Die Verteidigung

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 55ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

Die drei Angeklagten wurden im Prozess von fünf Anwälten und einer Anwältin vertreten, die aus der Situation und den Vorstellungen der einzelnen Beschuldigten heraus, aber auch aus eigenen Einschätzungen und Bewertungen heraus, durchaus unterschiedlich argumentierten bzw. agierten. Trotzdem war ihr Auftreten während des ganzen Prozesses, von vereinzelten Fehlern und Versäumnissen abgesehen, abgestimmt und koordiniert. Ihre Rolle und ihre Aufgaben begannen mit den Verhaftungen im Sommer 2007, wo sie eine wichtige Informationsquelle über die Situation und die Gemütslage der Angeklagten waren. Primäres Ziel der Arbeit der Anwält_innen in dieser Phase waren die Bemühungen um Hafterleichterungen und die Aufhebung der Haft. Begründet aus der unterschiedlichen privaten Situation der Angeklagten war der anwaltliche Austausch mit dem familiären und persönlichen Umfeld der Angeklagten während der Zeit der U-Haft unterschiedlich.

Mit Vorliegen der Anklageschrift und dem bekannt gemachten Termin des Prozessbeginns begann mit der Diskussion und Abstimmung um eine Verteidigungsstrategie für die Anwält_innen eine weitere intensive Arbeitsphase. Untereinander haben sie bis zuletzt gut zusammengearbeitet, trotz von Beginn an vorhandener politischer Unterschiede, unterschiedlichem Agieren und Auftreten. Manche machten viel, manche weniger, auch je nachdem wie der jeweilige Mandant zum Prozess stand. Das unterm Strich gute anwaltliche Zusammenwirken bis zum Ende ist etwas besonderes in einem politischen Strafverfahren, das so lange dauert.

Aufgabe der Rechtsanwält_innen ist es, das zu tun, was ihre Mandant_innen wollen. Rechtsanwälte setzen sich in der Regel die Aufgabe, ein niedriges Strafmaß herauszuholen. Aber oft gibt es unterschiedliche Einschätzungen, was zu einer „billigeren“ Strafe führt. Das kann zu Interessenkonflikten führen. Wir hatten die Angeklagten aufgefordert, zu sagen, was sie wollen – nicht nur uns und den solidarischen Leuten, auch ihren Anwält_innen. Da das nur selten passierte, setzten die Anwält_innen weitgehend ihre Vorstellungen um. Neben den Angeklagten hatten aber auch die meisten von uns keine richtigen Vorstellungen, wie so ein Prozess (politisch) geführt werden kann. Vielen fehlte ein Verständnis, was politische Beweisanträge sind und was sie im Prozess bewirken können. Letztlich gab es auch Ängste, sie könnten sich strafverschärfend auswirken – was sich jedoch nicht bewahrheitete. In diesem Punkt gab es unterschiedliche Auffassungen unter uns, den Angeklagten und ihren Anwält_innen.

Die Rechtsanwält_innen bestimmten die Verteidigung. Sie waren damit auch die maßgeblichen Akteur_innen des Prozesses. Sie hinterfragten, beanstandeten, erläuterten, kritisierten, rügten, hakten nach und bestimmten damit weite Teile der Inhalte und des Verhandlungsverlaufs. Mit dem Einstellungsbündnis gab es eine (nicht selbstverständliche) gute Kooperation, die Vorteile und Grenzen hatte. Anwält_innen besuchten insbesondere in der Zeit der Inhaftierung unregelmäßig das Treffen des Einstellungsbündnisses. Dieser Informationsaustausch war wichtig. Während des Prozesses nahmen die Anwält_innen jedoch nicht mehr teil, was wie bereits erwähnt auch Vorteile hatte, weil wir dann unabhängig von juristischen Bewertungen unsere Themen bereden und diskutieren konnten. Einzelne Rechtsanwält_innen investierten jedoch während des Prozesses viel Zeit, um sich mit einzelnen Personen aus dem Einstellungsbündnis auszutauschen. Sie haben uns oft ihre Beweisanträge zur Kenntnisnahme bzw. Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Das alles war nicht selbstverständlich. Auch wir gaben Anregungen für Beweisanträge. Das war gegenseitig fruchtbar, die Anwält_innen hätten aber auch stärker in die Pflicht genommen werden können. Vorschläge vom Bündnis, die gleich nach Prozessbeginn im Herbst 2008 aktuelle Afghanistan-Debatte im Bundestag auch im Prozess zu thematisieren, wurden nicht aufgegriffen. Deswegen blieben zunächst weitere derartige Vorschläge unsererseits aus, teils fehlten uns aber auch die Ideen für mögliche Beweisanträge und Stellungnahmen. Wir kannten zu dem Zeitpunkt noch nicht alle Anwält_innen so gut und wussten nicht, bei welchem der Anwält_innen wir mit welchen Argumenten auf ein offenes Ohr treffen. Auch hier hätte die Kooperation enger und intensiver sein können.

Später stritten wir auch darum, ob Anträge, die juristisch Sinn machen, auch politisch sinnvoll sind und ob politisch sinnvolle Anträge eventuell strafverschärfend wirken können. Wir haben nicht geklärt, ob und welchen juristischen Beitrag wir liefern können. Uns fiel die Einschätzung schwer, ob politische Anträge Sinn machen und wie sie vor Gericht juristisch eingeordnet werden. Einige forderten politische Anträge ein, während die Anwält_innen eher bremsten, von politischen Stellungnahmen oder mehr Aktivität der Angeklagten abrieten und sich Politisches für das Prozessende aufheben wollten. Uns fehlte bis dahin Wissen und Erfahrungen, um es anders und besser zu machen. In Zweifelsfällen haben in der Regel die Angeklagten entschieden.

Rückblickend ist uns nicht gelungen, was sich einer der Anwälte gewünscht hätte bzw. was er aus seiner eigenen politischen Praxis kennt: Die Anwält_innen vor uns her zu treiben. Unsere Anregungen, Initiativen und Forderungen sowie die Vehemenz, sie einzubringen und durchzusetzen, blieben bescheiden. Das wenigste, was im Gerichtssaal passierte, ging auf uns zurück.