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Hohes Mitgrölpotential: »Out of control«, der Soli-Sampler für die Angeklagten im mg-Verfahren

In Berlin müht sich der Überwachungsstaat um die Verurteilung dreier angeblicher Täter im sogenannten mg-Verfahren. Den Angeklagten wird vorgewofen, sie hätten in Brandenburg versucht, Kriegsgerät der Bundeswehr zu zerstören. Über die in der Anklage formulierte versuchte Brandstiftung hinaus will die Bundesanwaltschaft ihnen die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung namens »militante gruppe« nachweisen. Die mg bekannte sich seit 2001 zu 25 Farb- und Brandanschlägen im Zusammenhang mit verschiedenen politischen Mobilisierungen und Auseinandersetzungen.

Um einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen, der mg und den Angeklagten zu konstruieren, zogen die Bundesanwälte haarsträubende Verbindungen zwischen dem Gebrauch bestimmter Ausdrücke, Artikel und Fotos, die bei Hausdurchsuchugen gefunden wurden, und sogenanntem »auffälligen konspirativen Verhalten«. Bisheriger Höhepunkt war die Inhaftierung des Stadtsoziologen Andrej Holm wegen des absurden Vorwurfs, er hätte in seinen Aufsätzen dieselben Begriffe wie die mg in ihren Bekennerschreiben benutzt. Hierbei handelte es sich um Allerwelts-Vokabeln wie »Gentrification« oder »Prekarisisierung«. Zwar kam er aus der Untersuchungshaft frei, doch wird gegen ihn weiter ermittelt. Überhaupt sind in Anbetracht der Überwachungsmaßnahmen, die schon im Vorfeld der Festnahmen durchgeführt wurden und jede Menge Menschen aus dem Umfeld der Angeklagten betrafen, die bisher aufgetauchten Beweismittel ziemlich dürftig, was aber die Bundesanwaltschaft nicht daran hindert, fleißig weiter zu konstruieren. Mittlerweile wurde mindestens ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen einen Menschen aus dem persönlichen Umfeld der Angeklagten bekannt. Allein in den vier Ermittlungsverfahren wurden seit 2001 Daten von über tausend Menschen gesammelt.

Nun gibt es eine umfangreiche Soli-CD für die Angeklagten im mg-Verfahren. Sie heißt »Out of control« und vereint auf drei Musik-CDs 60 internationale Künstler. Ein 28seitiges Booklet bietet alle wichtigen Informationen zum Verfahren und zu dessen politischen Implikationen. Es geht um die Verschärfungen des sogenannten Antiterrorparagraphen 129 bis zu den Ergänzungen §129a und b, um den Einsatz der Bundeswehr in aller Welt bis zur Darstellung der Praxis des Überwachungsstaats und seinen Möglichkeiten, auf unsere Daten zuzugreifen. Eine zusätzliche vierte CD liefert pädagogisch wertvolle Programme, Videos und Anleitungen rund um die Sicherheit am eigenen PC. Eine Gruppe namens »Allgemeiner Computerconfrontationsworkshop« (ACKW) hat Verschlüsselungssoftware und vieles mehr zusammengestellt, die den eigenen Computer sicherer machen sollen.

Jede der drei Musik-CDs präsentiert einen Musikstil: Politischer HipHop, Punk und eine Mischung aus Drum’n’Bass und Dub – was man halt so braucht im freien Radio. Es gibt unveröffentlichtes Material, unter anderem von Yok Quetschenpaua, der mit seinem Projekt »Revolte Springen«, die angelehnt an ein altes Kinderreimschema den Umgang mit Militärgerät beschreibt. Dazu kommen alteingesessene Autonomencombos wie Guts Pie Earshot und AOS3 und internationale Acts wie Watcha Clan oder La Fibre. Am Stück gehört wirkt »Out of Control« wie ein Mix von Antifa-Konzis und Tanzabenden in besetzten Häusern/Autonomen Zentren, was teilweise an der nicht immer ausgereiften Qualität der Aufnahmen liegt. Einige verfügen über ein hohes Mitgrölpotential, wie geschaffen für den Demo-Lautsprecherwagen. Damit kann man zwar keine allzu große Massenwirkung erreichen, aber die vorhandene Szene kulturell und politisch zusammenschweißen. Gutes Zeug für die Aktivistencliquen, um aus den Kellern und neonbeleuchteten Versammlungsräumen in die Nacht aufzubrechen – »strictly underground«.

Das Geld, das die liebevoll handgefaltete und geklebte Compilation einspielt, fließt direkt in die Soli-Arbeit für das mg-Verfahren.

V.A.: »Out of control« (twisted chords) * www.twisted-chords.de