Was tun die da eigentlich?

Wer sich mal die Mühe macht, im besonders gesicherten obersten Stockwerk des Gerichtskomplex Berlin-Tiergarten einen der Verhandlungstage im sogenannten mg-Prozess zu besuchen, der kann dort den deutschen Rechts-Staat in seinem ganzen Irrsinn erleben.

Zuschauer dürfen dazu paarweise in eine Schleuse im Erdgeschoss eintreten, wo ihre Ausweise fotokopiert werden und ihnen mit Ausnahme eines Bleistiftes und zehn Blatt Papier alle persönlichen Sachen abgenommen werden. Die Durchsuchung erstreckt sich dabei auch auf das Ritual des Schuhe-Ausziehens und eine Ganzkörper-Abtastung. Auf eine Durchsuchung von Körperöffnungen wird allerdings großzügig verzichtet. Nach der Durchsuchung geht es dann eine lange enge Nebentreppe hinauf zur Tür des Gerichtssaales. Vom ausweglosen Treppenhaus geht eine Tür zu einem zum Polizeimannschaftsraum umfunktionierten Gerichtssaal ab. Zwei Uniformierte passen auf das vom übrigen Gerichtsgebäude abgetrennte Treppenhaus auf. Vor dem Gerichtssaal im oberen Stockwerk dürfen Zuschauer in einem nackten Treppenhausabsatz vor der Tür warten, bis sie in den Gerichtssaal hineingelassen werden.

Der Gerichtssaal selbst ist ein großer alter Raum. Die Glaskäfige an den Seiten sind derzeit zur Zurschaustellung der Angeklagten nicht in Benutzung. Hinter den Zuschauern sitzen uniformierte Polizisten. Unter die Zuschauer mischen sich wie selbstverständlich BKA-Leute und vermutlich auch Agenten vom BfV. Vor den Zuschauern sitzen einige Pressevertreter. Links sitzen nochmal reichlich Sicherheitsheitskräfte. Zur Linken finden sich die drei Anwälte und ihre jeweils zwei Verteidiger, vorn sitzt in der Mitte ein Schwarm Richter, von denen lediglich dem Chefrichter Josef Hoch anzumerken ist, dass er nicht schläft und rechts sitzen ein Herr Weingarten und eine Frau mit bayerischem Akzent von der Generalbundesanwaltschaft. Hinter den Richtern befindet sich ein Schrank, in dem die etwa aus 60 Ordnern bestehenden Akten des Verfahrens stehen. Dazu sitzt rechts unten noch eine Frau, die als Sachverständige vorgestellt wird.

Vorgeworfen wird den Angeklagten eine versuchte Brandstiftung sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung hatte der Bundesgerichtshof der Generalbundesanwaltschaft zuvor weggestrichen. Aus diesem Grund sind die drei Angeklagten auch gegen Kaution auf freiem Fuß. In Anbetracht dessen, dass die Angeklagten selbst zum Gericht kommen, fragt man sich unwillkürlich, ob die ganzen Sicherheitsleute aus optischen Gründen zur Einschüchterung von Angeklagten und Abschreckung von Zuschauern da sind.

Am Mittwoch war der 13. Verhandlungstag und es wurde Ulrike Alles, KOKin beim BKA Meckenheim und nach eigener Aussage seit Oktober 2006 Ermittlungsführerin in diesem Ermittlungsverfahren zu einer sogenannten militanten Gruppe (mg), als Zeugin befragt. Sie saß vorn in der Mitte des Saales mit dem Rücken zu Publikum, Anwälten und Angeklagten.

Gegen 09:00 Uhr begann der Verhandlungstag. Zuerst wurde erstmal von Chef-Richter Hoch verlesen, dass Befangenheitsanträge gegen das Gericht, also gegen ihn und seine Nebenrichter, von ihnen abgelehnt wurden. Auch die Aufzeichnungen, die sich Frau Alles als Zuschauerin des Prozesses zuvor gemacht hatte, konnten leider nicht zu den Akten gericht werden, da diese zwischenzeitlich vernichtet wurden. Und die BKA-Leute, die sonst im Zuschauerraum mitgeschrieben haben, durften nicht als Zeugen geladen werden, weil die zum Verfahren angeblich nichts beitragen können.

