Nächster Schritt: Revision
Schriftliche Urteilsbegründung im mg-Prozeß ist da
Im Oktober 2009 wurden Axel, Oliver und Florian zu 3,5 bzw. 3 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie als Mitglieder der militanten gruppe (mg) versucht haben, im Juli 2007 Bundeswehrfahrzeuge in Brandenburg/Havel anzuzünden. Direkt nach dem mündlichen Urteil kündigten die Anwält_innen Revision an. Nach dem mündlichen Urteil ist nun auch die schriftliche Begründung des Kammergerichts Berlin eingegangen.
100 Seiten lang erklären die Richter, warum Axel, Oliver und Florian Mitglieder der militanten gruppe gewesen sein sollen. Kein Wort darüber, warum Menschen in diesem Land überhaupt auf die Idee kommen, Bundeswehrfahrzeuge unschädlich zu machen, kein Wort darüber, dass der Krieg in Afghanistan völkerrechtswidrig ist und der Einsatz der Bundeswehr von vielen Menschen in der Bundesrepublik abgelehnt wird. Auch kein Wort darüber, dass diese konkrete Abrüstungsinitiative möglicherweise Schlimmeres verhindert hat. Denn was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keine Schaden anrichten. Stattdessen ein Urteil „im Namen des Volkes“.
Insgesamt lässt sich sagen, die Begründung ähnelt sehr dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft (BAW). Wie die BAW, sieht auch das Gericht die Auflösungserklärung der militanten gruppe in der „radikal“ als Versuch, „Einfluss auf die Beweisaufnahme zu nehmen“. Dem BKA-Beamten Oliver Damm, der das Gericht belogen hatte, indem er die Beteiligung des BKA an der „Militanzdebatte“ verschweigen wollte, wird in der Urteilsbegründung dagegen bescheinigt, „glaubhaft“ zu sein. Einzig etwas weniger Beweiskraft hatte der eingeführte Spitzel, dem auch das Gericht nur zuerkennt, nach dem „Hören-Sagen“ berichtet zu haben. Verständlich sagen die Richter, denn „die Zeugen haben sich, wie auch das ergänzende Behördengutachten, zum Zweck des Quellenschutzes nicht zur Person des Informationsgebers geäußert und die Art und Weise der Überprüfung nur angedeutet, da „bei Aufdeckung eine nachhaltige Beeinträchtigung des gesetzlichen Auftrages des Bundesamtes für Verfassungsschutz drohe.“
militante gruppe: dünne Belege
Dünn sind auch die Belege über die militante gruppe selbst. So wird ausgeführt, dass die Gruppe immer mindestens drei Mitglieder hatte, ohne dies konkret für den gesamten Zeitraum der Gruppenexistenz belegen zu können. Das aber ist eine Voraussetzung für eine Verurteilung nach § 129. Ebenso dünn auch die Begründungen, warum die drei Mitglieder sein sollen. Hier wird in erster Linie das bei Durchsuchungen gefundene „Mini-Handbuch für Militante“ herangezogen, ohne dass ein Zusammenhang der gefundenen Papiere zur mg tatsächlich hergestellt werden kann.
Die Anwält_innen werden nun auf der Grundlage des schriftlichen Urteils ihre Revision begründen. Der Bundesgerichtshof entscheidet darüber im Laufe des Jahres 2010. Lehnt er die Revision ab, wird das Urteil rechtskräftig und die drei müssen die Haft antreten.
Es zählen die Ermittlungen
Soweit zum juristischen Teil. Ermittlungen im Bereich des §129 dienen ausschließlich der Ausforschung und der Repression, das hat mit klassischer Strafverfolgung ebenso wenig zu tun wie die dazugehörigen Prozesse mit fairen Verfahren, da hier – so auch im Fall des mg-Prozesses ¬– auf rechtsstaatliche Standards verzichtet wird. Prozesse nach §129 werden in Deutschland gleich vor Oberlandesgerichten (in Berlin ist dies das Kammergericht) verhandelt. Eine Handvoll Richter_innen entscheidet auf dieser Ebene, darüber gibt es keine weitere Instanz. Aber in den seltensten Fällen kommt es überhaupt zu Anklagen. Denn beim §129 zählen die Ermittlungen. Der Paragraf ermöglicht es dem BKA, weitreichende Überwachungen durchzuführen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum der §129 a,b seit seiner Einführung heftig umstritten ist.
