Meine fürsorgliche Belagerung
Interview mit Anne Roth. Seit die Journalistin und Übersetzerin in das Visier von Terrorfahndern geriet, dokumentiert sie den Verlust ihrer Privatsphäre in einem Blog. Am Samstag spricht Roth auf dem Kölner SIGINT-Kongress des Chaos Computer Clubs.
KÖLNER STADT-ANZEIGER: Frau Roth, Sie bloggen seit zwei Jahren zu den Themen Terrorbekämpfung und Überwachung. Ihre Motivation ist dabei eine ganz persönliche...
ANNE ROTH: Ich habe angefangen zu bloggen, zwei Monate nachdem mein Freund Andrej Holm im Juli 2007 morgens um sieben Uhr in unserer Wohnung in Berlin festgenommen wurde. An diesem Morgen haben wir erfahren, dass er verdächtigt wird, ein Terrorist zu sein, dass ein Verfahren nach Paragraf 129a wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung schon ein Jahr lang gegen ihn lief und wir in dieser Zeit überwacht worden sind. Unsere Wohnung wurde 15 Stunden lang durchsucht, Andrej wurde mit dem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen. Dort hat der Ermittlungsrichter einen Haftbefehl unterschrieben. Andrej ist dann nach Berlin zurückgeflogen worden und in Moabit in Untersuchungshaft gelandet.
Wie lange war er in Haft?
ROTH: Zweieinhalb Wochen. Es gab damals viel öffentliche Aufmerksamkeit für diesen Fall. Die Bundesanwaltschaft hat das als großen Schlag gegen den Linksterrorismus präsentiert, mit Andrej zusammen wurden noch drei andere Leute festgenommen. Nachdem der Inhalt des Haftbefehls bekannt wurde, gab es aber auch öffentliche Empörung. Weil die Gründe für die Verhaftung allgemein als sehr dürftig empfunden wurden. Weshalb Andrej nach zweieinhalb Wochen aus der Haft entlassen wurde.
Gab es anschließend ein Verfahren?
ROTH: Nicht gegen Andrej. Drei andere Verdächtige sollen dabei erwischt worden sein, wie sie in Brandenburg versucht haben, Bundeswehr-Lkws anzuzünden. Der Prozess gegen diese drei läuft seit vergangenem Herbst.
Hatten Sie vor der Verhaftung etwas von der Überwachung geahnt?
ROTH: Nein, wir haben erst nach und nach realisiert, was das bedeutet, im Zentrum eines Terrorismusverfahrens zu stehen, welche Überwachungsmaßnahmen das mit sich bringt. Wir sind beide politisch aktiv und links und wussten, dass so etwas wie eine Hausdurchsuchung vorkommt. Aber was das konkret heißt, dass man bereits ein Jahr vor der Verhaftung unser Telefon abhörte, und E-Mails mitlas, das wurde uns erst nach und nach bewusst.
Wie lange danach sind Sie anschließend noch überwacht worden?
ROTH: Das geht wahrscheinlich bis heute weiter. Das Paragraf-129a-Verfahren gegen Andrej wurde inzwischen auf ein Paragraf-129-Verfahren zurückgestuft - Bildung einer kriminellen Vereinigung. Da wird noch ermittelt, mit welchen Überwachungsmaßnahmen wissen wir konkret nicht.
Wie gehen Sie mit dieser Überwachung im Alltag um?
ROTH: So furchtbar das klingt: In gewisser Weise gewöhnt man sich an das Gefühl, beobachtet zu werden. Das hat viel mit Verdrängung zu tun. Es ist mir bis heute unangenehm, ja ich finde es eklig, zu wissen, dass wahrscheinlich das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz jetzt gerade live mithören, während wir miteinander telefonieren. Genauso unangenehm ist es, zu wissen, dass Kameras auf unsere Wohnungsfenster und Haustüren gerichtet sind, dass uns Leute hinterherlaufen. Natürlich überlege ich mir dreimal, auf welche Internetseiten ich surfe. Ich konnte in den Akten ja lesen, dass ein bestimmtes Verhalten als verdächtig eingestuft wurde und das macht man dann genau nicht mehr. Aus diesem Grund habe ich angefangen, zu bloggen. So konnte ich andere Leute darüber informieren, was da stattfindet, Bekannte, die Öffentlichkeit. Und um dieses ständige innerliche Sich-umgucken zu dokumentieren, das andauernde Nachdenken darüber, was ich in eine E-Mail schreibe, was ich am Telefon sage, wie ich mich noch deutlicher ausdrücken kann, damit das nicht als verdächtiges Verhalten interpretiert wird. Aber egal, was du tust, es wird in der Beobachtung irgendwie interpretiert. Du kannst dich nicht richtig verhalten.
Man verhält sich also wie ein Bürger in Stalins Sowjetunion, der nie weiß, ob es nicht verdächtig ist, wenn er allzu eng an der Parteilinie bleibt?
ROTH: Ich habe viele Kommentare zu meinem Blog bekommen, die auf diese Ähnlichkeit hinweisen. Immerhin kann ich darüber bloggen, das ist ein relevanter Unterschied.
Nun könnte man den Verfassungsschützern ja empfehlen, einfach Ihren Blog zu lesen.
ROTH: Das tun sie auch.
Jenseits von rechtsstaatlichen Fragen: Der Aufwand der Überwachung lohnt sich doch nicht.
ROTH: Finde ich auch. Aber die Bundesanwaltschaft ist offensichtlich eine schlechte Verliererin. Die sind angeblich seit über anderthalb Jahren damit beschäftigt, eine DNA-Spur auszuwerten. Ich glaube aber, sie haben irgendwann realisiert, dass sie in unserem Fall daneben lagen und sich viel schlechte Presse eingehandelt haben.
Sie haben sich auch jenseits persönlicher Betroffenheit mit der staatlichen Überwachung beschäftigt. Ist Ihr Fall ist eine Seltenheit?
ROTH: Ich würde sagen, Andrejs Fall steht für ein besonders grobes Versagen der Bundesanwaltschaft und ist insofern eine große Ausnahme. Es ist aber kein völliger Einzelfall. Ich glaube schon, dass die Bundesanwaltschaft auch von dem Interesse geleitet wird, Daten zu sammeln. Wird so ein Verfahren gegen jemanden geführt, werden Freunde und Bekannte mit durchleuchtet. Da kann man Profile von politischen Szenen erstellen. Vielleicht vermutet man ja, dass demnächst die Republik von linken Terroristen gestürzt wird. Obwohl ich die seit Jahrzehnten nicht mehr wahrnehme. Es gibt auch die Theorie, dass sich die Abteilung „Linksterrorismus“ beim BKA nicht auflösen möchte, weil keiner Lust hat, Arabisch zu lernen.
Das Gespräch führte Christian Bos