Die Befragung der Zeugin Alles dauerte den ganzen Tag. Im Wesentlichen hatte Ulrike Alles drei Textbausteine parat, mit denen sie den Fragen begegnete: "Dafür war ich nicht zuständig.", "Da kann ich mich nicht dran erinnern." und "Dafür habe ich keine Aussagegenehmigung."

Begründet wurde ihre Aussageverweigerung mit der Notwendigkeit zur Geheimhaltung von laufenden Ermittlungen, Einsatzgrundsätzen und Ermittlungs- und Auswertungssystemen. Was Ermittlungs- und Auswertungssysteme sind, wusste Ermittlungsführerin Ulrike Alles allerdings angeblich nicht. Von einer Textdatenbank GLINS habe sie schon einmal gehört. Ob das BKA das verwende oder das Bundesamt für Verfassungsschutz sei ihr unbekannt. SIe dürfe das auch nicht sagen.

In einem Rechtsstaat, wo Angeklagten als Beweismittel vorgehalten wird, Textvergleiche mit Schlüsselwörtern wie "Reproduktion" und "Propaganda der Tat" hätten ergeben, dass sie schuldig seien, ist das bemerkenswert. Wie die Anklage darauf kommt, dass solche Worte ein Beweismittel gegen die Angeklagten sein soll, wäre für die Verteidigung natürlich wichtig, denn möglicherweise verwenden auch noch andere Personen solche Worte. Sollten die Angeklagten ihnen zur Last gelegten Texte nicht verfasst haben, fällt der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in sich zusammen.

Denkbar ist beispielsweise, dass Geheimdienste im Rahmen einer Strategie der Spannung selbst Brandanschläge organisierten und Texte, die sie mit dem Kürzel "militante Gruppe" zeichneten, anonym zur Veröffentlichung gaben. Schließlich nutzen Brandanschläge, die Linken in die Schuhe geschoben werden können, vor allem dem Verfassungsschlachter Wolfgang Schäuble und den bekannten Hetzern der Milliardärspresse. Die NATO hat im Rahmen von Gladio in der Vergangeheit bekanntermaßen mit eben diesem Kalkül Anschläge organisiert.

Auch bei den Beweismitteln zu dem angeblich begangenen versuchten Brandanschlägen sah es dürftig aus. Als Beweis dafür, dass die Angeklagten aus Drei-Liter-Gefrierbeuteln gebastelte Brandsätze gebaut hatte, sollte eine Quittung über den Kauf von Sechs-Liter-Gefrierbeuteln dienen. Die BKA-Zeugin wollte dazu nichts sagen. Ja, es könne sein, dass auch mal Sechs-Liter-Beutel verwendet wurden. Sie wisse aber nichts davon, weiß nicht einmal, ob irgendjemand mal überprüft hat, ob das überhaupt funktioniert, damit Brandsätze zu bauen. Wie die Verhaftung abgelaufen sei, dürfe sie nicht sagen, das seien geheime Ermittlungsgrundsätze. Ob da vielleicht Geheimdienstler die zur angeblich versuchten Brandstiftung hingelegten Pakete selbst hingelegt haben, um jemand was in die Schuhe zu schieben, lässt sich so jedenfalls auch nicht klären. Dmait würde dann auch der Vowurf der versuchten Brandstiftung in sich zusammenfallen.

