Bericht vom 39. Prozesstag (29.04.2009)

Reste von Brandsätzen
Anschließend an die Zeugenbefragung vom letzten Verhandlungstag (23.04.09) wurde als Zeuge EHKH Binz weiter zu Brandmittelrückständen an den von ihm aufgelisteten mg-Anschlagsorten und seiner jeweiligen Rolle als Ermittler befragt. Er schilderte die Umstände eines Anschlages auf das Berliner Polizeipräsidium und machte recht genaue Angaben zur Menge und Verpackung des durch den Anschlag allerdings vernichteten Brandbeschleunigers. Bei keinem anderen vom BKA in diesem Zusammenhang untersuchten Anschlag wurde ein im Bau ähnlicher Brandsatz verwendet. Nachfolgend wurden Informationen über weitere Anschläge, unter anderem auf das Berliner Sozialgericht, die Bundespolizei, die italienische Handelskammer und auf Polizeifahrzeuge in Spandau vorgetragen. Entgegen der Darstellung der Bundesanwaltschaft (BAW) in der Anklageschrift wurde deutlich, dass mehrfach nicht der angeblich mg-typische "Nobelkarossentod" der angewendete Brandsatz war. Als Überreste von Brandsätzen wurden Textil-Gewebestreifen, eine Decke, ölige Substanzen, Glasflaschen mitunter aber auch gar nichts gefunden.

Bei der Befragung mochte sich der Zeuge an fast nichts erinnern, und bemühte sich seine Verantwortlichkeiten und sein Wissen als Ermittlungsführer in den Hintergrund zu spielen.

Zuordnung von Anschlägen zur mg
Die Verteidigung fragte den Zeugen, wie eine Zuordnung von Anschlägen zur mg statt fände. Dies erfolgte laut Binz in erster Linie durch den Eingang von mg-Bekennerschreiben und die Auswertung derselben. Für ihn sei es recht eindeutig gewesen "sie (die mg) sagen ja was, wann und wo sie etwas angezündet haben." Und "es gab ja die Bekennung, dann weiß man das ja." Auf genauere Nachfragen antwortete er, dass auf Aussehen, Inhalt und Rechtschreibfehler das Augenmerk gerichtet werden würde. Textauswerter KHK Nolte von der Abteilung ST 11 sei die Person, der weitere Fragen dazu gestellt werden könnten. Da die Textauswerter Kriminalbeamte mit langjähriger Erfahrung seien, sehe der Zeuge keinen Anlass die Auswertungen und Ergebnisse zu denen sie kämen zu überprüfen.

Bei Texten der so genannten Altfälle (Anschläge und Bekennerschreiben vor 2001, die auch der mg zugerechnet werden) fand der Zeuge die Ähnlichkeit der Gruppennamen, zB: "antirassistische militante Gruppen" bestechend. Außerdem hätte der Verfassungsschutz (VS) "das auch so gesehen". Der Anwalt Hoffmann hielt ihm vor, dass er wissen müsse, dass das Wort "militant" in der autonomen Szene äußerst häufig verwendet werde. Binz bekundete, nicht er habe die Zuordnung der Altfälle zur mg gemacht.

Anschläge nach 2007
Die Frage der Verteidigung, ob Brandanschläge nach Juli 2007, die vom Charakter und der inhaltlichen Ausrichtung zu der mg passen würden, wie der Brandanschlag in Dresden, bei dem 42 Bundeswehrfahrzeuge zerstört wurden, der mg ebenfalls zugerechnet würden, verneinte der Zeuge. Es hätte kein Bekennerschreiben der mg gegeben und mit den Festnahmen 2007 sei er davon ausgegangen, dass sich "das Thema mg erledigt" hätte. Seine Behörde würde nicht wegen jedem Brandanschlag "ins Blaue (-Wunder) hinein ermitteln". Wenn kein Bekennerschreiben der mg auftauche, wäre es nicht seine Aufgabe zu ermitteln, außer es gäbe eine Aufforderung durch die BAW.

