Interview mit dem Bündnis für die Einstellung der §129-Verfahren
Am 17. Februar ging das Verfahren gegen zwei Berliner Antimilitaristen, die der Billigung von Beschädigungen von Militärfahrzeugen bezichtigt wurden, mit einem Freispruch zu Ende. Zum Verlauf dieses und weiterer Verfahren sowie zur Arbeit gegen das politische Strafrecht nach §129a und b befragte der Schattenblick den Prozeßbeobachter Arthur Schüler vom Berliner Bündnis für die Einstellung der 129-Verfahren.
Schattenblick: Der Freispruch im Strafverfahren vor dem Berliner Amtsgericht im Fall gegen zwei Berliner Antimilitaristen, die beschuldigt wurden, im April 2008 Aufkleber angebracht zu haben auf denen ein brennendes Bundeswehrfahrzeug mit der Aufschrift "Why Not?" zu sehen war, erfolgte anhand des Rechtskonstrukts "unvermeidbarer Verbotsirrtum". Hat das Gericht damit nicht den Vorwurf der Strafbarkeit aufrechterhalten?
Arthur Schüler: Ja, das ist richtig. Verbotsirrtum heißt ja, daß man unabhängig davon, ob man eine Straftat begangen hat oder nicht, freigesprochen wird, weil man in dem Wissen handelte, keine Straftat zu begehen. Das war in diesem Fall so, weil der Berliner Innensenator, also der höchste Berliner Jurist, Herr Erhart Körting, im Februar 2008 gesagt hat, er erkenne keine strafbare Handlung im Motiv des brennenden Bundeswehrjeeps. Darauf haben sich die Angeklagten bezogen, und Richterin und Staatsanwältin haben dann gesagt: Wenn sogar der oberste Jurist mehrfach erklärt, das sei nicht strafbar, dann muß ein normaler Bürger davon ausgehen, daß das stimmt. Deswegen kann nicht verurteilt werden, obwohl die Richterin in ihrer mündlichen Urteilsbegründung durchaus angedeutet hat, daß eine Straftat vorgelegen haben kann.
SB: Es bleibt also im Grunde offen, ob dieses Motiv einen Straftatbestand darstellen würde. Das für den Aufkleber verwendete Bild stammt von einem Buchumschlag des 1966 erstmals erschienenen Werkes "Ende einer Dienstfahrt" von Heinrich Böll. Darin geht es um eine Gerichtsverhandlung gegen Vater und Sohn, die einen Bundeswehrjeep auf offener Straße in Brand gesteckt haben und dies als künstlerisches Happening verstehen. Böll läßt ihren Verteidiger in seinem Plädoyer erklären: "Sachbeschädigung im Sinne einer kunstfeindlichen Theorie sei alle Kunst, da sie Material verändere und sogar direkt zerstören könne." Welche Rolle hat die Bezugnahme auf dieses literarische und kunsttheoretische Vorbild in dem Prozeß gespielt?
AS: Meiner Auffassung nach eine viel zu geringe. Die Angeklagten haben das in ihrer Erklärung erwähnt, die Richterin und die Staatsanwältin sind gar nicht drauf eingegangen. Allerdings haben die Anwälte dann in ihren Plädoyers darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Cover dieses Buches um ein Kunstwerk eines Schweizer Künstlers handelt und daß der Satz "Why Not?" eine Anspielung von einem Plakat der Friedensbewegung ist, auf dem ein Soldat erschossen wird und fällt, darüber steht groß: "Why?" Dieser Aufkleber oder dieses Plakat, das zu der Veranstaltung ("Kriegsgerät interessiert uns brennend" in Berlin am 23. Februar 2008 - SB) mobilisierte, war sozusagen eine Collage aus diesen beiden Kunstwerken - aus zwei Kunstwerken ist sozusagen ein neues Kunstwerk entstanden. Die Rechtsanwälte haben argumentiert, es handle sich nicht um eine Straftat, sondern dieser Aufkleber falle unter das Grundrecht auf Kunstfreiheit, aber darauf ist die Richterin überhaupt nicht eingegangen.