Die Verteidiger beantragten mehrfach, die Aussageverweigerungen zu protokollieren. Richter und Generalbundesanwaltschaft lehnten das jeweils ab. Schießlich wurde bei den offensichtlich vorgeschobenen Aussageverweigerungen deutlich, dass der Prozess manipuliert wird und da ist es verständlich, dass das nicht ins Protokoll soll. So beantragten die Verteidiger dann jeweils einen Beschluss zu den Weigerungen, die Aussageverweigerungen der BKA-Zeugin ins Protokoll zu nehmen, der dann eben doch ins Protokoll kam. Das Gericht zog sich dabei jeweils zur Beratung zurück, die Zuschauer mussten solang wieder im kargen Treppenhaus warten, die Richter riefen dann wieder herein und verkündeten die Ablehnung der Protokollierung. Sinn macht dieses Vorgehen seitens des Gerichtes eigentlich nur, um der Generalbundesanwaltschaft Gelegenheit zu geben, sich vor weiteren Fragen mit der Zeugin, die in ihrem Auftrag gegen die Angeklagten ermittelt, abzusprechen.

Nach der Mittagspause klappte die Zusammenarbeit von Zeugin, Staatsanwaltschaft und Richtern besser. Da versuchte die Generalbundesanwaltschaft ihrer Zeugin, die, obgleich sie mit dem Rücken zum Publikum saß, bei ihren Erinnerungslücken und Aussageverweigerungen zunehmend unsicher wirkte, mit Einwürfen aus der Patsche zu helfen, dass die jeweilige Frage unzulässig sei. Genutzt hat das natürlich nichts. Es wurde beantragt, die Frage zuzulassen, und, wenn sie nicht zugelassen wurde oder die BKA-Dame sich anstatt auf eine fehlende Erinnerung auf die Begrenztheit ihrer Aussagegenehmigung berief, das zu Protokoll zu nehmen. Nach dem obligatorischen Rauswurf der Zuschauer wurde dann verkündet, dass das beschlossen wurde, die Aussageverweigerung nicht zu Protokoll zu nehmen und dieser Beschluss dann ins Protokoll aufgenommen.

Ansonsten erfuhren Prozessteilnehmer von der Ermittlungsführerin beim BKA, dass sie nicht wisse, auf was für einem Anfangsverdacht das Verfahren basiert, sie keine Ahnung habe, was ein Personenraster ist und sie die Texte nicht gelesen hat, die der mg oder den Angeklagten zugerechnet werden. Dazu könne sie deshalb auch nichts sagen. Aber immerhin wusste sie, dass sie einen Kollegen Nolte hat, der sowas wohl macht. Dass angeblich das unauffälligste Mitglied im Notfall Autos anmieten sollte, und das angebliche Tatfahrzeug ausgerechnet von dem Einzigen angemietet wurde, der im Gegeninformationsbüro engagiert war, erklärte sie sich damit, dass mit unaufällig wohl nur gemeint ist, keine laufenden Verfahren zu haben.

Mit einem Team von Kollegen, die ein anderes Ermittlungsverfahren gegen die mg führen, gebe es regelmäßig Besprechungen, aber was da besprochen wird, habe sie vergessen, es gehe jedenfalls nicht um dieses Strafverfahren. Auf Nachfrage erklärte sie dann, doch, es gehe natürlich auch um Nachlieferungen zu den Akten dieses Verfahrens, aber natürlich keinesfalls um verbotene Prozessabsprachen. Angesichts solcher Aussagen ist es verständlich, warum Richter Hoch Zuschauern für Lachen 1000 Euro Strafe androht.

Ulrike Alles verweigerte dann sogar eine Antwort auf die Frage, ob es richtig sei, was in einer ihrer zur Akte gereichten Nachlieferungen zu weiteren Beschuldigten in anderen Verfahren steht. Am späten Nachmittag beantragte die Verteidgung die Aussageverweigerung zu dieser Frage ins Protokoll zu nehmen, der Richter lehnte ab und die Verteidigung beantragte einen Beschluss. Plötzlich erkannte die Staatswanwaltschaft, dass die BKA-Zeugin da einen Fehler gemacht hatte und zeigte sich nachträglich regelungsbereit. Man könne vor dem Beschluss die Frage noch einmal stellen und die diesbezüglich gerade auch nach telefonischer Anfrage bei ihrem Chef, einem Herrn Voss, verweigerte Aussagegenehmigung doch noch auf dem kurzen Dienstweg einzuholen. Durchsichtig war das. Denn mit der Weigerung der Ermittlungsführerin, dazu Stellung zu nehmen, ob denn der Inhalt der Akte richtig sei, stand es gerade bevor, dass eine Farce aktenkundig wurde, die vermutlich jedes Verwaltungsgericht als rechtswidrig hätte bezeichnen müssen. Richter Hoch benutzte sein letztes Mittel und rettete die für Gericht, Generalbundesanwaltschaft und Zeugin peinliche Situation durch die unvermittelte Vertagung der Sitzung.

