Ausnahmezustand, leicht gemacht!
Während die EU-Staaten längst grenzüberschreitend handeln, fehlt es den sozialen Bewegungen an einer gemeinsamen Perspektive. Doch der starke internationale Protest gegen die Inhaftierung des Berliner Soziologen Andrej H. und sechs weitere Personen, denen Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« vorgeworfen wird, lässt hoffen, dass die globalisierungskritische Bewegung die Themen Innere Sicherheit und Überwachung aufgreift.
Die Solidaritätsbekundungen reichen von amerikanischen Soziologinnen und Soziologen wie Mike Davis und Saskia Sassen über französische Intellektuelle wie Michael Löwy und Francois Cusset bis hin zu ehemaligen polnischen Oppositionellen der Solidarnosc wie Professor Tadeusz Kowalik. Auch die Redaktionen mehrerer polnischer Zeitungen, darunter Le Monde Diplomatique und Krytyka Polityczna, haben sich gegen die Kriminalisierung kritischer Wissenschaftler und Journalisten ausgesprochen.
Die Solidarität aus Polen ist nicht zufällig. Spätestens seit der Verabschiedung des Gesetzes zur Verwaltung von Krisensituationen, das am 22. August in Kraft tritt, werden dort die Antiterrorgesetze ebenfalls gegen soziale Bewegungen und »zivilen Ungehorsam« angewendet. Frankreich überwacht kritische Lehrer, die sich für die illegalisierten Migranten und deren Recht auf Bildung einsetzen. In Großbritannien beabsichtigt die Polizei, gegen Umweltschützer mit Maßnahmen vorzugehen, die aufgrund der Antiterrorgesetzgebung eingeführt worden sind. Die Tageszeitung Gazeta Wyborcza veröffentlichte während des Streiks der Krankenschwestern einen Einsatzbefehl der Antiterrorabteilung des Warschauer Polizeipräsidiums. Darin forderte diese die Mitarbeiter auf, »Informationen über die Streikenden und sie unterstützende Personen zu sammeln«. Offiziell hieß es, man wolle die »Krankenschwestern vor der Infiltration durch Gewalttäter und Anarchisten schützen«. (Jungle World 32/07)
Das neue Gesetz erlaubt es der Regierung, de facto am Parlament vorbei den Ausnahmezustand auszurufen und Grundrechte einzuschränken. Chefredakteure werden etwa verpflichtet, unentgeltlich Regierungsverlautbarungen zu veröffentlichen. Diese dürfen weder kommentiert, korrigiert noch mit Gegendarstellungen versehen werden. Eine Krisensituation tritt demnach ein, wenn »eine Bedrohung das soziale Gefüge in hohem Maße tangieren oder zerstören könnte«.
Der Autor ist Chefredakteur der polnischen Edition von »Le Monde Diplomatique«.