Resümee

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 73ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

Dreieinhalb Jahre Bündnisarbeit neigen sich dem Ende zu. Wie in Bündnissen üblich, haben wir viel gestritten, unterschiedliche Positionen ausgetauscht und manchmal zu viel oder zum falschen Zeitpunkt geschwiegen. In unserer Auswertung ist deutlich geworden: Mehr Kommunikation hätte auch dazu beitragen können, dass Skepsis, Mutmaßungen und Unterstellungen ausbleiben. Dennoch, es war eine intensive Zeit für alle Beteiligten und durch die lange Nachbereitung und die kontroversen Diskussionen darüber „Wie war es wirklich?“, ist uns vieles klarer geworden. Wir haben uns kennengelernt und dennoch gab es auch nach vielen Monaten nicht unter allen ein Vertrauen ineinander. Kontroverse Diskussionen zu führen, haben wir alle oft nicht hingekriegt oder sogar bewusst vermieden. Aber allen war auch klar, dass mensch innerhalb eines Bündnisses bei bestimmten Punkten zu keinem Konsens kommen wird. Dabei ist es nach unseren Erfahrungen sinnvoll, seine eigene Meinung – egal wie sie lautet – auszusprechen, aber nicht mit dem Ziel, sie durchzusetzen. Formuliert und begründet mensch seine Position innerhalb eines Bündnisses, kann dies Denkhorizonte eröffnen und für die weitere Arbeit produktiv sein. Und wer authentisch zu seinen Positionen steht, erhält in der Regel auch Respekt von denen, die seine Meinung nicht teilen. Letztlich haben wir einen Lösungsweg wie in der Mathematik gewählt, den wir sehr sinnvoll finden: Unser gemeinsamer Nenner war größer als die jeweils einzelnen Nenner. (Um Brüche addieren zu können, brauchen diese einen gemeinsamen Nenner. Und der kleinste gemeinsame Nenner ist das kleinste gemeinsame Vielfache der einzelnen Nenner.)

Gleichzeitig waren unsere Aktivitäten ein Stall voll Arbeit. Einzelne von uns sind phasenweise an die Grenze ihrer Belastbarkeit gegangen. Das zeigt, dass wir zu wenige waren, um all das Nötige umzusetzen. Für einige Initiativen fanden wir schlicht nicht die nötige Zeit, uns fehlten die Mittel oder die Erfahrungen, um so manches wahrzunehmen oder umzusetzen. Aber wir wollen nicht jammern. An der Antirepressionsarbeit zu den mg-Verfahren hat sich auch etwas entwickelt wie etwa eine Vernetzung verschiedener Soligruppen in Berlin.

Dabei stand am Anfang ein Tiefpunkt für die radikale Linke: die Verhaftung von Andrej, Axel, Florian und Oliver. Die monatelang unbemerkt gebliebenen Observationen und die anschließenden Durchsuchungen haben den Behörden zu Informationen verholfen, die sie nicht hätten erhalten dürfen. Vier Genossen saßen im Knast und danach floss viel politische Arbeit in das Verfahren bzw. den Prozess. Es war aber auch ein Tiefpunkt, weil sich die militante gruppe und die „radikal“ offensichtlich nicht in der Lage sahen, sich zu Wort zu melden. Die notwendige Auseinandersetzung um radikale, revolutionäre Politik von ihrer Seite verstummte. Das kritisieren wir, auch wenn es sicherlich Gründe gab. Denn die beiden klandestinen Zusammenhänge und ihre jeweilige politische Praxis der Verbindlichkeit und Kontinuität waren eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Linken der 2000er Jahre gewesen. Wenn aber nach einem Repressionsschlag eine jahrelange Pause einsetzt, steht unserer Meinung nach die vorherige Art und Weise ihrer Organisierung infrage.

Doch auch innerhalb des Bündnisses gab es Verunsicherung gegenüber der Forderung, Militanz zu thematisieren ebenso wie in weiten Teilen der radikalen Linken. Erst nach anderthalb Jahren thematisierten wir das Projekt militante gruppe und regten an, die Auseinandersetzung mit der mg in die Arbeit einzubeziehen. Damit wurde ein bislang vernachlässigter Teil der interessierten linken Öffentlichkeit angesprochen, wenn auch weitgehend folgenlos. Wenn wir über die mg diskutierten, dann immer auch unter dem Stichwort Solidarität. Wie ist ein solidarisches Verhältnis möglich, wenn wir – zumindest nicht alle – nicht inhaltlich hinter den Ideen des angegriffenen Projektes stehen? Wie entwickeln wir ein Verhältnis, dass Kritik möglich macht und das nicht als entsolidarisierend wahrgenommen wird? Und wo führen wir solche Debatten überhaupt? Wir haben auf diese Fragen nicht unbedingt erschöpfende Antworten, dennoch sehen wir es als Erfolg, dass sich die Position „Solidarität ist unteilbar“ innerhalb des Bündnisses durchgesetzt hat und wir gleichzeitig durchaus kritisch gegenüber den Genoss_innen der mg sein konnten.

