„Solidarität statt Paranoia“

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 27f, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

„Solidarität statt Paranoia“ – Diese Parole der Zeug_innengruppe und Titel unserer Zwischenbilanzbroschüre vom März 2008 kam daher nicht von ungefähr. Es gab Aufregung, Panik, Angst und vielleicht haben wir sogar ein Stück dazu beigetragen, indem auch von uns anfangs vermittelt und durch die Medienberichterstattung suggeriert wurde, Unschuldige würden vom Staat verfolgt werden – was einfach nicht stimmt. Denn es trifft weder alle, noch alle kritischen Wissenschaftler_innen. Betroffen sind solche, die einen kritischen Standpunkt einnehmen und daraus eine radikale Praxis entwickeln.

Wichtig erschien uns die ganze Zeit und auch rückblickend, eine Atmosphäre zu schaffen, in der nicht nur politische Standpunkte und Träume, sondern auch Ängste und Zweifel besprochen werden können. Vermutlich ist dies in der Zeug_innengruppe gut gelungen. Sie war eingebunden, aber keine Arbeitsgruppe des Einstellungsbündnisses.

Bald nach den Verhaftungen tauchten bei etwa zehn Mitbewohner_innen und Freund_innen der Inhaftierten zu Hause oder nach Knastbesuchen BKA-Beamt_innen auf und baten – erfolglos – um Gespräche. Im Oktober 2007 wurden diese und andere, teils auch nur entfernte Bekannte, insgesamt über 20 Personen, von der BAW als Zeug_innen nach Berlin-Treptow vorgeladen. Allen zur Staatsanwaltschaft Vorgeladenen droht bei unberechtigter Aussageverweigerung die Verhängung von Ordnungsgeldern und Beugehaft. In der Zeug_innengruppe trafen sich Betroffene mit Aktivist_innen und Rechtsanwält_innen. Sie sprachen über die Vorladungen und mögliche Folgen und Konsequenzen. Die Zeug_innengruppe leistete damit eine sehr wichtige Arbeit. Da es auch um Persönliches ging, legte die Gruppe darauf wert, dass nicht zu viel nach außen drang. Für uns war es gut, dass die Zeugengruppe „ausgelagert“ war und ebenso, dass dort erfahrene Personen aus vergangenen §129a-Verfahren mitgewirkt haben und neben der unterstützenden Arbeit auch politisch an die Öffentlichkeit gegangen sind. So berichteten auf einer guten öffentlichen Veranstaltung mit dem Titel „Und das war klar: Es war Sommer und ich wollte sowieso nicht in den Knast ...“ im April 2008 in Berlin unter anderem von (angedrohter) Beugehaft Betroffene aus Frankfurt am Main, Bremen und Magdeburg.

Nicht alle Vorgeladenen waren linke Aktivist_innen, nicht für alle war es selbstverständlich, die Aussage zu verweigern. Die Vorgeladenen gingen mit einem Rechtsbeistand zur Vernehmung. 13 von 19, also über zwei Drittel der Zeug_innen haben die Aussage verweigert. Ihnen wurde mit einem Ordnungsgeld und einer Vorladung nach Karlsruhe gedroht. Bei anderen reichte eine Krankmeldung, um der Vorladung zu entgehen. Im April 2008 wurden nochmals drei Zeug_innen nach Karlsruhe geladen. Dabei blieb es. Sanktionen wurden keine verhängt. Unabhängig davon wurde anschließend eine der Vorgeladenen als Beschuldigte wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung (mg) geführt. Mensch kann in einem §129/a/b-Verfahren schnell von der Zeugin zur Beschuldigten werden; das ist ein weiterer Grund, auch als Zeuge oder Zeugin die Aussage zu verweigern.