nahezu nichts zu den Strukturen und der personellen Zusammensetzung der MG gesagt wird, obwohl die drei wegen Mitgliedschaft verurteilt wurden. Denn selbst Fahnder des BKA vermuten inzwischen, dass es sich bei der MG nur um einen Dachbegriff für verschiedene Gruppierungen handeln könnte. Doch was in der Binnen-Wahrnehmung einer linksradikalen Szene eklatante Widersprüche sind, hat für die Richterinnen und Richter an den Revisionsgerichten in Leipzig und Karlsruhe oft wenig Relevanz und sind zu vernachlässigende Nebenwidersprüche. So ist eher zu erwarten, dass die drei Verurteilten wenige Monate nach einer eventuellen Ablehnung ihrer Revision Post von den Justizbehörden erhalten werden: mit einer Einladung zum Absitzen der Reststrafe.