Gesinnungsjustiz
Hier werden keine konkreten Taten verhandelt, hier geht es um Gesinnung. Ist erst einmal eine „terroristische“ oder „kriminelle“ Vereinigung konstruiert, können den Angeklagten sämtliche Straftaten, die diese Vereinigung begangen hat, angelastet werden. So werteten die Richter die politische Prozesserklärung der Angeklagten als Einlassung zu ihrer angeblichen Gesinnung: „Aus ihrer – gemeinsamen Vorstellungen und Zielen verpflichteten – linksextremen politischen Einstellung haben die Angeklagten in ihrer Einlassung keinen Hehl gemacht.“ Deshalb handelten sie „als Mitglieder der kriminellen Vereinigung militante gruppe (mg), deren Tätigkeit darauf gerichtet war, Straftaten zu begehen. Die militante gruppe (mg) war ein auf Dauer angelegter freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgten und untereinander derart in Beziehung standen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlten und mithin die Voraussetzungen einer Vereinigung im Sinne des § 129 StGB erfüllten. Den Kernbereich der Aktivitäten stellte die Begehung politisch motivierter Brandanschläge dar. Die Angeklagten setzten sich durch die eigenverantwortliche Vorbereitung und Begehung eines Anschlags aktiv für die Gruppe ein und brachten durch die Tat ihre auf Dauer ausgerichtete Teilnahme an der Tätigkeit der Organisation zum Ausdruck.“ Hier zeigt sich ganz praktisch: Die Palette von Indizien, die einen Tatverdacht begründen können, werden zusammengeführt zu vermeintlich objektiven Kriterien. Ein nach Ansicht der Ermittler_innen „konspirativ geführtes Emailfach“, Einträge in Kalender, die im Grunde nichts belegen, außer dass Leute ihr Auto zur Verfügung stellen für wiederum andere Leute (das ist anscheinend besonders schwer vorstellbar), Notizen und Textentwürfe, die zu lange neben dem Schreibtisch gelegen haben... schon wieder eine kriminelle oder terroristische Vereinigung.
Wie wenig sich die Richter_innen am Berliner Kammergericht genötigt fühlten, sich an rechtsstaatliche Prinzipien zu halten, zeigte sich im mg-Prozess wie in anderen Verfahren, auch durch die inszenierten Sicherheitsauflagen, die den Besucher_innen zwei Dinge klar gemacht haben: Vor Gericht sitzen gefährliche Staatsfeinde und auch die Besucher_innen sind im Visier des BKA. Sie mussten ihre Ausweise kopieren lassen, sie wurden durchsucht und am letzten Prozesstag mussten sich einige sogar ausziehen. Auch an anderen Stellen versuchte das Gericht gar nicht erst, den Anschein zu erwecken, die so genannte Waffengleichheit zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft sei ein Gut, das es zu verteidigen gelte.
Leider nicht zum Abschluss des mg-Prozesses, aber in anderen Verfahren haben es sich die Besucher_innen dennoch nicht nehmen lassen, ein Urteil zu kommentieren. So wurde nach der Urteilsverkündung im Prozess gegen die Blockade von Militärtransporten in Husum im Gerichtssaal ein „Gegen-Urteil“ verlesen.
Die Bühne des Gerichtssaales kann für uns nur ein Teil der Auseinandersetzung sein. Aus den Erfahrungen mit anderen Staatsschutzurteilen des Berliner Kammergerichts gehen wir davon aus, dass der BGH trotz aller Mängel im Urteil die Revision im Laufe dieses Jahres ablehnt und damit das Urteil rechtskräftig wird.
Für viele ist das ja irgendwie normal, es ist ja schließlich ein Staatsschutzprozess gewesen und da ist ja klar wie das ausgeht. Das ist wohl auch so. Aber Verfahren in anderen europäischen Ländern haben gezeigt, dass konkrete Abrüstungsinitiativen nicht mit langen Knaststrafen enden müssen. So wurden in Irland und England von Aktivist_innen der Schwerter-zu-Pflugscharen-Bewegung Kriegsflugzeuge mit Hämmern zerstört, in Belgien wurden durch Gleisblockaden Waffentransporte gestoppt. In beiden Ländern gab es nicht nur viel wohlwollende Akzeptanz für den Versuch, direkt in das Kriegsgeschehen einzugreifen, in zwei Verfahren wurden die Angeklagten auch von der Jury freigesprochen mit der Begründung, dass die Aktionen Schlimmeres verhindert hätten. Begleitet wurden die Prozesse von einer Kampagne, die die Motivation der Aktivisten aufgenommen und diskutiert hat.
Politische Antworten
Politische Prozesse verlangen eine politische Antwort. In den vergangenen Jahren ist das Thema Antimilitarismus für viele Aktivist_innen relevanter geworden. Je offensichtlicher die Verflechtungen zivil-militärischer Zusammenarbeit ans Tageslicht treten, desto mehr müssen die Bundeswehr und die zivilen Profiteure mit Protest und Widerstand rechnen. Und je höher die Zahlen ziviler Opfer durch den Einsatz der Bundeswehr sein werden, desto mehr Menschen werden sich nicht nur fragen, ob sie diesen Krieg wirklich wollen, sondern was sie dagegen unternehmen können. Das soll jedoch auf jeden Fall verhindert werden. Das Urteil gegen Axel, Oliver und Florian zeigt ebenso wie andere Urteile gegen Antimilitarist_innen: Die bisherige Anti-Kriegsstimmung soll nicht in praktischen Aktionen umgesetzt werden.
Drinnen und draußen
Auch eine andere Debatte werden wir außerhalb des Gerichtes weiterführen müssen. Nachdem der Staat mit diesem Prozess seinen Verfolgungswillen durchgesetzt hat, rückt die Möglichkeit Knast für Axel, Oliver und Florian in den nahen Fokus. Damit stehen sie nicht allein, auch andere Genossinnen und Genossen hat die Repression schon getroffen. Solidarität ist auch hier gefordert. Wie die weitere Kommunikation und Unterstützung aussehen kann, werden wir in der realen Situation ausprobieren müssen. Dennoch bereiten wir uns schon jetzt darauf vor, damit sie weiter Teil der antimilitaristischen Bewegung bleiben, auch hinter den Mauern des Knastes.
Einstellungsbündnis