Beweisantrag: Steuerung des mg1-Verfahrens durch den Verfassungsschutz

In der Strafsache gegen Florian L. u.a. wird beantragt, die Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutzes mit den Decknamen „Ochsenbrücher” sowie „Ganser” als Zeugen zu laden und zu hören.

Die Zeugen sind über das Bundesamt für Verfassungsschutz, 50445 Köln zu laden.

Sie werden zunächst bekunden, dass sie eine Vielzahl von Vermerken hinsichtlich Anschlägen in Berlin seit 1995 verfasst hat. Sie seien zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Anschläge, obwohl sich verschiedene Zusammenhänge dazu bekannt haben, von ein und derselben Gruppe begangen worden sind. Diese bezeichnen sie als sog. Selbstporträtgruppe, bezogen auf ein Papier mit dem Titel „Selbstporträt einer militanten Gruppe - Anfangen, aber nicht um jeden Preis” veröffentlicht in Interim Nr. 388 vom 13.09.1996. Diese „Selbstporträtgruppe” hätte sich angeblich später seit Juni 2001 unter dem Namen Militante Gruppe zu einer Vielzahl von militanten Aktionen bekannt.

Die Zeugen haben ohne entsprechende wissenschaftliche Ausbildung die Bekennerschreiben der verschiedenen Gruppen untersucht. Die Ergebnisse dieser unwissenschaftlichen Untersuchung bilden die wesentliche Grundlage ihrer Berichte an das BKA. Durch das Verwenden von ähnlichen allgemeinpolitischen Begriffen in den Bekennerschreiben seien die Zeugen zu dem Schluss gekommen, dass alle Aktionen von dem selben politischen Zusammenhang durchgeführt worden sind. Diesem Zusammenhang hätten sie die ehemals gesondert Verfolgten U., H. und F. [mg1] zugeordnet, gegen die dann die BAW das Verfahren 2 BJs 48/01-2 eröffnet habe.

Die Zeugen werden auch bekunden, dass sie vom BKA auf Widersprüche hinsichtlich ihrer Textinterpretation und der angeblichen Autorenidentität angesprochen worden ist. Das BKA hätte wissenschaftliche linguistische Gutachten erstellen lassen und wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass lediglich die Grundsatzpapiere der „Selbstporträtgruppe” und eine Anleitung für einen Brandsatz als militantes Mittel mit dem Wahrscheinlichkeitsgrad „wahrscheinlich” als autorenidentisch festgestellt werden kann. Das Gutachten des BKA KT 54 hätte für allen weiteren Texte ergeben, dass eine Urheberschaftsidentität als wahrscheinlich ausgeschlossen, bzw. weder festgestellt noch ausgeschlossen werden kann. Demnach hätte bei der Mehrzahl der untersuchten Schreiben ein Widerspruch zwischen den Ergebnissen der Analysen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des BKA-Gutachtens bestanden. Die Zeugen hätten daraufhin dem BKA blumig erklärt, dass ihre Untersuchung nicht unbedingt zwingend darauf abziele, eine Einzelperson als einzigen Texturheber festzustellen.

Vielmehr sei ihre Analyse darauf gerichtet gewesen, Texte als ein gedankliches Produkt einer Gruppe zu erkennen, wobei es ihnen angeblich lediglich um die gleiche politische Argumentation in einer Analyse gegangen wäre. Für sie seien lediglich die erkennbare Ideologie und der politische Ansatz der Autoren wichtig gewesen. Dies sei allerdings falsch gewesen, denn sie seien sehr wohl an der Identifizierung einzelner Personen äußerst interessiert gewesen. Dies ergäbe sich bereits aus der Behauptung, dass „Antonio” vom Runden Tisch J. U. gewesen sei.

Die Zeugen werden bestätigen, dass ihre Herangehensweise willkürlich ist und dass sie bei ähnlichem politischem Ansatz von Personen bzw. Gruppierungen im linksradikalen Bereich aufgrund von ähnlichen politischen Positionen immer zu angeblichen Übereinstimmungen kommen kann, wenn ihnen dies als nützlich erscheint (SA Bd. 1 O. 1 Bl. 337).

In Wahrheit würden solche Übereinstimmungen lediglich gemeinsame politische Einstellungen dokumentieren, die im vorliegenden Fall nicht so exklusiv seien, dass deswegen eine Identität bzw. gemeinsame Gruppenzugehörigkeit auch nur in Frage kommen würde.

Weiterhin hätten sie in ihren Vermerken behauptet, dass am 15.03.2000 in Berlin-Kreuzberg ein sogenanntes konspiratives Treffen stattgefunden haben soll, an dem U. unter dem Pseudonym „Antonio” teilgenommen hätte. Das geführte Gespräch sei später von der Interim am 30. März 2000 in der Nummer 498 unter dem Titel „Runder Tisch der Militanten” veröffentlicht worden.

