Durchsucht, durchleuchtet, durchschaut?

Online-Durchsuchung, Videoüberwachung von Plätzen und in Betrieben, illegales Abhören von Journalisten – ist Deutschland auf dem Weg zum Überwachungsstaat? Genau diesem Thema widmete sich am Montagabend eine Podiumsdiskussion im Rahmen von „Theater der Welt“ auf der Kulturinsel in Halle (Saale). Neben Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann saßen auch Dr. Harald von Bose, Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt, Volker Eick, Politologe von der Freien Universität Berlin und Michael Freundt, stellvertretender Direktor des Internationalen Theaterinstituts (ITI) Deutschland und Koordinator des Projektes "escalators - Bewegung und Kontrolle im öffentlichen Raum" bei Theater der Welt, im Podium.

Als 1987 die Volkszählung in den westlichen Bundesländern anstand, hagelte es heftige Proteste. Ähnliche Aktionen sind aber heute kaum wahrzunehmen. Stattdessen geben Schüler und Studenten, ihre Altersgenossen hatten vor rund 20 Jahren die Proteste initiiert, heute mehr denn je Daten von sich Preis – sei es mit Teilnahmen an Gewinnspielen, der Nutzung von Payback-Karten oder der Anmeldung bei Internetverzeichnissen wie StudiVZ.

Auch wenn Innenminister Hövelmann leise Kritik an einigen Plänen übte, im Großen und Ganzen steht er hinter der Überwachung. „Manche meinen wir befinden uns in einer Gesellschaft, die Orwell in 1984 beschrieben hat. Doch das stimmt nicht.“ Schließlich beruhten Überwachungsaktionen auf besonderen gesetzlichen Grundlagen, beschwichtigte Hövelmann. Warnungen vor einem Weg in den Überwachungsstaat hält er aber trotzdem für berechtigt. Doch habe das Bundesverfassungsgericht bei Online-Durchsuchung, Kennzeichen-Erfassung und Vorratsdatenspeicherung klare Urteile gefällt und die Gesetzentwürfe für nichtig erklärt. Da sei der Gesetzgeber über das Ziel hinaus geschossen. „Das Bundesverfassungsgericht sagt aber auch, dass staatliche Überwachung im Grundsatz möglich ist“, so Hövelmann. Datenschutzbeauftragter von Bose sieht das wesentlich anders. „Das Gericht hat die Überwachung nicht erlaubt, sondern im Grundsatz verboten und nur wenige enge Ausnahmen gelassen.“ Ein oft gebrauchtes Totschlagargument gegen den Datenschutz und für Überwachung ist die Aussage „Du hast wohl was zu verbergen“, bemängelte von Bose. Oft werde Datenschutz mit Täterschutz gleichgesetzt.

Versammlungsrechte werden eingeschränkt

Volker Eick sagte, von den Vätern des Grundgesetzes sei es nicht angedacht gewesen, das Änderungen ständig rückgängig gemacht werden müssen. Er als Politologe sehe der permanenten Zuwachs an Befugnissen mit Sorge. Daneben sei auch eine immer engere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten festzustellen. „Das Trennungsgebot ist faktisch aufgehoben.“ Doch weit kritischer sieht Eick die schrittweise Einschränkung der Bürgerrechte – zum Beispiel durch die neuen Versammlungsgesetze der Länder. Das neue Gesetz in Bayern würde beispielsweise Spontandemos verhindern, weil diese mindestens drei Tage vorher angemeldet werden müssen. Auch müssten künftig die Ordner namentlich genannt werden. Und weil der DGB befürchtet, das mit dem neuen Versammlungsgesetz auch Streiks für illegal erklärt werden, regt sich von den Gewerkschaftern Kritik. Eick rief dazu auf, die Datensparsamkeit, die 1983 einst beschlossen wurde, auch weiter zu leben. Daneben müsse man es hinbekommen, das Dritten – auch dem Staat – der Zugriff verwehrt wird. „Doch genau das wird zunehmend kriminalisiert.“

Wie unterschiedlich die Wahrnehmungen in Bezug auf Überwachung sind, machte Michael Freundt deutlich. „Geht man über den Riebeckplatz und man wird verfolgt, bekommt man gleich ein ungutes Gefühl, einen Adrenalinschub. Geht man anschließend in den Bahnhof und wird von Kameras verfolgt, spürt man gar nichts.“ Für Freundt ist die Überwachung auch eine Art Theaterinszenierung. Eine Inszenierung mit Fahndungserfolgen in den Medien, um das Spektakel zu rechtfertigen. Ein bedenklicher Punkt für Freundt: dass ein Grundmuster an Angst und Unsicherheit bei jedem da ist. Videoüberwachung, die ist in Halle schon Alltag. Ob auf dem Marktplatz, in Straßenbahnen oder im Bahnhof – überall hängen Kameras. Freundt wollte es genauer wissen. Wo laufen die Daten der Marktkameras auf, wer sieht die Aufzeichnungen der Straßenbahnen und was passiert mit den Videokameras auf dem Bahnhof. Kein einfaches Unterfangen. Zu den Marktkameras kam die Antwort aus dem Innenministerium man dürfe nicht sagen wo sich diese befinden. Irgendwann ruderte man doch zurück. Die Kameras hängen an Marktkirche und Ratshof, viele Hallenser wusste es eh schon. Deutlich schwieriger auf dem Bahnhof. Da war überhaupt kein rankommen.

