Gesetzentwurf im Bundesrat: Strafe für geistige Sterbehilfe?

Zwischen Paragraph 216, der die Tötung auf Verlangen unter Strafe stellt, und Paragraph 218, der den Schwangerschaftsabbruch sanktioniert, klafft eine Lücke im Strafgesetzbuch. 1998 wurde Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs abgeschafft, der einer Mutter, die ihr nichteheliches Kind tötete, einen gewissen Strafrabatt gegenüber dem allgemeinen Verbot des Totschlags zugestand: drei Jahre Mindeststrafe statt fünf Jahre. Die Moral hat sich geändert. Nichteheliche Kinder gelten nicht mehr als Makel. Wenn es nach dem Rechts- und dem Gesundheitsausschuss des Bundesrates geht, soll die Lücke nun nach zehn Jahren durch einen neuen Paragraphen 217 des Strafgesetzbuchs geschlossen werden, der ebenfalls an der Schnittstelle von Moralvorstellungen und Lebensschutz angesiedelt ist und die „gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe“ ahnden soll.

Die Idee, der Kommerzialisierung der Suizidbeihilfe vorzubauen und Organisationen mit Sanktionen zu belegen, die den Suizid fördern, statt zu überlegen, wie die Lebensbedingungen von Menschen verbessert werden können, die am Leben verzweifeln, ist schon älter. Bislang konnten sich entsprechende Gesetzentwürfe aber nicht durchsetzen. Das könnte sich durch Roger Kuschs spektakulär inszenierte, von vielen Seiten scharf kritisierte Suizidbegleitung (siehe auch: Sterbehilfe: Sirup gegen den schlechten Geschmack) geändert haben. Wer „eine Vereinigung gründet, deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung zu verschaffen“, soll nach dem heute im Bundesrat verhandelten Gesetzentwurf der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen bestraft werden können.

Weit im Vorfeld denkbarer Rechtsgutsverletzungen

Der Gesetzgeber will sicherstellen, dass nicht nur kommerziell motivierte Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt wird, sondern jede Art von organisatorischem Zusammenschluss von mindestens zwei Menschen, der dazu dient, den Suizid anderer Menschen zu erleichtern. Damit wird ausgerechnet auf den politisch belasteten Paragraphen 129 des Strafgesetzbuchs zurückgegriffen, der sich gegen die „kriminelle Vereinigung“ richtet und Keim des deutschen Anti-Terrorismus-Rechts ist. Ein zusehends gegen Vereinigungen aller Art gerichtetes Strafrecht läuft Gefahr, sich immer mehr zu einem moralisch aufgeladenen Gemeinschaftsschutzrecht zu entwickeln, in dem es immer weniger auf konkrete Taten ankommt, sondern auf Absichten, Pläne und vermutetes Gefahrenpotential. Die Gesetzesautoren räumen selbst in ihrer Begründung ein, „dass ein Verhalten mit Strafe bedroht wird, das weit im Vorfeld denkbarer Rechtsgutsverletzungen angesiedelt ist“, ziehen daraus aber nur den Schluss, dass deswegen die Strafe weniger hoch ausfallen soll.

Für Kusch, der als Justizsenator von Hamburg dieser Vorverlagerung des Strafrechts und dessen Einsatz zu Zwecken der Durchsetzung von Moralvorstellungen keineswegs abgeneigt war, könnte es im Fall einer Verabschiedung des Gesetzes eng werden – immerhin ist er 1. Vorsitzender des von ihm selbst gegründeten eingetragenen Vereins „Dr. Roger Kusch Sterbehilfe“. Allerdings hat der ehemalige Oberstaatsanwalt Vorsorge getroffen. Der von ihm begründete Verein, zweifelsohne eine Vereinigung im Sinne des geplanten Gesetzes, beschreibt es als seinen Zweck, „über das in Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und Artikel 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) für jedermann garantierte Recht, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden, aufzuklären und somit dieses Recht nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland durchzusetzen“. Die Mittel zum Zweck sollen Veranstaltungen, Diskussionen und der Druck von Broschüren sein. Ausdrücklich heißt es auf der Homepage von „Dr. Roger Kusch Sterbehilfe“ zudem, nicht der Verein selbst biete an, einen Suizid zu begleiten, das sei Kuschs persönliche Sache. Auch „Dignitate“, der deutsche Ableger des Schweizer Vereins „Dignitas“, zielt übrigens ausweislich der Satzung auf die Förderung von „Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Selbstbestimmung“.

