Gegen den Abhörwahn
Kommentar: Jens Anker kritisiert die überzogene Telefonüberwachung
Wer etwas über das Privatleben der Berliner wissen möchte, sollte
sich an die Polizei wenden. Sage und schreibe eine Million Telefonate
hörten die Ermittler im vergangenen Jahr zur Aufklärung von Straftaten
ab. Die Zahl stimmt bedenklich, ist sie doch in den vergangenen Jahren
geradezu explodiert. Aber haben sich auch die Ermittlungsergebnisse in
gleichem
Maß verbessert? Dafür gibt es keine Hinweise, es ist im Gegenteil davon
auszugehen, dass riesige Mengen vollkommen belangloser Telefongespräche
mit vollkommen Unbeteiligten Eingang in die Akten fanden.
Der Hinweis, wer nichts zu verbergen hat, habe kein Grund zur Sorge, lässt sich nur so lange geben, bis man schuldlos in das Rad der Ermittlungen gerät.
Das spektakulärste Beispiel dafür ereignete sich im vergangenen Jahr. Ein Soziologe der Humboldt Universität wurde wochenlang observiert und abgehört, weil sich Formulierungen in seinen Veröffentlichungen in Bekennerschreiben der Militanten Gruppe wiederfanden. Am Ende stellten sich alle Verdächtigungen als haltlos dar. Doch der Verdacht allein, samt erlittener Untersuchungshaft, brachte den Wissenschaftler an den Rand des beruflichen Ruins. Hier gingen die Ermittler zu weit. Es darf nicht sein, dass die technischen Möglichkeiten der Überwachung allein angewendet werden, weil es eine gesetzliche Grundlage dafür gibt, auch
wenn die Beweislage außerordentlich dünn ist. Der Rechtsstaat und die Grundrechte sind ein zu hohes Gut, um sie leichtfertig aufzugeben.