Kreative Kriminalisten
Der Prozeß gegen die »militante gruppe« wird zum Desaster für die Ermittlungsbehörden
Kriminalhauptkommissar Stefan Nolte gibt sich Mühe, ruhig und gefaßt zu wirken. Doch unter seinem Stuhl rudert der 39jährige Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) ununterbrochen mit den Beinen. Es ist Donnerstag kurz nach 9 Uhr, und Nolte sitzt nervös im Hochsicherheitssaal 700 des Kriminalgerichts Berlin-Moabit.
Dort wird seit September 2008 gegen drei Mitglieder der linken Szene wegen versuchter Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verhandelt (jW berichtete). Die Berliner sollen am 31. Juli 2007 versucht haben, auf einem Gelände der Firma »MAN« in Brandenburg (Havel) mehrere Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden. Außerdem will ihnen die Bundesanwaltschaft (BAW) die Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (»mg«) nachweisen, der insgesamt 39 Brandanschläge zugeschrieben werden.
Doch nach 40 Verhandlungstagen droht der Prozeß zum Desaster für die Ermittlungsbehörden zu werden. Der Auftritt des Kriminalbeamten Nolte, der am Donnerstag als Zeuge geladen war, ist exemplarisch für die peinliche Pleiten-, Pech- und Pannen-Show, die BAW und BKA seit Monaten geben. Bereits bei der Untersuchung des mißglückten Anschlags auf die Militärfahrzeuge mußten die Ermittler diverse Erinnerungs- und Observationslücken einräumen, Staatsschützer präsentierten unbrauchbare Tonbandmitschnitte abgehörter Gespräche oder DNA-Spuren, die sich nicht zweifelsfrei zuordnen ließen.
Vollkommen absurd mutet mittlerweile der Versuch an, die Angeklagten der »mg«-Mitgliedschaft zu überführen. Zunächst berief sich Hans Elmar Remberg, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), auf die Einschätzungen eines V-Manns, den der Geheimdienst angeblich ins Umfeld der Gruppe eingeschleust hatte. Mittlerweile mußte das BfV jedoch zugeben, daß die Erkenntnisse lediglich »vom Hörensagen stammen«.
Ähnlich kreativ arbeitet auch das BKA. Seit 2001 ermittelt Kriminalhauptkommissar Nolte gegen die »mg«. In seinem Büro im nordrhein-westfälischen Meckenheim liest er deren Bekennerschreiben, analysiert Diskussionspapiere autonomer Gruppen. Eine dreistellige Zahl an einschlägigen Artikeln habe er mittlerweile studiert, erzählt der BKA-Beamte. Vor etwa fünf Jahren kam Nolte dann auf die Idee, selbst Beiträge für linksradikale Zeitschriften zu verfassen. »Wir wollten eine Reaktion der Szene provozieren, außerdem sollten mg-Mitglieder durch einen Hinweis im Text auf die Internetseite des BKA gelotst werden, auf der Besucher zu diesem Zeitpunkt registriert wurden«, so der Kriminalist nun vor Gericht. Nolte informiert die BAW über seinen Plan, und am 10. Februar 2005 erscheinte im Szeneblatt Interim ein Beitrag zur sogenannten Militanzdebatte der Autonomen. Die Autoren sind Nolte und sein Kollege Martin Kröger, die sich unter dem Pseudonym »Die Zwei von der Muppetshow« als linksradikale Gruppe ausgeben. Gut ein Jahr später folgt ein zweiter Artikel.
Bekannt wurde die ganze Aktion nur durch einen Fauxpas.Versehentlich hatten die Staatsschützer den Anwälten der Beschuldigten eine interne Version der Ermittlungsakten zugesandt. In denen wurde auf die Fälschung hingewiesen. Noltes Chef, BKA-Ermittlungsführer Oliver Damm, hatte zunächst bestritten, daß seine Behörde die Aufsätze geschrieben hat. Selbst der Vorsitzende Richter Josef Hoch reagiert darauf sichtlich düpiert. Warum es in den offiziellen Akten keinen Hinweis auf die Urheberschaft gebe, will er am Donnerstag wissen. Für die Aktenführung sei er nicht zuständig, gibt sich Nolte einsilbig. Stattd essen spricht der Kriminalhauptkommissar während der dreistündigen Befragung von »Indizien« und »Thesen«, er »vermutet« und »nimmt an«. Meistens jedoch weiß Nolte »nichts Genaues«. Ob er auch irgend etwas Konkretes sagen könne, fragt ihn Richter Hoch am Ende der Vernehmung. »Nein«, antwortet Nolte. Am 6. Mai wird der Prozeß fortgesetzt.