SB: Also hat das Gericht vermieden, einen Präzedenzfall zu schaffen, auf den sich möglicherweise andere Aktivisten später berufen könnten?
AS: Das ist leider richtig.
SB: Der Prozeß stand ja in einem indirekten Zusammenhang zu dem mg-Verfahren, in dem drei Antimilitaristen die Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angelastet wird. Die damit gemeinte militante gruppe wurde anfangs als terroristische Vereinigung verfolgt, wie kam es zu dieser Zurückstufung und wie ist dieser Vorgang politisch zu bewerten?
AS: Auf Grund einer neuen EU-Gesetzgebung kam es zu einer Änderung der §§129 und 129a des Strafgesetzbuches, die eine Neudefinition des Terrorismus beinhaltete. Darauf haben die Anwälte der vier im Sommer 2007 verhafteten Personen hingewiesen. Sie konnten die Richter in Karlsruhe überzeugen, daß es sich bei den Taten der militanten Gruppe nicht um Terrorismus handelte. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat dann schriftlich festgestellt, daß die Taten der militanten Gruppe - Farbbeutel und Brandanschläge auch auf Fahrzeuge - nicht die Grundfeste der Bundesrepublik in Frage stellen oder gefährden. Daher sei die militante Gruppe keine terroristische Vereinigung, sondern höchstens eine kriminelle Vereinigung. Das Verfahren wurde dann heruntergestuft von §129a auf §129, so daß in diesem Prozeß nur nach §129 StGB verurteilt werden kann.
SB: Handelt es sich dann überhaupt um einem Staatsschutzprozeß, wenn es eigentlich um den Vorwurf der gemeinschaftlichen Brandstiftung geht?
AS: Das ist eine gute Frage, die wahrscheinlich auch noch in diesem Prozeß thematisiert werden wird. Staatsanwalt und Gericht würden diese Frage bejahen, wir zweifeln das an.
SB: Also könnte man im weiteren Sinne sagen, daß es dabei um die Rahmenbedingungen politischen Handelns überhaupt geht. In gewisser Weise findet da ja eine Bewertung des politischen Charakters dieser Straftaten seitens des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft statt. Wenn der Staat, der die Maßstäbe für Terrorismus im allgemeinen sehr eng zieht, plötzlich sagt, das ist nun keiner mehr, dann könnte man vielleicht vermuten, daß da möglicherweise eine Strategie der Verharmlosung oder Schwächung dieser Aktionsform steckt?
AS: Ja, das ist ein Gedanke, der auch bei uns kursiert, daß auf diese Weise eine Entpolitisierung stattfindet. Einige betrachten es durchaus als eine Entpolitisierung, wenn von Kriminellen gesprochen wird, weil damit der politische Charakter entzogen wird, aber letztendlich ist es natürlich ein Erfolg, weil das für die Angeklagten nur die Hälfte der Strafe bedeutet.
SB: Das ist klar.
AS: Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wird mit maximal 10 Jahren verurteilt, bei einer kriminellen Vereinigung beträgt die Höchststrafe 5 Jahre.
SB: Wie wir aus einem Interview mit der Lebensgefährtin von Andrej Holm, Anne Roth (gulli.com, 04.02.2009), erfahren haben, wird weiter gegen den Sozialwissenschaftler ermittelt, obwohl der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben wurde. Was ist über die Begründung der Bundesanwaltschaft zu der andauernden Strafverfolgung eines Mannes bekannt, der wegen der Verwendung spezifischer Begriffe ins Visier der Terrorfahnder geriet?