Die Zeugen werden bekunden, dass sie für alle ihre Thesen weder belastbare Fakten hatten noch haben. Sie werden bekunden, dass das Bundesamt keine konkrete Kenntnis hat, was auf dem angeblichen konspirativen Treffen am 15. März 2000, an dem der ehemals gesondert Verfolgte U. teilgenommen hat, besprochen worden ist und die Zuordnung von U., H. und F. hinsichtlich der Selbstporträtgruppe völlig willkürlich erfolgte. Allerdings wüsste das Bundesamt sehr genau, welche Personen an dem besagten Treffen noch teilgenommen haben und dass Herr U. - überhaupt nicht konspirativ - per Telefon sowohl von dem Treffen selbst wie auch dem Zweck des Treffens informiert worden sei.

Die Zeugen werden bekunden, dass das BfV entgegen ihrer Behauptung, das Treffen am 15.03.2000 war die Diskussion „Runder Tisch der Militanten” zu der Überzeugung gelangte, dass gerade diese Treffen nicht dem genannten Thema dienten, sondern das es am wahrscheinlichsten ist, dass dort eine Reihe von ehemaligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Tageszeitung taz über ihre Erfahrungen im damaligen Kollektivbetrieb taz Anfang der Achtziger Jahre diskutieren und in zeitlichem Abstand reflektieren wollten. Zu diesem Schluss kam das BfV zum einen aus den überwachten Telefonaten, wo J. U. genau zu diesem Thema auf das Treffen eingeladen wurde. Das Telefon von J. U. - so die Zeugen weiter - war bereits seit Ende 1998 vom BfV überwacht (vgl. SA Bd. 1 O.1 Bl. 111).

Weiter wurden die teilnehmenden Personen analysiert und von diesen waren mindestens vier Personen völlig unverdächtig, Mitglieder in militanten Zusammenhängen in Berlin Ende der Neunziger Jahre zu sein. Allerdings hätten alle teilnehmenden Personen - im übrigen sieben und nicht sechs, wie am Runden Tisch - allesamt Anfang der Achtziger Jahre bei der taz gearbeitet und damit sei der am Telefon angegebene Zweck absolut nachvollziehbar. Weiter sei die Zeit vom 15.03.2000 bis zur Veröffentlichung in der Interim am 30.03.2000 viel zu kurz, um ein Interview dieses Umfangs zu verschriften, redaktionell zu redigieren, den Beteiligten ggf. zur Genehmigung vorzulegen und sonstige Schritte wie Druck, Verteilung etc. zu gewährleisten. Auch sei die Dauer des Treffens zu kurz gewesen, dass daraus ein Interview dieser Länge wie von der Interim publiziert, dort geführt worden sei. Schließlich sei noch hinzukommen, dass sich der gleiche Personenkreis nach der Veröffentlichung der Interim 498 noch einmal am 06.04.2000 an der gleichen Adresse getroffen habe. Dies hätte überhaupt keinen Sinn gemacht, wenn die angeblich geführte Diskussion bereits publiziert worden wäre.
Die Beweiserhebung wird ergeben, dass die Aussagen in den Schreiben des Bundesamtes in SA Bd. 1 O. 1 Bl. 89ff. und speziell Bl. 115f. völlig haltlose Spekulationen ohne jede faktische Unterfütterung gewesen sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz - so wird sich weiter ergeben - hatte ein reines Ausforschungsinteresse an den gesondert Verfolgten U., H. und F. und hat deshalb das BKA von angeblichen Tatsachen in Kenntnis gesetzt, um so zu erreichen, dass ein Ermittlungsverfahren gegen die Betroffenen eingeleitet wird. Das Bundesamt habe an diesen seit Jahren aktiven Personen im linken Spektrum besonderes Interesse gehabt, ist aber zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass diese drei Personen für die direkte oder indirekte Durchführung von militanten Aktionen verantwortlich sind, weil es hierfür keinerlei Anhaltspunkte hatte.

Dies ergibt sich auch durch die Tatsache, dass die angebliche Teilnahme des gesondert Verfolgten U. am „Runden Tisch der Militanten” zum ersten Mal vom Bundesamt in einem Schreiben vom 3. Juli 2001 behauptet wird, obwohl das Bundesamt durch operative Maßnahmen, hier eine vermutliche Observation des gesondert Verfolgten U. über dessen Teilnahme an dem vermeintlichen „Runden Tisch der Militanten” bereits am Tag dieses Treffens - 15.03.2000 - informiert war und J. U. bei Betreten des vermeintlichen Treffpunkts fotografiert hat. In keinem der Berichte seit dem 15. März 2000 wird auch nur ansatzweise behauptet, dass J. U. an einem solchen Treffen teilgenommen hat. Dieses Konstrukt taucht erst 15 Monate später ansatzlos und ohne jede Erklärung auf. Warum dies nicht bereits in davor liegenden Berichten bspw. vom 7. Februar 2001 oder 27. April 2000 erwähnt wird, liefert das BfV keine Erklärung.
Das BfV erhoffte sich durch die Einleitung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens u.a. die Durchführung von Exekutivmaßnahmen, zu denen das BfV nicht ermächtigt ist - wozu es am 09.05.2007 auch kam - und hierdurch in der Folge weitere Erkenntnisse über die drei Personen im Wege der Amtshilfe.