Hövelmann: Videoüberwachung ist oft Scheinsicherheit

Aber wie effektiv ist Überwachung überhaupt? „Die Effektivität hat Grenzen“, so Innenminister Hövelmann. „Videoüberwachung ist oft Scheinsicherheit.“ Kürzlich habe er ein Gespräch mit der HAVAG gehabt. Ein Unternehmensvertreter habe dabei gefordert, die Videoüberwachung endlich in allen Bussen und Bahnen anzubringen. Die Kunden würden dies wünschen, hätten dadurch ein höheres Sicherheitsempfinden. Doch eine generelle Videoüberwachung sei mit ihm nicht zu machen, so Hövelmann. Man müsse immer abwägen zwischen Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit. Zudem gerate die Videoüberwachung auch an physische Grenzen, nicht alle Monitore können zeitgleich beobachtet werden. Doch im gleichen Atemzug hob er Effekte der Videoüberwachung in Quedlinburg hervor. Auf einem Platz in der Kleinstadt sei es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Rechten und linken Jugendlichen gekommen. Dies habe nun eingedämmt werden können.

„Es werden Ängste geschürt, damit die Bürgerrechte eingeschränkt werden können“, sagte Politologe Eick. Rechtsextremisten müssten für die Einschränkung der Versammlungsfreiheit herhalten, Terroristen für die Online-Durchsuchung. „Aber der internationale Terrorismus war schon immer da“, erklärte Eick und wies auf die RAF hin. Ein großes Interesse an der Aufrechterhaltung dieser Ängste hätten die Kamera-Hersteller und die Sicherheitsdienste mit ihren 150.000 Mitarbeitern. Statt sich immer neue Schikanen auszudenken, sollten lieber die Ursachen des Terrorismus angegangen werden. Ähnlich äußerte sich der Landesdatenschutzbeauftragte von Bose. „Die Ursachen des Terrorismus bekämpft man nicht mit Sicherheitsmaßnahmen.“ Deutschland sei zwar ein demokratischer Rechtsstaat, führte Eick weiter aus. „Aber der ist immer mehr in Gefahr.“ Eick berichtete von seinem Kollegen Andreij Holm. Der Berliner Soziologe war wegen Terrorismusverdachts festgenommen worden. Im Vorfeld habe man diesen überwacht, unter anderem durch GPS-Verfolgung, Video- und Telefonüberwachung. 46 Aktenordner hatten die Geheimdienste über den Soziologen angelegt, weil dieser in seinen Publikationen das Wort „Gentrifizierung“ nutze und ihm dadurch die Mitgliedschaft in der linksextremen „Militanten Gruppe“ unterstellt wurde. Die Vorwürfe wurden mittlerweile fallen gelassen.

Datenschutzbeauftragter von Bose sagte, es gebe eine immer stärker werdende Tendenz hin zur Datensammlung. „Der Staat wird immer mehr zum Präventionsrat.“ Der Staat müsse sich rechtfertigen, wenn er Kameras aufstellt, weil größtenteils Unverdächtige überwacht und unter Generalverdacht gestellt würden. Von Bose appellierte an ein „Gebot der Gelassenheit“. Dies würde aber nicht bedeuten, dass man gar nichts tut, so von Bose. Daneben will er dafür sorgen, dass im Unterricht die Themen Medien und Datenschutz stärker behandelt werden, „um das Bewusstsein dafür zu stärken.“

Ein ganz großes Thema, was an diesem Abend aber leider nur am Rande diskutiert wurde, ist die Online-Durchsuchung. Hövelmann bezeichnete sie als falschen Schritt. „Ich glaube aber es wird schwierig, die Online-Durchsuchung noch zu verhindern.“ Immerhin gab Hövelmann einen Tipp mit auf den Weg: die eigene Technik absichern und genau gucken, welche Daten man im Internet von sich preis gibt. „Haustür und Autotür schließt man ja auch zu und sichert es ab.“ Ob aber eine Absicherung der Computer tatsächlich hilft? Das Publikum war skeptisch. „Dazu ist es zu spät“, meinte einer der Anwesenden. Und eine Zuschauerin regte an, statt immer mehr Gelder in Überwachungsmaßnahmen zu stecken, doch lieber die Bildung mehr zu fördern. Und mehr Polizeistreifen statt mehr Videokameras forderte ein weiterer Zuschauer. Für Hövelmann nicht die Lösung. „Selbst bei einer Verdoppelung können Polizisten nicht überall sein.“

Das letzte Wort gehört Volker Eick. „Es ist wichtig sich einzumischen.“