Erklärung der Verteidigung zur Gerichtsentscheidung zum Beweisantrag vom 30.07.2009

Diese Erklärung der Verteidigung bezieht sich auf einen Beweisantrag vom 30.07.2009, siehe: http://einstellung.so36.net/de/prozess/bericht/1513

Die Verteidigung hat die zeugenschaftliche Vernehmung der
1. Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Heinz Fromm zu laden über Bundesamt für Verfassungsschutz, Merianstraße 100, 50765 Köln;
2. Jörg Zierke, Präsident des Bundeskriminalamtes, zu laden über Bundeskriminalamt, Paul-Dickopf-Straße 2, 53338 Meckenheim;
3. Frau Schmidt, Abteilung 2, Verfassungsschutz der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Klosterstraße 47, 10179 Berlin;
beantragt.

Es wurde weiter beantragt, das Vorwort der Interim Ausgabe Nr. 666 vom 21.12.2007 zu verlesen.

Die Anträge wurden wie folgt begründet:

"Die Verlesung des Vorwortes der Interim Ausgabe Nr. 666 wird ergeben, dass der in der Nummer 666 der Flugschrift veröffentlichten Texte zum so genannten Minihandbuch tatsächlich bereits ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung, nämlich im Juni 2007 bzw. Juli 2007 bei der Interim eingingen und dort aufgrund von internen Überlegungen nicht zeitnah veröffentlicht wurden. Auch die späte Veröffentlichung des hierauf Bezug nehmenden Textes in der Nummer 667 erklärt sich hierdurch. Damit ist die Annahme der Anklage, das Auffinden der 12 Seiten des so genannten Minihandbuches bei dem Angeklagten Ludwig sei ein Indiz dafür, dass er an der Erstellung dieses Minihandbuches beteiligt war zumindest soweit erschüttert das erhebliche Zweifel daran bleiben.

Die Vernehmung der Zeugen wird ergeben, dass beide Schreiben tatsächlich etwa ein halbes Jahr vor ihrer Veröffentlichung bei Interim eingingen. Sowohl das Bundesamt als auch das Landesamt Berlin für Verfassungsschutz sowie der Bundeskriminalamt kennen die Postanschrift der Redaktion der Interim, die in der Flugschrift bekanntgegeben wird, kontrollieren den vollständigen Posteingang und können daher Angaben über den tatsächlichen Eingang von Zuschriften und Artikeln bei der Interim machen.

Die Vernehmung der Zeugen 1. bis 3. wird darüber hinaus ergeben, dass alle drei Ämter keinen umfassenden Zugriff auf Schreiben und Texte haben, die in der militanten linksradikalen Szene zirkulieren, soweit sie nicht in für die Veröffentlichung bestimmten Zeitungen und Flugschriften abgedruckt sind. Damit kann aus der Tatsache, dass diesen Behörden das so genannte Minihandbuch vor der Hausdurchsuchung beim Angeklagten Ludwig nicht bekannt war nicht der Schluss gezogen werden, dass mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der Text nicht bereits länger in kleineren Kreisen zirkulierte und damit veröffentlicht war.

Die Zeugen werden darüber hinaus angeben, dass die Interim regelmäßig nach eigenem Dafürhalten Texte abdruckt oder nicht abdruckt und damit auch die Wahrscheinlichkeit besteht, dass tatsächlich die Verzögerung der Veröffentlichung der beiden Schreiben, die auf das Minihandbuch Bezug nehmen glaubwürdig ist. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Minihandbuch bereits vor dem Auffinden bei dem Angeklagten Ludwig in der linksradikalen militanten Szene verbreitet worden war.

Weiter werden die Zeugen angeben, dass der Posteingang der Interim von Mitarbeitern ihrer Behörden überwacht wird, und der Eingang der oben angesprochenen Schreiben, die auf das so genannte Minihandbuch Bezug nehmen, von diesen festgestellt wurde. Die Befragung wird weiter ergeben, dass die Beiträge tatsächlich bereits im Juni 2007 bzw. Juli 2007 bei der Interim-Postadresse eingingen und damit zeitlich bevor bekannt wurde, dass 12 Seiten eines so genannten Minihandbuches bei dem Angeklagten Ludwig gefunden wurden. Damit würde die Annahme, die zwei Schreiben seien nur zur Täuschung geschrieben, mit dem Ziel den Ermittlungsbehörden eine Verbreitung des so genannten Minihandbuches vorzuspielen, widerlegt."

Der Senat ist dem Antrag auf Verlesung des Vorwortes der Interim Ausgabe Nr. 666 vom 21.12.2007 in der Hauptverhandlung vom 2.9.09 nachgekommen.

Der Vorsitzende Richter Hoch hatte nach der Stellung des Beweisantrages das BfV, BKA und den Verfassungsschutz Berlin angeschrieben und um Behördenzeugnisse zum Beweisthema gebeten. Die darauf hin eingegangenen so genannten Behördenzeugnisse wurden in der Hauptverhandlung vom 2.9.09 verlesen.

