Von Solinutten und Reproduktionsarbeiterinnen. Interview mit einer Angehörigen über Unterstützungsarbeit
Du machst ausgesprochen lange Unterstützungsarbeit und bist mit einem Mann zusammen, der seit vier Jahren im Knast sitzt. Solidarisch zu sein, was bedeutet das für dich persönlich?
Solidarisch zu sein bedeutet für mich, einem anderen zu helfen, wenn er ein Problem hat, und nicht zu denken, dass er Hilfe braucht, weil er unfähig ist. Wenn ich mit einem Menschen zusammen bin, gebe ich etwas von mir, um seine Situation zu verbessern, und helfe, soweit ich kann. Dabei muss man manchmal über den eigenen Schatten springen.
Meint man, es bräuchte einen Anwalt, Flyer und Öffentlichkeit, um jemanden im Knast zu unterstützen, ist das nur ein Teil. Was es vor allem braucht, ist Energie und Zeit. Du kommst automatisch mit Leuten in Konflikt, die mit deinem eigenen Leben nichts zu tun haben, streitest dich mit Entscheidungsträgern, weil der Mensch im Knast z. B. lebenswichtige Medikamente nicht bekommt. Wenn du wirklich etwas verändern willst, musst du kämpferisch sein, und dann bekommst du auch selbst Probleme, weil dieser Streit dich zu einem Feind für andere werden lässt.
Hast du von Anfang an Unterstützung bekommen?
Am Anfang habe ich gar keine Unterstützung bekommen, da ich die meisten Leute nicht kannte und sie mich nicht. Ich war neu in der Szene. Neu war ebenfalls, dass es in der Szene einen Gefangenen gab. Damit waren alle extrem überfordert. Es kann sein, dass die Leute aus der Szene kein Vertrauen zu mir hatten. Sie haben es mir nie offen gesagt.
Was hat sich dann verändert?
Viele meinen, es sei normal, freiwillig alle Kämpfe mitzumachen. Ich habe die bewusste Entscheidung getroffen, die Situation mitzutragen. Ich habe mir mühsam Wissen angeeignet und begonnen, mich einzusetzen. Dann wurde ich wahrgenommen. Viele dachten, ich sei zu emotional und mache das alles nur aus Liebe. Mein ganzes politisches Denken wurde ausgeblendet, ich wurde reduziert auf diese emotionale Ebene.
Was hättest du dir an Unterstützung gewünscht?
Man hätte mir mehr Arbeit abnehmen können. Ich hätte Mitgefühl gebraucht und niemanden, der denkt, dass es allein mein Problem ist. Egal, welche Vorstellungen es in der Szene über Partnerschaften gibt, wenn ein Partner im Knast ist, betrachtet man die Beziehung wieder auf ganz konservative Art. Man meint, es ist ganz normal, dass die Frau sich kümmert. Wenn wir ein Kollektiv wären, dann beträfe es uns alle und nicht nur den Partner oder die Partnerin.
Hat man ein Tief, denkt man von Frauen, sie seien hysterisch oder depressiv. Ich habe aber keine Depression und hatte auch nie eine! Ich bin überarbeitet! Ich bin nicht hysterisch, weil ich, wenn es mir zu viel ist, durchdrehe.
Ich organisiere mein Leben plus das Leben des Anderen im Knast. Ich muss gleichzeitig seine und meine Bürokratie erledigen, Geld beschaffen für mich, für ihn, zum Anwalt rennen, tausend verschiedene Sachen managen, über komplizierte Sachen reden und nachdenken, Veranstaltungen machen. Der Anspruch der Szene, dass es kein individuelles Problem ist, sondern ein kollektives, hängt der Wirklichkeit hinterher.
Woran liegt das?
Knastarbeit macht dich nicht zur Heldin. Man bekommt wenig Anerkennung. Was man tut, bleibt unsichtbar. Was mich ankotzt, ist, dass die Leute meinen, man mache das nur, weil man den Partner liebt. Wenn ich das für die Liebe machen würde, dann würde ich es nicht machen, weil ich von der Liebe mit dieser Person im Moment gar nichts habe. Reproduktionsarbeit und andere politische Arbeit werden nicht als gleichwertig betrachtet. Antirepressionsarbeit ist immer eine niedere Tätigkeit. Sie ist kein Teil des Kampfes, obwohl sie für mich das Zentrum aller Kämpfe darstellt, denn am Ende von militanten Aktionen kann immer Knast stehen.
Du hast am Anfang gesagt, man muss über seinen Schatten springen, wenn man solidarisch sein will. Über deinen Schatten zu springen, hat dich doch sicher was gekostet?
Der Preis ist, dass man alle seine Sachen, die man sonst macht, auf einmal nicht mehr machen kann. Ich habe meine Pläne zurückgestellt. Ich bin zum Beispiel mit meinem Studium total hinterher. Mich nervt, dass die Leute das toll finden. Ich bin 28, habe die Uni immer noch nicht fertig. Ein anderer Punkt ist, dass man eine öffentliche Person wird. Das kostet einerseits viel Energie, andererseits brauchen wir Öffentlichkeit, um die Ungerechtigkeit öffentlich zu machen. Wenn das alles nicht passiert wäre, dann würde mich niemand kennen. Ehrlich gesagt, wäre ich darüber ganz glücklich.
Was hast du gewonnen?
Ich habe viele tolle Leute kennengelernt und gesehen, dass manche sich wirklich einsetzen wollen. Und für unsere Beziehung haben wir totales Vertrauen gewonnen. Er mit Sicherheit. Für mich ist es anders. Ich habe viel für ihn getan, aber er konnte wenig für mich machen. Ich vertraue ihm. Das wird, glaube ich, auch nie vergehen, aber wenn er jetzt raus kommt, muss ich sehen, dass er sich auch um mich kümmert. Es wird viel Zeit brauchen, bevor wieder ein Gleichgewicht hergestellt ist.