Ohne dieses Konstrukt hätte das Ursprungsverfahren gegen vermeintliche Mitglieder der mg gar nicht eröffnet werden können. Nur durch das Agieren des Bundesamtes im Hintergrund war es dem BKA möglich, mit seinen Ausforschungen gegen die gesondert Verfolgten und deren persönliches, berufliches und soziales Umfeld zu beginnen und diese über sechs Jahre lang mit einer Vielzahl von Überwachungsmaßnahmen zu überziehen.

Die Beweiserhebung wird eine Steuerung des Verfahrens 2 BJs 48/01-3 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz belegen, was nicht getrennt vom hiesigen Verfahren gesehen werden kann. So haben hier Zeugen vom BfV ausgesagt und es sind sogenannte Behördenzeugnisse in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Nicht zuletzt mit der nicht überprüfbaren Geschichte eines mutmaßlich erlogenen V-Mannes hat das BfV sein Belastungs- und Verurteilungsinteresse manifestiert. Auch das Gericht hat einige Zeugen über ihre Erkenntnisse hinsichtlich des „Runden Tischs” befragt und so zu verstehen gegeben, dass dies Thema eine gewisse Relevanz auch in dieser Hauptverhandlung hat.

S. Lindemann
Rechtsanwalt

Beweisantrag

Am gleichen Tag wurde der nachfolgende, ähnliche Beweisantrag gestellt:

Es wird beantragt,die Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutzes mit den Decknamen „Ochsenbrücher” sowie „Ganser” als Zeugen zu laden und zu hören.

Die Zeugen sind über das Bundesamt für Verfassungsschutz, 50445 Köln zu laden.

Die Zeugen werden bekunden, dass am 15.03.2000 in Berlin-Kreuzberg ein sogenanntes konspiratives Treffen stattgefunden hat, an dem der ehemals Beschuldigte U. unter dem Pseudonym „Antonio” teilgenommen hätte. Das geführte Gespräch sei später von der Interim am 30. März 2000 in der Nummer 498 unter dem Titel „Runder Tisch der Militanten” veröffentlicht worden.

Die Zeugen werden bekunden, dass dieses Gespräch nicht nur optisch überwacht, sondern auch mit technischen Mitteln abgehört wurde, da bereits im Vorfeld Treffpunkt und Zeitpunkt bekannt waren und der Verdacht von Straftaten nach §129a StGB bestand. Das Telefon von J. U. war bereits seit Ende 1998 vom BfV überwacht (vgl. SA Bd. 1 O.1 Bl. 111). Sie werden bekunden, dass sich aus der akkustischen Überwachung ergab, dass keinerlei anschlagsrelevante Gespräche geführt wurden, insbesondere aber, dass auf dem Treffen nicht die später unter dem Titel „Runder Tisch der Militanten” veröffentlichte Diskussion geführt wurde.

Die Zeugen werden bekunden, dass bei dem Gespräch eine Reihe von ehemaligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Tageszeitung taz über ihre Erfahrungen im damaligen Kollektivbetrieb taz Anfang der Achtziger Jahre diskutierten und in zeitlichem Abstand reflektierten.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz - so wird sich weiter ergeben - hatte ein reines Ausforschungsinteresse an den gesondert Verfolgten U., H. und F. und hat deshalb das BKA von angeblichen Tatsachen in Kenntnis gesetzt, um so zu erreichen, dass ein Ermittlungsverfahren gegen die Betroffenen eingeleitet wird. Das Bundesamt habe an diesen seit Jahren aktiven Personen im linken Spektrum besonderes Interesse gehabt, und die weitere Überwachung als einzige Chance gesehen, weitere Erkenntnisse über militante Zusammenhänge im Bereich Berlin zu ermitteln.

Ohne dieses Konstrukt hätte das Ursprungsverfahren gegen vermeintliche Mitglieder der mg gar nicht eröffnet werden können. Nur durch das Agieren des Bundesamtes im Hintergrund war es dem BKA möglich, mit seinen Ausforschungen gegen die gesondert Verfolgten und deren persönliches, berufliches und soziales Umfeld zu beginnen und diese über sechs Jahre lang mit einer Vielzahl von Überwachungsmaßnahmen zu überziehen.

Die Beweiserhebung wird eine Steuerung des Verfahrens 2 BJs 48/01-3 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz belegen, was nicht getrennt vom hiesigen Verfahren gesehen werden kann.

A. Hoffmann
Rechtsanwalt

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