Wissenschaft ist Terrorismus!

In der Nacht vom 30. auf den 31. Juli wurden auf dem Gelände der Firma MAN in Brandenburg drei Männer festgenommen. Die Polizei hatte sie dabei beobachtet, wie sie unter drei Lastwagen der Bundeswehr Brandsätze gelegt hatten. Soweit, dass die Kraftfahrzeuge Feuer fangen konnten, kam es nicht mehr, der Polizeieinsatz konnte dies verhindern. Statt nun aber nach der Verhaftung wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden, bis es zu einer Anklage wegen versuchter Brandstiftung gem. § 306 StGB kommt, wurden die drei Männer in Untersuchungshaft genommen - nicht versuchte Brandstiftung ist es, was ihnen vorgeworfen wird, sondern die Bildung einer ‘Terroristischen Vereinigung'. Die Generalbundesanwaltschaft nämlich glaubt, mit den Dreien einen Kern der linken „militante(n) gruppe (mg)" auf frischer Tat erwischt zu haben.

Tatsächlich bekennt sich die mg seit 2001 zu einer Reihe von Brandanschlägen. Ziel sind dabei in der Regel Kraftfahrzeuge der Polizei oder des Ordnungsamtes oder, seltener, gegen „Einrichtungen der Sozialtechnokratie" (so ein Bekennerschreiben) wie zum Beispiel Arbeitsämter oder ein Sozialgericht - nächtens ohne Gefährdung von Leben. Ob diese vergleichsweise eher kleinen Sachschäden nun Terrorismus gemäß §129a darstellen, der für Taten, die „durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann" vorgesehen ist, wird sich zeigen müssen

2 mal Treffen = 1 mal Untersuchungshaft

Völlig absurd wird die Geschichte dann jedoch im Fall des vierten Verhafteten, Dr. Andrej H.. Am Tag nach den Verhaftungen in Brandenburg wurden bei vier weiteren Personen in Berlin Hausdurchsuchungen durchgeführt. Eine dieser Personen, eben Dr. Andrej H., sitzt seitdem in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit - das bedeutet 23 Stunden täglich in Einzelhaft und zweimal monatlich eine halbe Stunde Besuch. Die bislang offiziell bekannt gegebenen Begründungen dafür sind haarsträubend und beängstigend: Andrej H. hat sich in diesem Jahr zweimal mit einem der drei in Brandenburg Festgenommenen getroffen. Konspirativ wird das genannt, gemeint ist damit anscheinend, dass die beiden sich am Telefon mit Spitznamen anredeten („Schwede") und keine exakte Uhrzeit für ihre Treffen ausmachten. Worüber bei diesen Treffen besprochen wurde, hat die Generalbundesanwaltschaft nach eigener Auskunft keine Ahnung. Das Treffen alleine ist schon Grund genug.

Gentrification und ihre Folgen

Aber es kommt noch schlimmer: Dr. Andrej H. ist promovierter Soziologe. Sein Spezialgebiet ist die Stadtsoziologie, insbesondere beschäftigt er sich mit dem Prozess der „Gentrification". Dies ist ein soziologischer Fachbegriff für einen urbanen Umwandlungsprozess, den der gebürtige Ostberliner Andrej H. direkt vor der eigenen Nase miterleben konnte: Relativ arme Stadtviertel ziehen aufgrund ihrer billigen Mieten sogenannte ‘Pioniere' an - Studenten und Künstler. Diese werten durch ihren Lebensstil und ihre Arbeit die Attraktivität des Viertels auf, bis aufgrund des so enstandenen ‘Flairs' und Milieus Menschen mit höheren Einkünften nachziehen. Die Folgen liegen auf der Hand: Aus Tante Emma Läden werden Feinkostläden, die Mieten explodieren, die ursprünglichen Mieter werden verdrängt. Wer wie Andrej H. eine Zeit lang zum Beispiel am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg oder in den neunziger Jahren in Berlin Mitte lebt, kennt diesen Prozess. Dieser soziologische Tatbestand war das wissenschaftliche Thema H.s - mit Erfolg: Nicht nur die Bundeszentrale für politische Bildung fragt ihn, auch das in Berlin vom Senat finanzierte „Quartiersmanagment", bei dem versucht wird, regulierend in die Stadtentwicklung einzugreifen, geht auf eine Studie seines Doktorvaters Prof. Hartmut Häußermann von der Humboldt Universität, an der H. mitarbeitete, zurück.

