Ein Prozeßtag im Oktober
Berlin, Moabit.
Amtsgericht Tiergarten. 15. Oktober, 13 Uhr.
Der fünfte Prozesstag des 129a Verfahrens gegen Axel H., Oliver R. und Florian L. Der Vorwurf: Bildung einer terroristischen Vereinigung, der 'militanten gruppe'. Sie sollen versucht haben, Bundeswehrfahrzeuge auf dem Gelände der MAN-AG in Brandenburg/Havel anzuzünden. Sie wurden am 31. Juli 2007 festgenommen.
Fünf Polizeiwagen stehen geparkt vor dem Amstgericht. "Beim ersten Prozesstag war noch viel mehr Polizei hier ", erzählt ein junger Mann, der vor der Tür des Nebeneinganges des Amtsgerichts steht. Er wartet - mit Personalausweis und zwei angespitzten Bleistifen in der Hand - darauf, dass ihm die Tür geöffent wird. Auch er will sich als Zuhörer den Prozess anschauen. Die schwere Tür geht automatisch auf. Ich sehe einen Polizisten, der mir zuwinkt. "Bitte immer nur zwei Personen", höre ich ihn sagen. Es stehen drei Menschen vor der Tür des Amtsgerichts. Ich gehe mit einem anderen jungen Mann hinein, an dem Polizisten vorbei und biege links in einen kleinen Raum ein. Dort stehen zwei Beamte. Eine Polizistin durchsucht meine persönlichen Sachen. Und kopiert meinen Personalausweis. Sie trägt Handschuhe. Sie tastet mich ab. "Sie müssen wirklich alles abgeben", fordert sie mich auf. "Ich kann ja auch nichts dafür. So sind die Vorschriften", fügt sie hinzu. Meine Jacke, in der sich noch Kleingeld befindet, lege ich auf meine Tasche, die sich auf einem der drei Schreibtische befindet. "Ziehen sie jetzt bitte die Schuhe aus", sagt sie freundlich. Ich schlüpfe aus meinen Turnschuhen. Sie tastet meine Schuhe und dann meine Füße ab.
Ich darf meine Schuhe wieder anziehen, bekomme zwei kleine Zettel von ihr gereicht. Einen weissen Zettel, damit ich in den Zuhörerraum 700 gelange. "Den müssen sie an der Tür abgeben", erklärt sie. Sie gibt mir noch einen grünen Zettel, auf dem sich eine Nummer befindet. "Fürs Schliessfach", fügt die Polizistin noch schnell hinzu. Ich schaue noch einmal genauer hin. 64 Schliessfächer. "Wo gehts denn jetzt lang ?" frage ich die Beamtin. "Einfach nur nach oben. Ganz einfach."
Ich gehe fünf Etagen hoch. Sehe zwei Polizisten auf den Treppen stehen. Und öffne die Tür des Sitzungssaals 700. Ein Beamter steht neben der Tür dem ich meinen weissen Zettel geben muss. Es ist ein zerknittertes Stück Pappe. Ich nehme in der Zuhörerreihe Platz. Es sind noch etwa 20 weitere Zuhörer anwesend. Jedem Zuhörer ist es gestattet 10 Blatt Papier oder 10 Taschentücher und einen Bleistift mit in den Saal zu nehmen. Mein Anspitzer aus Plastik liegt unten im Schliessfach.
Ich schaue zu dem Verteidiger. Er sagt, die Angeklagten werden stigmatisiert. Wegen den Sicherheitsverfügungen. Er fordert, dass die Anzahl der Polizisten, die sich im Saal befinden, ins Protokoll aufgenommen werden sollen. Ich zähle sechs Polizeibeamte in Uniform. Zudem führt er auf, dass er nicht versteht, warum sich das Bundeskriminalamt (BKA) im Saal befindet. "Das BKA sei nicht verfahrensbeteiligt", begründet er. Der zuständige Richter Hoch erklärt, dass wenn genug Platz in der Zuschauerreihe ist, können auch dort Beamten des BKA Platz nehmen. "Es ist jetzt auch kein Anlass mehr für weitere Erklärungen", fügt der Richter hinzu. Eine Pause von 15 Minuten wird eingeräumt. Ich stehe von meinem Platz auf, gehe an dem Beamten vorbei, dem ich zuvor meinen weissen Zettel gab, erhalte einen weissen Zettel von ihm zurück und verlasse den Saal. Mit den anderen Zuhöreren befinde ich mich im Flur. Es ist wenig Platz. Zwei Polizeibeamte stehen in unmittelbarer Nähe auf der Treppe, die nach unten führt. Zu den Schliessfächern. Unter anderem. Eine junge Frau öffnet das Fenster, das sich im Flur befindet. Es ist vergittet. Straßenlärm ist zu hören. Die Zuhörer unterhalten sich leise. Aber angeregt. Nach einigen Minuten - ich trage keine Uhr bei mir - öffnet sich die Tür des Saales. Ich muss den weissen, zerknitterten Zettel abgeben, nehme wieder Platz. Auf der ungemütlichen Holzbank.