So schnell kann man zum Vordenker werden

Die politischen Befürworter der neuen Strafvorschrift werden die Schwierigkeiten gesehen haben, diejenigen, die sie treffen wollen, auch tatsächlich ins Visier zu bekommen. Wohl zur Absicherung haben sie deswegen einen Absatz 2 formuliert, der den mit Strafe bedroht, der „für eine Vereinigung (...) als Mitglied oder Außenstehender geistig oder wirtschaftlich eine maßgebende Rolle spielt“. Mit dieser beispiellosen, weit und unbestimmt formulierten Vorschrift soll, so erläutert der Gesetzentwurf, „Führungspersonal“ pönalisiert werden – wobei Vereinigungen im Sinne dieses Gesetzes dann wohl die einzigen Gruppierungen wären, die ausgelagertes „Führungspersonal“ haben können, möglicherweise sogar ohne dass diese so plötzlich strafbar gewordenen Führungskräfte etwas von ihrem Status wüssten. Denn wie soll ein Autor wissen, für wen er „geistig eine maßgebliche Rolle“ spielt, und wie sollte er sich, selbst wenn er es wüsste, dagegen wehren?

Wie schnell jemand zum „Führungspersonal“ einer Vereinigung gezählt werden kann, hat letzten Sommer ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Humboldt-Universität in Berlin erlebt, der unter anderem deswegen verhaftet und erst nach knapp drei Wochen wieder freigelassen wurde, weil die Linguisten des Bundeskriminalamts herausgefunden hatten, dass eine wissenschaftliche Abhandlung von ihm „Schlagwörter und Phrasen“ enthalte, die in Texten der als Vereinigung verfolgten „Militanten Gruppe“ gleichfalls verwendet werden – was als maßgebliches Indiz dafür galt, dass er deren „Vordenker“ sei (BGH, 2 BJs 58/06 – 2 – StB 34/07). Der Fall ist auch lehrreich, weil er zeigt, wie schnell und effizient in solchen Fällen Solidaritätsaktionen sein können – dabei ging es hier sogar um eine gesellschaftlich eher randständige Organisation. Es gehört nicht allzu viel Phantasie dazu, sich auszumalen, wie ein Ermittlungsverfahren gegen die Gründer eines Vereins verlaufen würde, der sich das Recht auf Selbstbestimmung im Sterben auf die Fahnen geschrieben hat und dem vorgeworfen wird, er richte seine Tätigkeit darauf, Gelegenheiten zur Selbsttötung zu schaffen.

Von der Gemeinnützigkeit der Sterbehilfsvereine

Wie auch immer der Bundesrat am heutigen Freitag entscheiden wird – abschließend beschließen muss über Änderungen des Strafrechts ohnehin der Bundestag. Im Verlauf der Debatte dort könnten grundlegende Fehler des Gesetzentwurfs ausgebessert werden. Das ändert freilich nichts an dem Umstand, dass hier – man muss sagen: wieder einmal – das Strafrecht nicht als Ultima Ratio Einsatz findet, sondern als Mittel der ersten Wahl. Die Vereinigungen, die von den Autoren des Gesetzes gemeint sein könnten, werden die Zeit und vor allem das Steuerrecht für sich zu nutzen wissen. Zum Beispiel, indem sie weiter Spenden sammeln, steuervergünstigt natürlich, denn während das Strafrecht in Anschlag gebracht werden soll, gibt die Abgabenordnung freie Bahn. Zum Beispiel für „Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.“, der auf seiner Website potentiellen Spendern mitteilt: „Die steuerliche Gemeinnützigkeit im Sinne der §§ 51 ff. Abgabenordnung ist vom Finanzamt Hamburg-Nord bescheinigt (Steuer-Nr. 17/410/ 02813).“

Auch „Dignitate“ hat einen Antrag auf Zuerkennung des Gemeinnützigkeitsstatus gestellt, und die etwas in Vergessenheit geratene Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, die sich in früheren Zeiten für Suizidbeihilfe, damals mit Zyankali, stark gemacht hat, kann darauf verweisen, dass das Finanzamt Augsburg ihr wenigstens vorläufig bescheinigt hat, steuerbegünstigte gemeinnützige Zwecke zu verfolgen. Die gesellschaftliche Debatte über die Sterbehilfe wird sich durch das Strafrecht nicht stillstellen lassen. Ein Streit darüber, was in diesem Zusammenhang als gemeinnützig gelten soll, könnte das nächste Kapitel sein.

Von Oliver Tolmein