"unkonventionelle Maßnahmen" des BKA
Der Zeuge hatte erklärt, dass man sich beim BKA Gedanken gemacht habe, was man noch so alles tun könne, um mit den jahrelang erfolglosen Ermittlungen voranzukommen. Die beiden Militanzdebattenbeiträge des BKA wurden daraufhin geschrieben. Die Verteidigung fragte nach weiteren "unkonventionellen Maßnahmen" des BKA und ob der Muppetshow-Text und die BKA Homepageüberwachung Teile einer Gesamtstrategie seien. Der Zeuge verweigerte anfänglich die Beantwortung dieser Frage mit dem Hinweis auf seine beschränkte Aussagegenehmigung. Es seien aber Maßnahmen erwogen worden, welche man später nicht umgesetzt habe. Einen fingierten Anschlag habe es seines Wissens nach nicht gegeben, und Brandsätze wurden vom BKA auch nicht nachgebaut. Hakenkrallen seien allerdings vom BKA gebaut worden. (Metallkonstruktionen, die im Zusammenhang mit Anti-Atom-Protesten zum stoppen von Zügen verwendet wurden.)
Ein Artikel im "Focus" aus dem Jahr 2003, in dem mehrere Personen als angebliche Terroristen und mg-Mitglieder dargestellt wurden, stand nach Aussage des Zeugen in keinem Zusammenhang mit dem BKA. Er sei selbst überrascht gewesen so Binz.
Zu weiteren "unkonventionellen Maßnahmen" wollte sich der Zeuge nicht äußern.

Anquatschversuche
Zu weiteren, für den Zeugen und die BAW ganz normalen Maßnahmen gehörte das Ansprechen von so genannten Vertrauenspersonen zur Informationsgewinnung. Anfänglich sagte er aus, dass diese Bespitzelungsversuche ergebnislos beendet wurden. Als die Verteidigung daraufhin die Identität der eingesetzten und befragten Personen klären wollte, verweigerte er die Aussage mit Hinweis darauf, dass er Informanten schützen wolle. Da es keine Informationsweitergabe gegeben habe und somit die Person nicht als Informant zu schützen sei, forderte die Verteidigung die Frage zu beantworten. Erst dann fielen dem Zeugen weitere Details ein, die als Begründung herhalten mussten um keine weiteren Namen zu nennen. Offensichtlich hatte das BKA versucht über zwei verschiedene Quellen (Personen) Informationen über die mg zu erhalten. Eine davon existierte als Informant wohl schon länger, konnte aber nicht genutzt werden, da sie keine interessanten Informationen erhalten konnte. Eine weitere Person war auch nach einem zweiten Ansprechversuch nicht zur Mitarbeit bereit.

Im Gegensatz zu der anfänglich vom Zeugen dargestellten relativen Unwissenheit zu diesem Thema, stellte sich im Verlauf der Befragung heraus, dass der Zeuge Binz selbst in Kontakt mit der für diese Aufgaben zuständigen Fachdienststelle SO53 in Wiesbaden stand. Auch die Zusammenarbeit mit dem LKA lief über ihn.

Zusammenarbeit von BKA, LKA und VS
Bei der Vernehmung wurde deutlich, dass vom BKA immer wieder Vermutungen und Angaben übernommen wurden, die ihren Ursprung beim LKA oder dem VS hatten. Verdächtigungen und Konstrukte wurden vom BKA angeblich nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft. Über Jahre hinweg gab es gemeinsame Treffen und es fand ein reger Informationsaustausch statt. Mal in die eine Richtung, mal in die andere so der Zeuge. An unterschiedliche Einschätzungen oder nachträgliche Korrekturen konnte sich der Zeuge nicht so recht erinnern. Nur bei der Einordnung der Altfälle hatte es offensichtlich Änderungen gegeben.

