29 Aktenordner und wenige Indizien

Am Freitag Haftprüfung für mutmaßliche Terroristen. Von Marin Majica

BERLIN. Der Bundesgerichtshof wird noch in dieser Woche darüber entscheiden, ob vier mutmaßliche Mitglieder der terroristischen Vereinigung "militante gruppe" (mg) in Untersuchungshaft bleiben. Auf Antrag der Verteidigung habe der zuständige Ermittlungsrichter für Freitag einen Haftprüfungstermin angesetzt, teilte die Bundesanwaltschaft (BAW) gestern in Karlsruhe mit. Die vier Berliner im Alter zwischen 35 und 46 Jahren waren zu Monatsbeginn nach einem versuchten Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge in Brandenburg/Havel verhaftet worden.

Drei von ihnen sollen unmittelbar am Anschlagversuch beteiligt gewesen sein. Bei dem Vierten handelt es sich um einen Soziologen der Humboldt-Universität. Der 36-jährige Andrej H. steht im Verdacht, Bekennerschreiben formuliert zu haben. Insbesondere gegen seine Verhaftung gibt es zahlreiche Proteste. "Je länger man sich mit den Details beschäftigt, desto unfassbarer ist es", sagte gestern Hartmut Häußermann, Leiter des Lehrbereiches für Stadt- und Regionalsoziologie, an dem H. promoviert hat.

Andrej H. war festgenommen worden, weil er sich mit Themen beschäftigt, die auch in den Schreiben eine Rolle spielten, mit denen sich die mg zu mehr als zwei Dutzend Brandanschlägen bekannt hat. In den Schreiben geht es etwa um die Aufwertung von Bezirken wie Prenzlauer Berg. Dieser Prozess wird wissenschaftlich "Gentrification" genannt, ein englischer Fachbegriff, der auch in einem mg-Bekennerschreiben auftauchte. Dass H. daraus der Vorwurf der "intellektuellen Täterschaft" gemacht wird, habe großes "Entsetzen" in der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft hervorgerufen, sagte Häußermann. Gestern hatten bereits über 2 300 Unterstützer den Appell unterzeichnet, mit dem Generalbundesanwältin Monika Harms aufgefordert wird, den Vorwurf gegen H. fallen zu lassen.

Unterdessen sind weitere Details aus den Ermittlungen bekannt geworden, die H. ins Gefängnis gebracht haben. Seine Anwältin Christina Clemm berichtete gestern, dass sie bisher 29 Aktenordner habe einsehen können. Diese enthielten jedoch nur die bereits bekannten Vorwürfe: die Schlagwort-Überschneidungen und zwei Treffen mit einem anderen vermeintlichen Mitglied der mg, das seit dem versuchten Brandanschlag vom 31. Juli in Haft ist. "Meine Erklärung dafür ist, dass sie nicht mehr haben", sagte Christina Clemm.

Bundesanwaltschaft schweigt

Dafür enthalten die Akten der Anwältin zufolge ein sprachwissenschaftliches Gutachten des Verfassungsschutzes, das H. entlastet. Dieses Gutachten vermerke, dass vermeintlich verdächtige Begriffe wie "Gentrification", "Prekarisierung" und "Reproduktion" mittlerweile "allgemeiner Sprachgebrauch" seien. Warum Andrej H. trotzdem festgenommen wurde, wollte die Bundesanwaltschaft gestern nicht kommentieren. "Wir geben zu laufenden Verfahren keine Auskunft", sagte eine Sprecherin.

Klaus Lederer, Vorsitzender der Linken in Berlin, hat gestern den "Terrorismus-Paragrafen" 129a des Strafgesetzbuches kritisiert, auf dessen Grundlage gegen Andrej H. ermittelt wird. "Wir hatten immer schon erhebliche Bedenken dagegen und ich gehe so weit, dass er abgeschafft gehört", sagte Lederer der Berliner Zeitung: "Es genügt wenig dafür, dass man als Einzelner einen erheblichen Ermittlungsaufwand hinnehmen muss." Er kenne die Akten zu Andrej H. nicht, aber die öffentlich bekannten Vorwürfe seien "entschieden zu dünn", um die Untersuchungshaft zu rechtfertigen, sagte Lederer.