Was hat all dies nun mit dem Vorwurf des Terrorismus zu tun? Nun, für die Generalbundesanwaltschaft scheint das von Dr. Andrej H. erlernte und entwickelte Wissen Grund genug für den Verdacht des Terrorismus zu sein: In einer Presseerklärung der Verteidiger zitieren diese die Generalbundesanwaltschaft wie folgt: „„Eine von dem Sozialwissenschaftlicher ... 1998 in der Zeitschrift .. veröffentlichte wissenschaftliche Abhandlung enthält Schlagwörter und Phrasen, die in Texten der „militante(n) Gruppe (mg)" gleichfalls verwendet werden. Die Häufigkeit der Übereinstimmung ist auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich." Bei diesen Schlagwörtern soll es sich hauptsächlich um den Begriff der „Gentrification" und den dazu gehörigen Erklärungen handeln. Doch nicht nur das, auch wird H., sowie einer der drei Personen, deren Wohnungen am 31.7. ebenfalls durchsucht wurden (ein Politologe), aufgrund ihrer Profession vorgeworfen, sie seien „zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der „militante(n) Gruppe (mg)" zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen". Wir fassen zusammen: Sie sind intellektuell in der Lage, komplizierte Texte zu verfassen, sie haben Zugang zu Bibliotheken und sie befassen sich fachlich mit Sachverhalten, die für militante Gruppierungen offenbar ein Stein des Anstoß sind. Das reicht dann schon, um eine „intellektuelle Mittäterschaft" zu konstruieren.

Ein offener Brief an die Generalbundesanwaltschaft

Dass diese absurde und wissenschaftsfeindliche Position der Generalbundesanwaltschaft nicht unwidersprochen im Raum stehen bleibt, beruhigt ein wenig. In einem offenen Brief haben sich renommierte Wissenschaftler, unter ihnen auch Prof. Häußermann, an die Generalbundesanwältin Monika Harms gewandt und fordern, dass „kritische Forschung, auch in Verbindung mit sozialem und politischem Engagement, nicht zum terroristischen Tatbestand erklärt werden" darf und dass die „Unterstellung" fallen gelassen werden muss, „die wissenschaftlichen Arbeiten von Dr. Andrej H. begründeten eine intellektuelle Täterschaft in einer terroristischen Vereinigung. Aus der wissenschaftlichen Arbeit von Dr. Andrej H. lassen sich unter keinen Umständen Rechtfertigungen für einen Haftbefehl herleiten. Eine solche Argumentation stellt eine fundamentale Bedrohung der Freiheit von Forschung und Lehre dar." Dieser Offene Brief kann hier unterschrieben werden, schon jetzt haben dies über 2400 Menschen getan.

Zum Schluß noch ein paar Worte in eigener Sache. Der Autor dieser Zeilen hat im Jahr 2000 eine seiner drei mündlichen Diplom-Prüfungen bei Prof. Häußermann abgehalten, eines der dort geprüften Themen war das der „Gentrification". Der Autor hat bestanden, sogar mit Sehr Gut - unter anderem dank Texten, die er zur Vorbereitung auf diese Prüfung nutzen konnte, und die ihm ausgeliehen wurden von Andrej H. Nochmals danke, Andrej - und werte Generalbundesanwaltschaft: Ich bin trotzdem kein Terrorist. Ehrlich.