Wie hast du es geschafft, nicht das Gefühl zu haben, ausgenutzt zu werden?
Man braucht Leute, die einem helfen, sich abzulenken. Wenn ich in einem emotionalen Loch war, machten sie mir immer aufs Neue bewusst, dass mein Mann nichts dafür kann. Ich habe mir auch selbst geholfen, in dem ich mir gesagt habe, mein Glück hängt nicht allein von ihm ab. Es ist eine Emanzipationsfrage, der ich mich als Frau stellen musste, weil man so sozialisiert ist, dass man denkt, man könne nur durch die andere Person glücklich sein.
Hast du Bereiche gefunden, in denen du glücklich warst?
Ja, aber die Sache mit dem Knast ist wie ein Tinnitus, auch wenn man ganz ruhig ist oder bei Freunden, es gibt immer dieses Geräusch. Ich konnte nie richtig entspannt sei. Irgendwann musste ich mich abgrenzen und bewusst entscheiden, nicht mehr daran zu denken. Aber das dauert nie mehr als ein paar Stunden.
Hängt das auch damit zusammen, dass man sich nicht mehr erlaubt, zu genießen, weil man das Gefühl hat, man müsste in der Zeit, in der jemand im Knast ist, mit demjenigen leiden und habe kein Recht auf Genuss?
Man erlaubt sich zum Beispiel nicht mehr, draußen zu sein, wenn das Wetter schön ist. Man sieht das schöne Wetter und denkt: Kann er das sehen im Knast? Wenn man das jahrelang so macht, geht man kaputt. Man muss sich irgendwann erlauben, wieder glücklich zu sein.
Wenn es Jahre dauert, lernt man, ohne den anderen zu leben. Man ist es nicht mehr gewöhnt, das Leben zu teilen und gemeinsam zu genießen. Man muss das alles wieder lernen. Man ist traumatisiert, denn es ist ein Trauma, wenn dir eine Person einfach weggenommen wird. Gleichzeitig ist es aber nicht wie ein Tod, wo man trauern könnte. Man ist ständig in Trauer, ohne Abschluss.
Hatte der Stress auch etwas Positives, nämlich dich über die schwere und einsame Zeit zu retten? Du hattest immer etwas zu tun, konntest dich nützlich machen und hast vielleicht deshalb manche Sachen nicht an andere abgegeben, weil du damit selbst auch etwas Nützliches für dich getan hast?
Wenn man kämpft und viel für die Person macht, fühlt man sich dem Menschen sehr nah. Es ist also auch ein Mittel, zusammen zu sein und das Gefühl zu haben, man tue aktiv etwas gegen die Situation. Wir würden die Leute aber schneller aus dem Knast bekommen, wenn sich mehr Leute fragen würden, was sie tun könnten. Es muss in der Szene viel mehr darüber reflektiert werden, wie wichtig Hilfe für die Angehörigen und die Partner ist, die die alltägliche Unterstützung leisten.
Du hast in einem früheren Gespräch das Wort Solinutten benutzt. Was hast Du damit gemeint?
Wenn der Gefangene irgendetwas braucht, dann ist es normal, dass man als Freundin sofort alles möglich macht. Man muss immer zur Verfügung stehen. Diese Verfügbarkeit ist schier grenzenlos und das jahrelang! Ich finde, das Wort Solinutten trifft es sehr gut, obwohl es nicht ganz passt, weil wir nicht bezahlt werden. Wenn ich für meine Verfügbarkeit bezahlt werden würde, hätte ich eine super Lohnarbeit! Man könnte uns aber auch getrost Solinonnen nennen, da wir praktisch im Zölibat leben!
Habt ihr besprochen, wie Ihr Eure Sexualität während des Knastes leben werdet?
Überhaupt nicht. Ich weiß auch gar nicht, wie andere das besprechen. Es beschränkt sich nicht nur auf Sexualität. Man bekommt keine Liebe und will auch keine Liebe von jemand anderem. Man fühlt sich die ganze Zeit emotional einsam und denkt, man sei nicht mehr liebbar. Nicht darüber zu sprechen, dass Aktionen im Knast enden können, ist eine Form von aktiver Verdrängung. Heldentum ist es allemal, wenn man meint, das würde man schon ohne Weiteres durchstehen. Dabei ist niemandem klar, auf wie viele Leute man angewiesen ist, wenn man tatsächlich in den Knast kommt. Man versäumt, sich vorausschauend Netzwerke zu schaffen, die das überhaupt tragen können. Es gibt Politgruppen, aber die Einzige, die wirklich immer da bleibt, ist die Partnerin. Ich bin in unserem Fall die Einzige, die von Anfang an dabei war.
Gibt es auch deshalb so wenig emotionale Unterstützung, weil die Leute das gar nicht aushalten können?
Es hat den Leuten Angst gemacht, weil sie dachten, sie müssten sich um mich kümmern, als wäre ich ein Pflegefall. Man ist da und kämpft und dann wird man auch noch als Pflegefall gesehen! Damit werten sie dich ab. Aber ich glaube, es wird insgesamt vieles auf uns projiziert, zum Beispiel das schlechte Gewissen. Die Leute sehen, wie viel wir machen, und sie selbst merken, dass sie dazu nicht in der Lage wären, obwohl sie sich die ganze Zeit wichtig tun. Sie suchen nach Rechtfertigungen.
Mein Appell: Leute, die in einer Gruppe sind und militante Aktionen machen, sollten sich ernsthaft damit beschäftigen, wer sie über Jahre im Knast unterstützen würde. Ein bisschen mehr Bewusstsein dafür, was man tut, ist angebracht.