Gedankentäter und verdächtig Unverdächtige

"Wer jemals gedacht oder gefühlt hat, dass er ohne Freiheit nicht leben kann, der sollte jetzt aufschreien", schrieb Ilija Trojanow am 25. Juli 2007 in der taz. Ich überschrieb diese Artikelempfehlung vor einem Monat mit "Wehret den Anfängen" (Pickings.de, 25.07.2007). Mittlerweile muss ich feststellen, dass von Anfängen nicht mehr die Rede sein kann. Der liberale Staat verändert sich zusehends. Der Ausnahmezustand greift um sich, in dem das Recht nichts mehr gilt.

Seit drei Wochen sitzen vier mutmaßliche Mitglieder der Militanten Gruppe (Wikipedia) unter anderem wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft (Pressemitteilung der Generalbundesanwaltschaft, 02.08.2007). Einer der vier ist Sozialwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität. Ihm wird vorgeworfen, Vordenker und Stichwortgeber der "Militanten Gruppe" zu sein.

Als Indizien für die Festnahme reichten offenbar, dass er sich in seinen wissenschaftlichen Büchern mit stadtsoziologischen Themen beschäftigte, die auch die Militante Gruppe in einem Bekennerschreiben erwähnte, sowie die Tatsache, dass er einen anderen der Verhafteten kenne und sich mit ihm auch mal getroffen habe. Handfeste Beweise gäbe es keine, so seine Anwältin Christina Clemm. Die Haft sei nicht gerechtfertigt.

In einem offenen Brief wenden sich eine ganze Reihe nationaler sowie internationaler Wissenschaftler an die Generalbundesanwältin Monika Harms. "Die Art von Gewaltbefürwortung und -ausübung, wie sie von der 'militanten gruppe' praktiziert wird, lehnen wir strikt ab. Zugleich verwahren wir uns aber entschieden gegen die Konstruktion der intellektuellen Täterschaft, wie sie von der Bundesanwaltschaft vorgenommen wird."

Auf ein völlig absurdes Detail weist der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (Wikipedia) in einer Pressemitteilung (Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, 02.08.2007) hin.

"Bezüglich eines der drei in Brandenburg Festgenommenen heißt es, dass obwohl 'keine polizeilichen Erkenntnisse vorliegen', dies der 'Annahme des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht entgegen' stehe. Wie sich vielmehr 'aus den Schriften der militante(n) Gruppe(mg)' ergäbe, entspräche dies 'damit vielmehr genau den Anforderungen, die diese Vereinigung an ihre Mitglieder stellt.'"

In der taz schreiben Saskia Sassen und Richard Sennett, dass die Polizei mehr nach Guantánamo-Art vorzugehen scheine, als sich an Recht und Gesetz zu halten. "Sollten unsere Kollegen wirklich gefährliche Soziologen sein, dann sollten sie mit rationalen Mitteln strafrechtlich verfolgt werden. Aber, wie in Guantánamo, scheint die Verfolgung an Stelle der Strafverfolgung getreten zu sein."