DHKP-C-Prozess in Stammheim
Der Folterstaat Türkei und ein dubioser Doppelagent
Seit deutlich mehr als einem Jahr findet vor dem Stammheimer Strafsenat der Prozess gegen fünf vermeintliche Mitglieder der DHKP-C statt. Die Angeklagten befinden sich unter isolierenden Bedingungen seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Ein Ende des Verfahrens ist nicht absehbar.
Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft den Angeklagten vor, als Teil der sogenannten Rückfront von Deutschland aus die militante Politik der DHKP-C in der Türkei unterstützt zu haben. Die Anklage basiert nicht unwesentlich auf Prozessunterlagen aus der Türkei. Die BAW will mit ihnen belegen, wie die Organisation aufgebaut ist und welche Anschläge ihr in der Türkei zuzurechnen sind.
Die Unterlagen fußen fast ausschließlich auf Aussagen von ZeugInnen und Beschuldigten, die in der Türkei von der Staatssicherheitspolizei vernommen worden sind. Der Verteidigung liegen klare Hinweise dafür vor, dass diese Aussagen unter Anwendung von Folter entstanden sind: In ihren Prozessen haben viele Betroffene erklärt, dass sie in den ersten Tagen nach ihrer Festnahme von türkischen PolizistInnen misshandelt, bedroht und unter Schlafentzug gesetzt wurden oder aufgrund der Haftbedingungen bzw. Teilnahme an Hungerstreiks nicht vernehmungsfähig gewesen sind. Wie in der Türkei üblich wurde diesen Foltervorwürfen nicht nachgegangen.
Zynismus pur: Die BAW und Folteraussagen
In Stammheim hat die Verteidigung der Verwertung der türkischen Folterdokumente widersprochen und dies mit diversen Sachverständigengutachten, Gerichtsurteilen und Berichten von Menschenrechtsorganisationen in der Türkei unterfüttert. Die BAW kümmerte das nicht. Zynisch stellte sie sich auf den Standpunkt: Sicherlich dürften in Deutschland Aussagen, die unter Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden entstanden sind, nicht verwertet werden, da damit ein Verstoß gegen die UN-Antifolterkonvention verbunden sei. Allerdings müsse in jedem Einzelfall der konkrete Beweis erbracht werden, dass in einer bestimmten Vernehmung auch tatsächlich gefoltert worden sei.
Die BAW gibt zwar zu, dass es in der Türkei weiterhin zu Misshandlungen kommt. Für das Stuttgarter Verfahren habe das aber nur dann Bedeutung, wenn die Verteidigung die Folter im Einzelfall nachweisen bzw. beweisen kann, dass in der Türkei Aussagen von ZeugInnen und Beschuldigten immer unter Folter zustande kommen. In der Konsequenz heißt das: Eine Aussage ist für die BAW nur dann nicht verwertbar, wenn die Türkei die Folter zugeben oder die türkischen Folterknechte ihre Misshandlungen selber bestätigen würden.
Damit macht sich die BAW und auch das die Ermittlungen durchführende Bundeskriminalamt (BKA) zum verlängerten Arm der türkischen Folterpolitik. So ist sich das BKA auch nicht zu schade, unkommentiert Mitteilungen der Istanbuler Staatspolizei an das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart mit folgendem abwegigen Wortlaut weiterzuleiten: »Nach Ansicht der türkischen Gesprächsteilnehmer fänden jedoch seit ca. 10 Jahren keine tatsächlichen Übergriffe auf Beschuldigte mehr statt. Vielmehr gäbe es inzwischen ein spezielles Konflikttraining, dass die Beamten zur Besonnenheit erziehen soll.«
Bislang ist nicht erkennbar, dass das OLG Stuttgart die Praxis von BAW und BKA für kritikwürdig hält, sich zum Sprachrohr türkischer Folterpolitik zu machen und sie letztlich zu legitimieren. Im Gegenteil: Im Herbst letzten Jahres präsentierte das Gericht für die Angeklagten und ihre VerteidigerInnen überraschend hochrangige Staatssicherheitspolizisten des Polizeipräsidiums Istanbul als ZeugInnen.
Die türkischen Polizeizeugen sollten u.a. wiedergeben, welche Aussagen bei polizeilichen Vernehmungen gewonnen worden sind und welche Erkenntnisse die Türkei zur DHKP-C hat. Die Befragung der Zeugen konnte bislang weitestgehend verhindert werden. Das Gericht hat aber deutlich gemacht, dass diese Zeugen nochmals geladen werden sollen. Dabei ist mittlerweile bekannt, dass gegen einen dieser Zeugen in der Türkei zwei Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfes der Folter im Rahmen von Vernehmungen anhängig sind.
Käpt`n Blaubär erzählt: Die Geschichten des Hüseyin H.
Neben den Unterlagen aus der Türkei stützt sich die BAW hauptsächlich auf die Aussagen eines mutmaßlichen Doppelagenten. Hüseyin H. hat in einem gegen ihn gerichteten Verfahren behauptet, sowohl für den deutschen Verfassungsschutz als auch für den türkischen Geheimdienst MIT gearbeitet zu haben. Nur deshalb habe er sich der DHKP-C angeschlossen. In diesem Zusammenhang hätte er, angeleitet von den fünf Angeklagten, ein Fahrzeug von Deutschland nach Bulgarien gesteuert. Hier sei es mit Waffen beladen worden. Wie es der türkische Geheimdienst gewollt hätte, habe er das Auto dann an die türkische Grenze gefahren und dort stehen lassen.
Nach dieser Aussage wurde H. aus der U-Haft entlassen und in den Zeugenschutz genommen. Dass er schon in seinem Verfahren unterschiedlichste Variationen seiner Aussagen abgegeben hat, kümmerte die Ermittlungsbehörden nicht. In Stammheim leugnet der Zeuge nun alle Kontakte zu Geheimdiensten. Er habe dies nur behauptet, um sich wichtig zu machen und aus der U-Haft zu kommen.
Die Waffenlieferung allerdings soll stattgefunden haben, so H. Die Aussagen des sich selbst als Krieger für die Türkei und als heldenhafter Kämpfer gegen das Böse bezeichnenden Kronzeugen sind geprägt von ständigen Wutausbrüchen und Beleidigungen der Angeklagten. Oft kann H. nur durch körperliche Gewalt daran gehindert werden, auf sie loszugehen, und wird dann nach Einnahme starker Psychopharmaka unverdrossen weiterbefragt. Dass das Gericht offensichtlich dennoch an diesem Zeugen festhalten will, spricht Bände. Und dass obwohl die Ermittlungsakten zahlreiche Hinweise enthalten, dass der MIT die Fahrt des H. angeleitet hat und H. als »agent provocateur« tätig war.
Ein Ende des Verfahrens ist nicht absehbar. Das Agieren der BAW lässt deutlich erkennen, dass sie unbedingt eine erste Verurteilung einer türkischen Organisation nach §129b StGB erreichen will. Dieser politische Wille ist offenbar wichtiger als die Einhaltung zentraler Grundsätzen eines fairen Verfahrens.
Die AutorInnen sind Rechtsanwälte in Berlin und im Stuttgarter DHKP-C-Prozess als Verteidiger aktiv.