Es geht weiter. Und zwar um die Waffen, die die Polizeibeamten im Saal tragen. Die Verteidigerin will wissen, wie viele Waffen sich im Raum befinden würden. "Das entspricht alles den Sicherheitsverfügungen", erwidert der Richter. Plötzlich lacht eine Zuhörerin laut los. Weitere Zuhörer kichern mit. "Kommen sie sofort nach vorne", fordert der Richter sie auf. "Ich?" fragt eine junge Frau. "Ich habe auch gelacht," fügt eine andere Frau hinzu. "Ich auch", höre ich einen Mann sagen. "Wir haben alle gelacht", stellt eine junge Frau fest. "Dann müssen wir jetzt alle nach vorne." Der Richter schnauft : "Nein, nicht alle. Nur die eine Frau hier vorne und die andere Frau dahinter." Beide Frauen stehen kopfschüttelnd auf, treten zum Richter. Eine der Frauen trägt bunte Strümpfe, die sie weit über ihre Beine gezogen hat.
Der Richter fordert sie auf, nicht noch einmal zu stören. Nicht laut zu lachen. Es sei seine letzte Warnung, sonst müssen beide in ein Ordungsgeld in Höhe von bis zu 1000 Euro zahlen. Oder in Ordungshaft. Die Frauen entschuldigen sich, drehen sich um und nehmen kichernd wieder in der Zuhörerreihe Platz.
Die Diskussion über die Waffen im Saal dauert an. Bis der Anwalt eine Pause einräumt. Ich stehe wieder auf, erhalte einen weissen, zerknitterten Zettel von dem Beamten, stelle mich auf den Flur. Wie alle anderen Zuhörer auch. "Die sind aber ganz schön nervös hier", bemerkt eine Frau, die sich an die Wand lehnt. Einige Zuhörer stimmen ihr zu. "Eben habe ich mich wie in der Schule gefühlt", erzählt eine der Frauen, die einige Minuten zuvor noch vor dem Richter stand. "Wie in der 1. Klasse. Am liebsten hätte ich weiter gelacht, " sagt sie schmunzelnd. Einige Minuten später öffnet sich wieder die Tür.
Ich gebe meinen weissen, zerknitteten Zettel ab, setze mich wieder hin. Es soll nicht weiter über die Sicherheitsverfügungen diskutiert werden. Sagt der Richter bestimmend. Er wolle auch keine Erklärungen mehr abgeben. Sie hätten schließlich noch eine Zeugin zu hören. Die Verteidigerin beantragt eine freie Sicht auf die Zeugen. Schließlich hätten weder Verteidigung noch Angeklagten an den vorher gegangen Prozesstagen die Zeugen eindeutig sehen können.
Die anwesenden Rechtsanwälte schliessen sich dem Antrag an. Einer der Anwälte verlangt, die Sitzung zu vertagen, da er aus zwingenden privaten Gründen den Saal verlassen müsste. Spätestens um 14.30 Uhr. Ich drehe mich um und schaue auf die große Uhr, die hinter mir hängt. Es ist kurz nach 14 Uhr. Der Richter räumt eine fünfminütige Pause ein.
Ich stehe wieder auf, gebe meinen weissen, zerknitternten Zettel bei dem Beamten ab, stelle mich mit den anderen Zuhörern auf den Flur. "Die Polizei stört mich hier," bemerkt eine blonde Frau. Ich schaue mich um. Die zwei Beamten stehen immer noch auf der Treppe. Eine junge Frau und ein junger Mann. Beide mit verschränkten Armen. Beiden fallen ab und zu die Augen zu. Sie sehen gelangweilt aus. Der Polizist steht an einer Wand angelehnt. Ob ich ihm sagen soll, dass die Antenne seines Funkgerätes abgeknickt ist? Ich entscheide mich dagegen. "Man kann sich hier gar nicht in Ruhe unterhalten", führt die Frau fort. "Wir müssen hier ja nicht die nächste Hausbestetzung besprechen", bemerkt eine andere Frau kichernd. Und lacht los. Der Richter kann das nicht hören. Die Tür zum Saal wird geöffnet, ich erhalte wieder einen zerknitterten, weissen Zettel, nehme wieder Platz.
Die Sitzung soll verschoben werden. Auf morgen. Es ist etwa 14.23 Uhr. Ich stehe wieder auf, gebe meinen weissen, zerknitterten Zettel ab, verlasse den Saal, gehe die Treppen hinunter. Unten angekommen, erhalte ich von der Polizistin meine persönlichen Sachen zurück. Ich schaue mich noch kurz um. Ein SPIEGEL schlägt aufgeschlagen auf einem der Schreibtische. Zwei Polizeibeamte sitzen auf zwei Stühlen. Es sieht so aus, als hätten sie nichts anderes zu tun.
Außer Sitzen. Die Polizistin trägt ihre Handschuhe immer noch. Genauso wie ihr Kollege, der für die männlichen Zuhörer zuständig ist. Ich verabschiede mich und verlasse das Gebäude.
Die fünf Polizeiwagen stehen immer noch vor der Tür.