Keine Plädoyers, aber ein Urteil
aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 63f, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.
An der Idee, keine Plädoyers zu halten, gab es unter allen Beteiligten zunächst auch Kritik. Einzelne von uns, der Angeklagten und der Rechtsanwält_innen waren in der Frage gespalten. Einige hätten gern die Plädoyers gehört. Letztlich hat mensch sich dagegen entschieden und im Nachhinein war es die richtige Entscheidung, denn das Urteil stand schon vor den Plädoyers fest. Ein Plädoyer hätte in diesem Prozess keine Auswirkungen auf das Urteil gehabt. Mit ihrem Nicht-Plädoyer und ihrer guten Begründung agierten die Anwält_innen politisch.
„Nichts dümmer als die Begründung dieser Urteile. Was in Moabit an Moral gelehrt wird, gehört auf den Kehrichthaufen.“ (Kurt Tucholsky)
Zur Urteilsbegründung konnte der Vorsitzende Richter Josef Hoch dann endlich alles herauslassen und an dem herummaulen, was ihn ein Jahr lang total genervt hatte: Die radikale Linke, die die Verhältnisse umstürzen will, die peniblen Anwält_innen, die alles hinterfragen, die liberale Presse, die von den politischen Hintergründen der Tat und von Kriminalisierung linker Politik spricht. Die Urteilsbegründung war eine Hasstirade auf die militante gruppe und damit hochpolitisch. In einem waren wir uns immer einig: Das Gericht ist verurteilungswillig. Mit einer Verurteilung zu Haftstrafen – auch wegen Mitgliedschaft in der mg – hatten wir gerechnet. Die teils schwachen Indizien, so unsere Einschätzung, würden den Richter_innen des Kammergerichts ausreichen. Denn mensch darf nicht vergessen: Es handelte sich um einen politischen Prozess. Er fand vor dem Staatsschutzsenat des höchsten Berliner Gerichts statt, besetzt mit Richter_innen, die sich für diesen Sondersenat bewährt hatten. Ein Rechtsanwalt meinte nach dem Urteil gegenüber der Presse, dass die Höhe des Urteils seinen Erwartungen entspreche. Nach unserer Einschätzung ist die Haftstrafe nicht höher ausgefallen wegen unserer politischen Solidaritäts- und Öffentlichkeitsarbeit.
Auch wenn es allein schon aufgrund der Verschiedenheit politischer Situationen, unterschiedlicher Straftatbestände etc. eigentlich unsinnig ist, Repressionen untereinander zu vergleichen, wollen wir hier noch etwas erwähnen: Am gleichen Tag wie Axel, Florian und Oliver wurden zwei 19-jährige Männer vom Berliner Landgericht wegen Wurf eines Molotowcocktails in Richtung eines Polizisten am 1. Mai 2009 in Berlin-Kreuzberg verurteilt: zu jeweils drei Jahren und drei Monaten. Die Angeklagten hatten gestanden. Ebenso wenig für ihre Zusammenarbeit mit dem Gericht belohnt wurden in den 1980er Jahren zwei Männer, die nach der AKW-Katastrophe von Tschernobyl auf frischer Tat beim Strommastenfällen erwischt wurden. Das Wort Tschernobyl fiel im Gericht nicht ein einziges Mal – doch obwohl die beiden nichts mit der im Publikum anwesenden Anti-AKW-Bewegung zu tun haben wollten und ihre Tat bereuten, wurden sie zu hohen Haftstrafen verurteilt.