AS: Es ist richtig, daß gegen Andrej Holm und gegen drei seiner Freunde, die ebenfalls der Mitgliedschaft in einer militanten Gruppe beschuldigt werden, die allerdings nicht vor Gericht stehen, weiter ermittelt wird. Das ergibt sich auch aus diesem Prozeß, weil die Ermittlungen auch gegen Andrej Holm immer wieder einmal Thema sind. Was letztendlich dabei herauskommt, wissen wir nicht. Es kann durchaus sein, daß das Verfahren gegen Andrej Holm eingestellt wird, wie viele andere nach §129 und §129a auch. Ich persönlich gehe davon aus, daß das so sein wird, daß man einfach nichts in der Hand hat, was eine Anklage rechtfertigt.
SB: Wie verhält es sich mit der Solidarität der Akademiker? Hat man Angst, mit radikaler, linker Politik assoziiert zu werden, oder bekennt man sich dazu, daß es zur demokratischen Freiheit gehört, auch einen revolutionären Standpunkt haben zu können?
AS: Die Solidarität der Wissenschaftler war nach den Verhaftungen sehr groß und dafür sind wir auch sehr dankbar. Sie haben eine große Öffentlichkeit geschaffen und haben mit dazu beigetragen, daß dieser Fall in der Öffentlichkeit skandalisiert wird. Das ist schön und freut uns, wir müssen jedoch feststellen, daß die Stimmen der Wissenschaftler etwas abgenommen haben. Es ist nicht mehr so wie im Sommer 2007, daß sie sich zusammentun, Resolutionen schreiben und zu Unterschriften aufrufen, aber das ist ja meistens in der Solidaritätsarbeit so, daß der Schwung im Laufe des Prozesses dann ein bißchen abnimmt.
SB: Erhalten Sie bei Ihrer Arbeit für die Einstellung der §129-Verfahren Unterstützung aus politischen Parteien?
AS: Es gibt Abgeordnete und Mitglieder der Linkspartei, die diesen Prozeß beobachten, die ab und zu zum Prozeß kommen und auch Presseerklärungen dazu geschrieben haben. Es gibt auch vereinzelt Kontakte in die Partei Die Grünen, die den Fall Andrej Holm auch als Skandal bezeichnet haben.
SB: Die Frage der Unterstützung hat ja auch damit zu tun, daß diese Art von Strafrecht eine einschüchternde Wirkung entfaltet, die unter anderem dadurch erweitert wurde, daß das Bundeskriminalamt jetzt ebenfalls für §129a-Delikte zuständig ist. Wie beurteilen Sie die einschüchternde Wirkung des vor allem für Ermittlungs- und Ausforschungszwecke eingesetzten politischen Strafrechts auf linke Aktivisten und die außerparlamentarische Opposition? Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an die Medienkampagne gegen die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel, die vor Übernahme dieses Postens ihre Mitgliedschaft in der Roten Hilfe aufkündigen mußte.
AS: Wir als Einstellungsbündnis lehnen natürlich diese Ermittlungs- und Ausforschungsparagraphen 129, 129a und 129b ab und fordern ihre Abschaffung. Sie werden ja schon seit ihrer Existenz vor allem gegen die politische Linke eingesetzt, in der Bundesrepublik waren das in den 50er und 60er Jahren die Kommunisten, später aber auch die Pilotenvereinigung Cockpit beispielsweise, auch verbeamtete Menschen, die gestreikt haben, wurden nach §129 verfolgt. Das reicht bis in die heutige Zeit hinein, gegen autonome Antifaschisten und eben Menschen, denen die Mitgliedschaft in einer militanten Gruppe vorgeworfen wird. Es ist also wirklich, wie Sie gesagt haben, ein politisches Sonderstrafrecht - Vereinigungskriminalität -, mit dem allein die Mitgliedschaft in einer Vereinigung unter Strafe gestellt werden kann, obwohl man selbst an keiner Straftat beteiligt war. Repression schüchtert immer etwas ein, aber Protest und Widerstand wird es trotzdem weiter geben.
