Unter Verdacht

Gegen einen Berliner Soziologen wird ermittelt. Begriffe aus seiner Forschung sollen in Terror-Bekennerschreiben aufgetaucht sein. Wissenschaftler sind empört. CHRISTOPH FAISST

Der Haftbefehl ist seit gestern gegen Auflagen außer Vollzug, doch ermittelt wird weiter gegen den Berliner Soziologen Dr. Andrej H. (36). Der Vorwurf: Mitgliedschaft in der "militanten gruppe" (mg), einer als terroristisch eingestuften linksextremen Vereinigung. Deren Ziel sei es, so die Bundesanwaltschaft, "die gegenwärtigen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zugunsten einer kommunistischen Weltordnung zu beseitigen". H. soll Kontakte zu Mitgliedern der "mg" gehabt haben, die für etliche Brandanschläge seit dem Jahr 2001 verantwortlich gemacht wird. Am 31. Juli dieses Jahres sollen drei Mitglieder der "mg" versucht haben, in Brandenburg an der Havel drei Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden. Am 1. August wurde gegen sie wie auch gegen H. Haftbefehl erlassen.

Dafür, H. nicht nur vorläufig auf freien Fuß zu setzen, sondern die Ermittlungen gegen ihn komplett einzustellen, appellieren seit gut einer Woche Wissenschaftler im In- und Ausland. In einem offenen Brief an die Bundesanwaltschaft hatten sie Bedenken geäußert, kritische Forschung und Lehre könnten Schaden nehmen, wenn die wissenschaftliche Arbeit über umstrittene Themen zu Terrorismusverdacht Anlass gebe.

Verräterischer Fachbegriff

Denn H. ist offenbar auch deshalb ins Visier der Ermittler geraten, weil in seinen Schriften der Begriff der "Gentrifizierung" - also der Aufwertung einst heruntergekommener Stadtteile bei gleichzeitiger Verdrängung der eingesessenen Bevölkerung - eine Rolle spielt. Eben dieser Begriff soll in den Bekennerschreiben der "mg" aufgetaucht sein. Es sei bestürzend, daraus die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung herzuleiten, sagt der erste Unterzeichner des Briefes, Dr. Hartmut Häußermann, Professor für Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität (HU) Berlin: "Diese Konstruktion ist furchtbar und beängstigend." Das Präsidium der HU macht keine Angaben: "Kein weiterer Kommentar, so lange das Verfahren läuft." Die Bundesanwaltschaft betonte gestern, H. sei weiter dringend verdächtig, Mitglied der "mg" zu sein.