Kriegsgegner vor Gericht
Verfahren nach Paragraph 129 in Berlin eröffnet. Plädoyer der Angeklagten für legitimen Widerstand gegen Krieg und Besatzung. Prozeßbeobachter unter Generalverdacht
Von Nick Brauns
Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen begann am gestrigen Donnerstag vor dem Berliner Kammergericht der Prozeß gegen drei Berliner Antimilitaristen. Ihnen wird nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch die »Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung« vorgeworfen. Gemeint ist eine »militante gruppe« (mg), die laut Bundesanwaltschaft für 25 Brandanschläge verantwortlich sein soll. Die drei Angeklagten waren am 31. Juli 2007 verhaftet worden, nachdem sie Brandsätze unter Bundeswehr-LKW gelegt haben sollen.
Vor dem Moabiter Gerichtsgebäude forderten Dutzende Demonstranten die Einstellung des Verfahrens gegen Axel H., Florian L. und Oliver R. »Jedes Herz ist eine antimilitaristische mg« hieß es auf einem Plakat. Dies schien auch die Berliner Justiz zu befürchten. Denn alle Besucher, darunter die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, und der Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), Heiner Fink, mußten sich einer schikanösen Eingangskontrolle unterziehen. Nicht einmal Kugelschreiber oder Tempotaschentücher durften mit in den Gerichtssaal genommen werden. Ausweise wurden unter dem Vorwand kopiert, so mögliche Störer im Gerichtssaal zu entlarven. Doch Verteidiger Sven Lindemann äußerte die Befürchtung, diese Daten würden an die anwesenden Beamten des Landeskriminalamtes weitergegeben. »Schon am Prozeß interessierte Bürger stehen für den Staatsschutzsenat offenbar unter dem Generalverdacht, Terroristen zu sein«, kritisierte Ulla Jelpke die sechs im Gerichtssaal anwesenden bewaffneten Polizisten. Die Verteidigung beantragte erfolglos, diese Sicherheitsverfügung als unverhältnismäßig abzulehnen, da so die Öffentlichkeit psychisch eingeschüchtert werde. Die Verhandlung wurde lediglich ausgesetzt, bis eine Stunde nach Prozeßbeginn die letzten der rund 50 zugelassenen Besucher die Eingangskontrollen absolviert hatten.
»Die Bundesanwaltschaft hält Akten zurück«, protestierte Anwalt Lindemann noch vor Verlesung der Anklage. Mindestens 31 Aktenordner, die Geheimdiensterkenntnisse und Ergebnisse der bis zum Jahr 2001 zurückreichenden Überwachungsmaßnahmen gegen die »mg«-Verdächtigen enthalten, würden der Verteidigung vorenthalten. Bei mehreren Treffen zwischen Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft sei zudem gegen das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden verstoßen worden. »Der Verfassungsschutz ist der eigentliche Herr des Verfahrens«, so Lindemann. Über eine von der Verteidigung aufgrund der unvollständigen Akteneinsicht beantragte Aussetzung oder Einstellung des Verfahrens wurde nicht entschieden.
»Hier sitzen die falschen Leute auf der Anklagebank und sollen als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 verurteilt werden«, leitete Axel H. die gemeinsame Prozeßerklärung der drei Angeklagten ein. Vor Gericht würden Kriegstreiber und -befürworter sowie Rüstungskonzerne gehören. Die Angeklagten verurteilten die Politik der Bundesregierung und die Beteiligung der Bundeswehr an Massakern in Afghanistan. Widerstand, »der das Ziel hat, die Gewalt des Krieges, die Kriegswirtschaft sowie das Militär anzugreifen, um eine Situation der Besatzung, die Ermordung von Zivilistinnen und Zivilisten und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zu unterbinden«, sei legitim. Die Prozeßerklärung endete mit den Worten »Für eine kommunistische Gesellschaftsordnung« und dem Tucholsky-Zitat »Krieg dem Krieg, Friede auf Erden.«