Das wahrheitsgemäße Korrekturen an einem Punkt auf alle Fälle nicht stattfanden, wurde deutlich, als die Verteidigung einen Verfassungsschutzbericht vorlegte. Darin wurden Ausschnitte aus den fingierten BKA Texten (Muppetshow) als authentische Militanzdebattenbeiträge zitiert. Ob dies gezielt passierte und der VS über die BKA-Urheberschaft informiert wurde, wollte der Zeuge nicht beantworten. Die von der Verteidigung geforderte Protokollierung dieses Zusammenhangs lehnte das Gericht ab.
Über ein in den Akten aufgetauchtes Schreiben des BKA, welches an den VS gerichtet war und eine Abfrage zu 10 Personen beinhaltete, wurde eine konkrete Zusammenarbeit sichtbar. Ebenso bei dem Versuch Informanten gegen den Personenkreis der mg-Verdächtigen aufzubauen.

Dem Vertreter der BAW Weingarten waren die Angaben des Zeugen zur Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden derart unangenehm, dass er mit Interventionen und auffälliger Gestik und Mimik seiner nervlichen Anspannung Ausdruck verlieh.
Auf die Frage, ob der Zeuge andere Personen (Tarek Mousli) aus anderen Verfahren zur mg befragt hätte, antwortete Binz das hätte es gegeben, allerdings nicht im RZ-Ermittlungszusammenhang sondern in einem anderen Verfahren, welches dürfe er aber nicht sagen.

Ursprungsverdacht für mg-Verfahren
Auf die Fragen zum Runden Tisch der Militanten gab der Zeuge an, die Namen derer, die daran beteiligt gewesen sein sollen möglicherweise einmal gekannt zu haben. Ein ehemaliger mg-1-Beschuldigter würde dazugehören. Welche Erkenntnisse das BKA zu den weiteren Personen hat und ob die Vermutungen des VS über angeblich beteiligte Personen überprüft worden seien, wollte der Zeuge nicht preisgeben. Auf eine Spur, die zum aktuellen mg-Verfahren führte sei er, so der Zeuge, durch einen Textbeitrag in der Zeitschrift Telegraph gekommen. Für ihn sei überzeugend gewesen, dass dort Begriffe zu finden waren, die auch in den mg-Texten verwendet wurden. Das es sich hier um Begriffe wie "Reproduktion" handelte, die auch in vielen anderen Texten auftauchten, war dem Zeugen gleichgültig. Wie konkret der Artikel seinerzeit ins Visier der Ermittler kam, beantwortete er nicht. Jedenfalls wurde aufgrund dieses Textes der Autor und dessen Umfeld verdächtig.

Durch die nicht vorhandene Aussagebereitschaft des Zeugen, die Interventionen der BAW und das ausweichende Verhalten des Strafsenats, wurde den Fragen der Verteidigung zum Hintergrund und dem eigentlichen Ursprung der heutigen mg-Verfahren kein Raum gelassen. Wie die Vermutung, die Angeklagten und weitere Verdächtige seien der mg zuzuordnen zustande kam, blieb unbeantwortet.

Zeugenvernehmung Binz beendet
Da wenig Sinn in der Befragung eines Zeugen gesehen wurde, der sich entweder auf seine eingeschränkte Aussagegenehmigung berief, an Kollegen weiter verwies, sich darauf zurückzog, dass alles so lange her sei und angab sich nicht mehr erinnern zu können, brachen die Verteidiger die Vernehmung ab.

Der Zeuge wurde entlassen und für den kommenden Verhandlungstag der Zeuge KHK Nolte vom BKA, einer aus der ms (Muppetshow) angekündigt.

Zum Abschluss des Prozesstags gab die BAW ein Statement zu einem Antrag der Verteidigung ab. Die Sitzungsvertreter der BAW brachten in persönlichen Stellungnahmen zum Ausdruck, von den BKA-Militanzdebattenbeiträgen erst durch die Anwälte im Gerichtssaal informiert worden zu sein.

Nächster Verhandlungstag ist Donnerstag 30.04.09, 9.00 Uhr.

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