Überwachung rechtswidrig: Generalbundesanwalt berücksichtigte entlastendes Material nicht
Die Generalbundesanwaltschaft ermittelte vom 16. Juli 2001 bis zum 22. September 2008 gegen drei Berliner wegen des Vorwurfs, die damals als terroristische Vereinigung eingestufte „militante gruppe“ gegründet zu haben (§ 129a StGB). Im jetzt veröffentlichten Beschluss vom 11. März 2010 erklärt der Bundesgerichtshof (BGH) die in dem Verfahren durchgeführten Telefonüberwachungen und Observationen für rechtwidrig. (StB 16/09)
Nach Ansicht der Richter bestand bereits bei Eröffnung des Verfahrens kein ausreichender „einfacher Tatverdacht“. Das Verfahren gründete auf Verdächtigungen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), welches nach drei Jahren eigener Überwachungstätigkeit allerdings nur „allgemeine Erkenntnisse über politische Orientierungen“ der Beschuldigten erlangt hatte, wie der Bundesgerichtshof jetzt feststellen musste.
Außerdem stellte der Bundesgerichtshof fest, dass der Generalbundesanwalt in seinen Anträgen an den Ermittlungsrichter entlastende Informationen zurückgehalten hatte. So fand u.a. ein „den Erkenntnissen des BfV entgegenstehendes linguistisches Gutachten [...] keine Erwähnung.“ Hätte der Ermittlungsrichter dieses BKA-Gutachten gekannt, hätte er die Überwachungen nach Einschätzung der Richter wohl nicht genehmigen können.
Obwohl durch die Ermittlungen weitere entlastende Details bekannt wurden, verlängerte der zuständige Ermittlungsrichter die Überwachungen in den folgenden Jahren immer wieder. In den sieben Jahren des Verfahrens ergingen aufeinanderfolgend mehr als 27 Kettenbeschlüsse zur Telefonüberwachung und mehr als 12 Anordnungen längerfristiger Observationen.
Zudem wurden im Verlauf dieses Ermittlungsverfahrens weitere Verfahren gegen Personen eröffnet, die mit den Beschuldigten in Kontakt standen; etwa gegen den Sohn eines Beschuldigten sowie das Verfahren gegen Dr. Andrej Holm u.a..
Zu diesen Vorgängen erklärt der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV):
Es ist nicht hinnehmbar, dass allein aufgrund von Vermutungen und politischer Orientierung Personen über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren rechtswidrig überwacht werden können. Mit dem Beschluss erweist sich die richterliche Vorabkontrolle von Telefonüberwachungen und Observationen, die rechtswidrige Überwachungsmaßnahmen eigentlich verhindern sollte, wieder einmal als weitgehend wirkungslos.
Aus Sicht des RAV ist es nicht ausreichend, die Staatsanwaltschaften zu verpflichten, auch entlastende Umstände in ihren Anträgen vollständig wiederzugeben. Gerade bei länger andauernden heimlichen Ermittlungsmaßnahmen muss der Ermittlungsrichter eine eigenständige Prüfung anhand des gesamten Akteninhalts vornehmen. Eine nur nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit, wie sie der Bundesgerichtshof jetzt ausgesprochen hat, ersetzt auch nicht den Schutz der Betroffenen vor tiefen Grundrechtseingriffen.
Dass die Richter am Bundesgerichtshof derart deutliche Worte finden ist richtig und überfällig. Es lässt aber befürchten, dass auch in anderen Verfahren ähnlichen Hintergrundes das Funktionieren der rechtsstaatlichen Institutionen zweifelhaft ist und insbesondere von Seiten der Generalbundesanwaltschaft massiv gegen Grundrechtsgarantien verstoßen wird.
Für die Betroffenen bedeutet die Telefonüberwachungen und Observationen massive Verletzungen ihrer Persönlichkeitsrechte über viele Jahre hinweg.