SB: Aber Sie haben als Einstellungsbündnis nicht direkt damit zu kämpfen, daß Sie auf Grund Ihrer Arbeit gegen dieses Strafrecht ausgegrenzt oder vielleicht sogar auf irgendeine Weise drangsaliert werden?
AS: Nein, gegen uns selbst gibt es noch keine direkte Repressionen. Aber wir gehen davon aus, dass auch wir im Einstellungsbündnis von den Ermittlungsbehörden durchleuchtet werden. Im Gerichtssaal gibt es eigens abgestellte Beamte, die die Reaktionen des Publikums und einzelner Personen bewerten sollen. Wer sich in diesem Land systemkritisch äußert oder engagiert, gerät ins Visier von Ermittlungsbehörden.
SB: Was läßt sich zur Anwendung des §129b sagen?
AS: Der befindet sich seit etwa fünf Jahren im Strafgesetzbuch und stellt die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung unter Strafe, die im Ausland tätig ist. Nach §129b finden derzeit Prozesse in Stuttgart-Stammheim statt. Die juristische Anzweifelbarkeit gerade auch dieser aktuellen Prozesse liegt unter anderem darin, daß auf Zeugenvernehmungen zurückgegriffen wird, die in Folterstaaten erlangt worden sind. Diese Zeugen werden nicht in die Bundesrepublik kommen und noch einmal aussagen, daher kann es durchaus sein, daß Urteile auf Aussagen beruhen, die unter Folter erzwungen wurden, und das ist natürlich unter juristischen Gesichtspunkten mehr als fragwürdig. Damit ist auch dieser Paragraph in Frage gestellt.
SB: Die Erweiterung des Staatsschutzstrafrechts um neue Straftatbestände nach den §§89a und 89b zielt auf potentielle Einzeltäter ab, die nicht durch die Strafbarkeit der Bildung einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung verfolgbar sind. Die ihnen angelasteten Vorbereitungshandlungen greifen weit ins Feld bloßer Informations- oder Gesinnungsdelikte hinein und verlangen den naturgemäß schwer zu erbringenden Nachweis, daß sie in der Absicht vollzogen wurden, terroristische Straftaten zu begehen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung vor dem Hintergrund des bisherigen Versuchs, nach §129a vor allem kollektive Zusammenhänge in der Linken zu kriminalisieren?
AS: Dieser seit mehreren Jahren unter anderem von Wolfgang Schäuble unternommene Versuch, die §§129 und 129a auch auf Einzelpersonen anwenden zu können, bringt die ganzen Probleme mit sich, die auch diese Vereinigungs-Paragraphen betreffen. Es wird ein weiteres politisches Sonderstrafrecht geschaffen, das dazu führt, daß Menschen auf Grund ihrer Gesinnung verurteilt werden können. Das ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für uns einfach nicht in Ordnung.
SB: Diese neuen Paragraphen des Staatsschutzstrafrechts richten sich auch gegen sogenannte Islamisten und ähnliche Personen. Fühlen Sie sich als Einstellungsbündnis auch dafür zuständig, mit diesen Menschen solidarisch umzugehen?
AS: Wir haben über diese Idee von Wolfgang Schäuble und diese Paragraphen schon auf Veranstaltungen berichtet und werden das weiter tun. Und natürlich sind wir solidarisch mit Menschen, die unter einer politischen Gesinnungsjustiz leiden müssen, auch wenn wir nicht unbedingt deren Ansichten teilen, aber diese Paragraphen lehnen wir ab und damit auch die Anwendung dieser Paragraphen.
SB: Stützt sich das Einstellungsbündnis auf eine größere Gruppe von Aktivisten?
AS: Es ist eine zweistellige Zahl, die sich aus Vertretern verschiedener Gruppen vor allem aus Berlin zusammensetzt.
SB: Herr Schüler, wir danken Ihnen für dieses ausführliche Gespräch.
Abb.: SB-Redakteure beim Telefoninterview mit A. Schüler vom Einstellungsbündnis.