Legitimer Widerstand
Verteidigung beruft sich im »mg«-Prozeß auf Notwehrrecht gegen illegalen Krieg: Ladung von Ex-Kanzler Schröder beantragt
Ungewöhnlich aufmerksam verfolgten die Richter sowie die Vertreter der Bundesanwaltschaft am Mittwoch im Berliner Kammergericht die zweistündigen Ausführungen der Strafverteidiger. Selbst der Vorsitzende Richter Josef Hoch, der Bemerkungen von Prozeßbeobachtern in der Regel mit Strafandrohungen quittiert, reagierte gelassen auf wiederholten Applaus der etwa 20 Besucher im Hochsicherheitssaal B129 des Moabiter Gerichtsgebäudes. Dort wird seit September 2008 gegen drei Berliner Linke verhandelt, denen ein versuchter Brandanschlag auf Bundeswehr-LKW am 31. Juli 2007 in Brandenburg/Havel sowie die Mitgliedschaft in der linksradikalen »militanten gruppe« (mg) vorgeworfen wird. Die klandestine Gruppe hatte sich zu insgesamt 27 Brandanschlägen auf Firmen und öffentliche Einrichtungen bekannt.
Bisher hatten die Verteidiger vor allem juristisch argumentiert und auf die dürftige Beweislage verwiesen (siehe jW vom 23. September). Am gestrigen 58. Verhandlungstag konzentrierten sie sich auf die politische Dimension des versuchten Anschlags. Die Firma MAN beliefere insgesamt 54 Armeen und profitiere so von weltweiten Kriegen, sagte Stephan Schrage. Seine Kollegen führten aus, daß ein völkerrechtswidriger Krieg Widerstandsaktionen legitimieren könne. Sie listeten detailliert Kriegsverbrechen auf, die deutsche Soldaten im Kosovo, Irak und in Afghanistan verübt haben sollen.
Dabei beantragten sie, die aus ihrer Sicht Verantwortlichen als Zeugen zu laden. Dazu zähle unter anderem die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright. Zudem sollten der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping (beide SPD) sowie der damalige Außenminister Joseph Fischer (Grüne) aussagen. Scharping habe beispielsweise wider besseren Wissens Behauptungen über an Albanern begangene Greueltaten aufgestellt, um »die Kritik gegen den Krieg in Jugoslawien zu übertönen und von der Frage nach den Hintergründen abzulenken«, so Rechtsanwalt Sven Lindemann. NATO-Generäle hätten Bombardierungen befohlen, wohlwissend, daß dabei Zivilisten sterben würden.
Diese Angaben sollen von den beantragten Zeugen, darunter der ehemalige Oberbefehlshaber der NATO in Westeuropa, General Wesley Clark, durch Aussagen vor Gericht bestätigt werden. »Die Beweiserhebung ist erforderlich, um die Propaganda der NATO und der Bundeswehr zu widerlegen, wonach der Einsatz der NATO dazu bestimmt gewesen sei, das friedliche Zusammenleben der Völker im Kosovo erst wieder zu ermöglichen«, heißt es abschließend in einem der Anträge. Die Attacke auf die Bundeswehrfahrzeuge sei ein symbolischer Angriff gewesen, um auf die Tragödie der Kriege unter deutscher Beteiligung aufmerksam zu machen, betonte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann. »Was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen Schaden mehr anrichten«, könnte das Motto dieser Aktion gewesen sein, erklärte er weiter. Es sei sicher ungewöhnlich, so der Jurist, die Ladung von so prominenten Zeugen zu beantragen. Doch das Gericht müsse sich auch mit den Motiven der Tat auseinandersetzen.
Die Bundesanwaltschaft beantragte nach einer Beratungspause, sämtliche Anträge abzulehnen. Sie seien für das Verfahren bedeutungslos. Richter Hoch beendete danach den Prozeßtag, um über die Anträge zu beraten. Am heutigen Donnerstag wird der Prozeß ab 9 Uhr fortgesetzt.