In dem Schreiben des BKA vom 27.8.09 wird ausgeführt das BKA würde keine Kontrolle des vollständigen Posteinganges der Zeitschrift "Interim" durchführen. Aussagen über den tatsächlichen Eingang von Zuschriften und Artikeln könnten von daher nicht gemacht werden. Das BKA könne nicht bestätigen, dass die in Rede stehenden Veröffentlichungen im Juni bzw. Juli 2007 bei der Interim eingegangen sind.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz führt lediglich aus, nicht über Erkenntnisse zu verfügen, die bestätigen, dass die beiden in Rede stehenden Artikel bereits im Juni und Juli 2007 bei der Interim eingegangen seien.

Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport des Senates Berlin teilt durch die Abteilungsleiterin Verfassungsschutz Frau Schmid mit, aus dem Informationsaufkommen des Verfassungsschutze Berlin könne nicht bestätigt werden, dass die beiden in Rede stehenden Artikel bereits im Juni und Juli 2007 bei der Interim eingegangen seien.

Der Senat teilte im Rahmen von Beschlußverkündungen in der Hauptverhandlung vom 2.9.09 mit, der Antrag Antrag würde durch Austausch des Beweismittels und die Verlesung der Behördengutachten für erledigt gehalten.

Die Verteidigung nimmt dies zum Anlass mitzuteilen, dass sie den Antrag durch die Verlesung der so genannten Behördengutachten nicht für erledigt hält und an dem Beweisantrag festhält.

Es besteht weiterhin ein erhebliches Aufklärungsinteresse das durch die so genannten Behördenzeugnisse nicht hinreichend befriedigt wurde. Insbesondere bleiben erhebliche Fragen offen.

Alle drei Behördenzeugnisse beschränken ihre Auskunft ganz ausdrücklich auf den Eingang der in Rede stehenden Artikel in den Monaten Juni und Juli 2007. In dem hier zu Grunde liegenden Beweisantrag werden zwar diese zwei Monate als wahrscheinliche und angenommene Eingangszeiträume benannt, es wird aber ausdrücklich als Beweisergebnis angegeben:

"Die Vernehmung der Zeugen wird ergeben, dass beide Schreiben tatsächlich etwa ein halbes Jahr vor ihrer Veröffentlichung bei Interim eingingen."

Durch die Verwendung des Wortes "etwa" wird deutlich, dass auch ein Engang in den Monaten August und September 2007 möglich wäre. Es ergibt sich aus dem Antrag, dass die Schreiben mit den Monaten Juni und Juli 2007 datiert sind. Es drängt sich daher auf, dass auch ein um einige Tage zeitversetzter Eingang bei der "Interim" nach dem Juli 2007 möglich ist. Aus allen drei sogenannten Behördenzeugnissen ergibt sich hierzu nichts.

Zum Beweisantrag gehört die Frage nach Erkenntnissen über den Umgang der Szenezeitschrift "Interim" mit eingesendeten Artikeln. Immerhin wird in dem Vorwort der Interimsausgabe Nr. 666 angegeben, die beiden Artikel seien bereits etwa ein halbes Jahr vorher eingegangen. Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer solchen Angabe ist es notwendig zu berücksichtigen, ob die "Interim" festen Regeln beim Umgang mit eingesandten Artikeln folgt, ob redaktionelle Beiträge wie Vorworte in der Regel ehrlich sind oder taktische/strategische Ziele verfolgen. In dem Beweisantrag wird daher ausgeführt:

"Die Zeugen werden darüber hinaus angeben, dass die Interim regelmäßig nach eigenem Dafürhalten Texte abdruckt oder nicht abdruckt und damit auch die Wahrscheinlichkeit besteht, dass tatsächlich die Verzögerung der Veröffentlichung der beiden Schreiben, die auf das Minihandbuch Bezug nehmen glaubwürdig ist. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Minihandbuch bereits vor dem Auffinden bei dem Angeklagten Ludwig in der linksradikalen militanten Szene verbreitet worden war."

Die drei so genannten Behördenzeugnisse enthalten keinerlei Ausführungen zu diesen Punkten. Es besteht daher weiteres Aufklärungsinteresse.

Zur Beurteilung des vorliegenden Beweisantrages und der drei so genannten Behördenzeugnisse drängt sich die Frage auf, ob die drei Behörden überhaupt den Posteingang der Szenezeitschrift "Interim" überwachen, ob eine unregelmäßige und unvollständige Überprüfung stattfand oder ob andere Erkenntnisquellen zum Posteingang vorliegen. Die Schreiben der Senatsverwaltung Berlin sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz beschränken sich auf die Angabe zu Erkenntnissen zu den zwei hier in Rede stehenden Artikeln, , im Schreiben des BKA wird zusätzlich immerhin angegeben, das BKA führe keine Kontrolle des vollständigen Posteinganges durch. Angaben darüber, ob in dem in Rede stehenden Zeitraum überhaupt Post für die "Interim" einging, ob nur wenige Schreiben ankamen, ob möglicherweise Schreiben im Juni und Juli eingingen, die von der Machart und Gewicht die hier in Rede stehenden Artikel enthalten haben könnten aber nicht geöffnet wurden, werden nicht gemacht, obwohl solche Fragen sich zur Beurteilung der im Vorwort der Interim Nr. 666 gemachten Aussagen und der Datumsangaben der Artikel aufdrängen.

