Die Angeklagten
aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 53f, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.
Die Angeklagten verlasen am ersten Prozesstag eine politische, antimilitaristische Prozesserklärung. Darüber hinaus meldeten sie sich im Prozess nicht zu Wort und machten keine Einlassung. Keine Aussage bei Bullen und Justiz zu machen, ist und bleibt inhaltlich richtig. So ist das Schweigen der Angeklagten zu den Vorwürfen folgerichtig. Dennoch soll hier ein Aspekt, der auch Teil unserer Diskussionen war, zum Nachdenken angerissen werden: Ihre Beteiligung am versuchten Brandanschlag auf Bundeswehr-LKW war nach Aktenlage und der Zeugenaussagen so gut wie nicht zu widerlegen. Sich öffentlich oder in der Hauptverhandlung zu den Brandanschlägen zu bekennen, hätte gewiss noch einmal neue Möglichkeiten für eine politisch offensive Soliarbeit eröffnet. Juristisch allerdings wäre dies eine Einlassung gewesen – mit allen bekannten unangenehmen politischen und verfahrenstechnischen Konsequenzen. Wahrscheinlich hätten wir uns aber mehr mit der Frage beschäftigen sollen, was hier für Zwischentöne und Wege möglich gewesen wären.
Im Prozess wurden lediglich Indizien bekannt, die für eine Mitgliedschaft der drei in der militanten gruppe sprechen. Beweise konnten keine erbracht werden. So sah es sogar die BAW in ihrem Plädoyer. Die Indizien reichten jedoch zur Verurteilung. Die Frage, ob die Angeklagten Mitglieder der mg sind, spielte für uns keine Rolle, es war nicht unsere Diskussion. Dennoch eierten wir damit herum, und viele haben es anfangs vermieden, die mg zu erwähnen. Die Anwält_innen hatten nach Erscheinen der „radikal“ Nr. 161 im Juli 2009 angeregt, sich über eine Einlassung „Wir sind nicht mg“ Gedanken zu machen. Dem nicht zu folgen war eine bewusste Entscheidung der Angeklagten.
Auch auf Veranstaltungen kam die Frage: „Warum gibt es kein Bekenntnis?“, verbunden mit der Zusage von Unterstützung. Knast und Prozess können und sollen auch ein Kampfterrain sein. Andere sagten: Zum jetzigen Zeitpunkt wäre so ein Bekenntnis nicht sinnvoll gewesen. Weite Teile der radikalen und an der Militanzdebatte beteiligten Linken schwiegen ebenfalls, womöglich um keine Argumente zu liefern, die die BAW und das Gericht gegen die Angeklagten ins Feld führen kann. Egal wie mensch zu dem Projekt steht, wenn es in Zukunft in Diskussionen um Militanz aus den vergangenen Jahren geht, wird mensch um die Politik der mg nicht herum kommen.
Was heißt das aber für uns? Wenn Beschuldigte schweigen, müssen wir selbst ein Verhältnis zu den Vorwürfen herstellen und uns beispielsweise die Frage stellen und beantworten: Warum finden wir die Tat richtig? Mensch kann selbst das eigene Verhältnis zum Verfahren erarbeiten und erklären. Hätten wir schon früher begriffen, dass wir uns auch als Einstellungsbündnis (und nicht nur für die Beschuldigten) äußern können, hätten wir früher politisch aktiver und offensiver sein können.
Die Angeklagten haben keinen Deal mit der BAW und dem Gericht ausgehandelt. Keiner der Prozessbeteiligten unterbreitete ein entsprechendes Angebot. Die Angeklagten haben nicht gequatscht, keine Informationen den Repressionsbehörden geliefert, keine Konstrukte bestätigt.
Dass mensch insbesondere in einem §129/a/b-Prozess keine Einlassung macht, dafür gibt es gute Gründe. Ein Angeklagter hat unter anderem folgende genannt: Es ist äußerst zweifelhaft, ob eine Einlassung in der Hoffnung auf Strafnachlass überhaupt juristisch etwas bringt, also zu dem erwünschten Ziel führt. Bei einer Einlassung „Wir sind nicht mg“ muss mensch alles schlüssig darlegen und zu weiteren Dingen etwas erklären oder dazu sogar Rede und Antwort stehen. Eine Einlassung ist, wenn überhaupt, nur glaubhaft, wenn mensch alle Widersprüche erklärt, mehr erzählt als nur „ich war’s nicht“. Gleichzeitig gibt mensch damit der BAW Hinweise für weitere Ermittlungen. Selbst mit einer nur kurzen Einlassung „Wir sind nicht mg“ beteiligt mensch sich an einem Ausschlussverfahren und trägt damit indirekt zur Täterfindung bei. Keine Einlassung bedeutet auch kein Einlassen auf die Klassenjustiz, die einen verknacken wird. Und zudem setzt mensch damit einen bewussten Kontrapunkt zur Praxis der Einlassungen und Deals, wie mensch sie in vielen politischen Verfahren der vergangenen Zeit erleben musste.