Solidarität – ein Hoch!
Die viel Beschworene: Was treibt uns an, solidarisch zu sein, also ins Handeln zu kommen? Unzufriedenheit, die Wut auf die herrschenden Verhältnisse, Ketten, die wir alltäglich spüren und derer wir uns entledigen wollen. Die Hoffnung auf ein besseres Miteinander, emanzipatorische Verhältnisse, ein kollektives Leben oder geteilte politische Überzeugungen.
Solidarität, als ein Grundprinzip des menschlichen Zusammenlebens, ist ein Angriff auf die Vereinzelung und die Vermassung. Solidarität ist praktisch gewordene Zusammengehörigkeit, obwohl sich die Beteiligten meist niemals zuvor begegnet sind. Solidarität ist eine Offensive gegen Hierarchie, Zwang, Ein- und Aussperren, gegen Schlagstöcke, Zäune oder Mauern.
Solidarität ist eine freiwillige politische Praxis, eine Tat. Empathie ist die Emotion, die dieses Handeln begleitet (so wie Angst oder Enttäuschung ihr ein Ende machen kann). Ihre Haltung ist die Parteilichkeit, also die Anerkennung, dass eine objektive, wertfreie Beobachtung und Interpretation der Realität nicht möglich ist. Solidarität bezieht also einen Standpunkt, vertritt Interessen. Es gibt keine politische Praxis, die ohne Solidarität auskommt.
Welche Gemeinschaft wird angerufen, solidarisch zu sein? Die »eigene«, autonome, anarchistische, friedensinspirierte Bewegung, alle Linksradikalen, alle, denen etwas an Emanzipation liegt? Solidarität kann eine Forderung sein, die sich an Privilegierte richtet. Aus Verantwortung, etwa gemeinsam hinter den gleichen Barrikaden gestanden zu haben. Kann aus Verantwortung Verpflichtung werden oder folgt daraus, über die eigenen Grenzen zu gehen? Kann es überhaupt, statt zu wenig, jemals zu viel Solidarität geben? Wie steht es um Hierarchien und um Abhängigkeiten zwischen Solidaritätsgebenden und Solidaritätsnehmenden?
Ein solidarisches Miteinander ist stets ein gemeinsamer Aushandlungsprozess, in dessen Balance das Eigene genauso seinen Platz hat; wie Freundschaft und Gemeinschaft definieren wir auch solidarische Beziehungen stets auf Neue. Solidarität braucht ein »Wir«, das regelmäßig neu konstruiert wird. Gefühlt zwar in allerhand Unterdrückungsverhältnissen parteilich und solidarisch, kann nicht alle empfundene Ungerechtigkeit in Aktion umgesetzt werden. Praktizierte Solidarität bedeutet also politische Arbeitsteilung innerhalb von Bewegungen. Manchmal überraschend kommt das »Wir« nicht nur virtuell oder gefühlt wieder zusammen, wie nach den Razzien vor dem G8 in Heiligendamm oder den Schüssen auf Carlo Giuliani und Alexis Grigoropoulos.
Solidarität bedeutet politische Debatten, inhaltlichen Austausch und Auseinandersetzung. Solidarität drückt Respekt gegenüber verschiedenen politischen Praxen und anderen Wegen aus. Noch vor 20 Jahren hatte Solidaritätsarbeit für politische Gefangene oder – teils militante – Befreiungsbewegungen trotz womöglich inhaltlicher Differenzen einen weitaus größeren Stellenwert als heute. Sind die Mauern wieder dicker geworden und die Entfernungen wieder größer? Solidarität ist eine unserer stärksten Waffen – ein Hoch auf sie – diese Mauern überwindende Kraft.