Angaben, die darauf schließen ließen, dass eine zeitliche Verzögerung der Veröffentlichung eines eingesandten Artikels aufgrund der regelmäßigen Praxis der "Interim" ausgeschlossen werden können werden nicht gemacht.

Aus dem Schreiben der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilungsleiterin Verfassungsschutz Frau Schmid ergibt sich lediglich eine Aussage für die Erkenntnisse aus dem behördeneigenen Informationsaufkommen, also aus Informationen die von der Behörde selbst beschafft wurden. Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Behörde Erkenntnisse vorliegen, die von anderen Behörden/Quellen beschafft wurden.

Die bisherige Erfahrung mit Behördenzeugnissen insbesondere des Bundesamtes für Verfassungsschutz lässt erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob diese in dem vorliegenden Verfahren geeignet sind, wahrheitsgemäße und belastbare Angaben zu erhalten.

Durch Verlesung wurden in der hier laufenden Hauptverhandlung mehrere Behördenzeugnisse des Bundesamtes für den Verfassungsschutz eingeführt.

Aus einem Behördenzeugnis des Präsidenten des BfV Fromm vom 25. Februar 2008 sollte sich die Mitgliedschaft der Angeklagten in den "militanten gruppen" aus der Aussage eines Informanten ergeben.

In der Hauptverhandlung am 25. Februar 2009 gab der Vizepräsident des BfV Remberg in seiner Vernehmung an, aufgrund seiner eingeschränkten Aussagegenehmigung dürfe er zur Validität der Angaben des Informationsgebers keine Angaben machen. Auf ein hierauf erfolgtes Anschreiben des Vorsitzenden Hoch vom 12.3.2009 antwortete der Präsident des BfV Fromm mit Schreiben vom 6. April 2009, das in der Hauptverhandlung vom 20. April 2009 verlesen wurde. In diesem Schreiben wird unter anderem ausgeführt:
"m) die Erkenntnisse des Informationsgebers stammen vom Hörensagen."

Damit ist deutlich, dass das ursprüngliche Behördenzeugnis vom 25. Februar 2008 falsch war, jedenfalls insoweit, dass es die Information des Informationsgebers über die angebliche Mitgliedschaft der Angeklagten in den "militanten gruppen" als dessen Wissen und Wahrnehmung darstellte und nicht deutlich machte, dass es sich nur um Wissen vom Hörensagen handelte. Der Informationsgeber hätte daher nur als Quelle für die eigentlichen Zeugen, von denen er das in das Behördenzeugnis gegossene Gerücht hatte, benannt werden dürfen.

Die neugeschaffene Möglichkeit der Verlesung von Behördenzeugnissen ist hier nicht unbedenklich, weil sowohl das BKA als Strafverfolgungsbehörde (hier wäre ohnehin eine Verlesung gem. § 256 Abs. 1 Nr. 5 einschlägig) insbesondere aber das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass im Rahmen der Ermittlungen gegen die "militanten gruppen" bereits massiv öffentlich kritisiert wurde, ein besonderes Interesse an einer Verurteilung der Angeklagten haben und dieses Interesse wie soeben dargestellt wurde, auch schon in fragwürdiger Weise umgesetzt hat. Das Ziel von § 256 StPO zur prozessualen Einführung von Gutachten, ärztlichen Berichten und vergleichbaren Unterlagen die Vernehmung der ausstellenden Personen zu vermeiden und Prozesse hierdurch zu verschlanken kann und soll natürlich nicht dazu führen, dass hier Angaben über die Wahrnehmungen von Polizeibeamten und Verfassungsschützern bei ihren Ermittlungen ohne strafbewehrte Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage und Nachfragemöglichkeit in einen Prozess eingeführt werden.

Die Aufklärungspflicht des Gerichts bleibt von § 256 StPO unberührt. Vorliegend drängen sich erhebliche weitere Fragen zu dem Beweisantrag auf und wird dieser durch die so genannten Behördenzeugnisse auch nicht vollständig beantwortet, so dass die Aufklärungspflicht die beantragte Zeugenvernehmung notwendig macht.

Rechtsanwalt Olaf Franke
Rechtsanwalt Thomas Herzog
Rechtsanwalt Alexander Hoffmann
Rechtsanwalt Sven Lindemann
Rechtsanwalt Stephan Schrage
Rechtsanwältin Undine Weyers

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