Während der Saal sich leerte ging BKA-Zeugin Ulrike Alles nach vorn für die Formalitäten, plauderte dabei erstmal mit dem Chef-Richter, ging dann zum Flirt mit dem rechts daneben sitzenden Richter über und vor dem Gehen schließlich auch noch auf ein Pläuschchen zu Staatsanwalt Weingarten von der Bundesanwaltschaft.

Zusammenfassend lässt sich die Aussage von Ulrike Alles mit ihren eigenen Worten wiedergeben:

"Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Wenn Sie mir das Vorhalten, was in der AKte steht, dann könnte ich Ihnen mündlich sagen, was in der Akte steht."

Deutlicher ging es nicht. Die Ermittlungsführerin beim BKA wollte nichts zu den Verdachtsmomenten gegen die Angeklagten sagen. Der Verdacht liegt nahe, dass sie Angst hatte, etwas zu sagen, was im Widerspruch zur Aktenlage steht und eine Fälschung der Ermittlungsakten verraten hätte. Richter Hoch und die Generalbundesanwaltschaft halfen der BKA-Zeugin dabei nach Kräften.

Aber wo ein Hauch des Verdachtes der Wehrkraftzersetzung besteht, da wurde in Deutschland eben noch nie gekleckert, sondern stets geklotzt. Ob die siegreiche deutsche Armee und ihre Verbündeten damit den Krieg an der Heimatfront gewinnen, ist angesichts der mangelnden Unterstützung der Bevölkerung für die Angriffskriege der NATO indes trotzdem fraglich.

Es bleibt die Frage, was die da eigentlich tun. Wer auch immer die schwachsinnigen mit militante Gruppe unterschriebenen Texte verfasst und die Brandanschläge begangen hat, spielte damit der Strategie der Spannung seines erklärten Gegners in die Hände. Was die Angeklagten getan haben, blieb allerdings völlig im Dunkeln.

Noch mehr stellt sich die Frage, was Gericht und Generalbundesanwaltschaft da eigentlich tun. Offenkundig wurde lediglich, dass das Gericht genau wie die Generalbundeswaltschaft unbedingt zu einer Verurteilung der Angeklagten kommen will. Das ist zwar verständlich, denn nachdem so viele Jahre Ermittlung, Überwachung und Steuergelder mit dem Verfahren verbraten wurden, wäre ein Freispruch für die Strafverfolger ja nun auch peinlich.

Mit einem Rechtsstaat hat eine solche Farce allerdings nichts zu tun. Die Großkriminellen in den Top-Etagen von Politik, Behörden und Wirtschaft dürfte dieses Großverfahren von BKA und Generalbundesanwaltschaft wegen eines angeblich versuchten Brandanschlags freuen. Da Ermittlungsressourcen knapp sind, sinkt für sie das Risiko der Strafverfolgung.

Anne Roth war am 13. Verhandlungstag auch da und hat gerade einen Bericht zu der Farce veröffentlicht. Ein Bericht vom 14. Verhandlungstag findet sich bereits bei Indymedia. Am 17. Dezember 2008 geht es weiter mit der Vernehmung der BKA-Ermittlungsführerin Ulrike Alles: Gerichtsgebäude Berlin-Moabit, Turmstraße 91, Saal 700, 9:00 Uhr.

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