Auch das Thema Antimilitarismus und konkrete Abrüstungsinitiativen wurden von uns erst nach mehrmonatigen Diskussionen zum Thema der Solidaritätsarbeit gemacht. Wir haben das in unserer Auswertung dargelegt. Geholfen haben uns auf diesem Weg und für unsere Diskussionen Initiativen von außen, die sich unabhängig zu den verhandelten Vorwürfen in Beziehung gesetzt und ihre eigenen Konsequenzen gezogen haben. Letztlich hat das dazu geführt, dass auch wir politische Inhalte in unserer Soliarbeit aufgegriffen haben. Das gleiche gilt für die Kritik an der Soliarbeit, die an uns herangetragen wurde, die uns zum Nachdenken und Positionieren herausgefordert und deshalb die Arbeit des Bündnisses bereichert hat.

Wenn wir dennoch von Erfolgsstory sprechen, machen wir das an verschiedenen Punkten fest. Erstmal haben wir uns nicht spalten lassen trotz vieler unterschiedlicher Positionen. Das gilt innerhalb des Bündnisses ebenso wie für die Beschuldigten. Der Staat hat nach seinem eigenen Konstrukt Aktivisten zusammengeworfen, die sich politisch in vielen Punkten unterscheiden. Auch wenn sich nicht unbedingt Freundschaften entwickelt haben, so haben sich doch alle untereinander solidarisch verhalten. Das hätte nicht so sein müssen und es bedeutete viel Auseinandersetzung. Ebenso schwierig war bis zum Schluss die Frage, wieweit beziehen wir uns auf die Beschuldigten und ihre konkreten Wünsche und Forderungen? Was machen wir, wenn sie gar nicht mehr auftauchen? Geht Soliarbeit auch ohne sie? Wir haben diese Fragen für uns beantwortet, indem wir mit einem Angeklagten zusammen einfach weitergemacht haben. Das finden wir nach wie vor richtig, auch wenn einzelne das Bündnis durch diesen Konflikt verlassen haben.

Insgesamt gab es großes Interesse an den Berliner mg-Verfahren, sowohl die bürgerlich-liberale Öffentlichkeit konnte zum Thema Überwachung und Kriminalisierung angesprochen werden als auch politische Aktivist_innen, die sich konkret zur Repression und zur verhandelten Abrüstungsinitiative verhalten haben, mit eigenen Veranstaltungen und anderen politischen Aktionen wie z. B. Demonstrationen, Plakatieren oder militanten Aktionen. Auch das zeigt, Solidarität ist mehr als ein verbales Bekenntnis. Allerdings stellen wir auch fest, das mg-Verfahren war relativ prominent, andere Gefangene können nicht mit so viel Öffentlichkeit rechnen und selbstverständlich ist Solidarität im politischen Alltag leider nicht.

Ebenso wenig selbstverständlich ist eine Auseinandersetzung im politischen Alltag mit dem Thema Knast oder mit Traumatisierung. Auch wenn es im Konkreten viel Hilfe gab, die Auseinandersetzung mit diesen Themen hätte noch viel tiefer gehen können und verschwand auch leider schnell wieder.

Bis zum Prozessende haben wir uns wöchentlich getroffen, gewährleisteten wir die Prozessberichterstattung, wurde der Prozess von durchschnittlich fünf bis zehn Menschen besucht, veranstalteten Leute Soli-Partys, es gab Filmvorführungen und Aktionen. Es gab Interesse bis zum Schluss. Wir haben nach langer Zeit mal wieder in Berlin über einen langen Zeitraum kontinuierlich politische Solidaritätsarbeit geleistet. Es war ein Auf und Ab, aber das, was wir hingekriegt haben, kann sich sehen lassen. Wir haben das zarte Pflänzchen der Solidarität drei Jahre lang gegossen. Und – um mal unbescheiden zu sein – vielleicht haben wir mit unserer Arbeit auch ein paar Pflöcke eingerammt, die uns überdauern und für andere Solidaritätsarbeiter_innen einmal Orientierung sein werden.

Bis die Urteile rechtskräftig und damit alle Verfahren abgeschlossen sind, werden wir noch im Austausch miteinander stehen. Die Webseite wird informieren, wenn über die Revision gegen das Urteil entschieden ist und wenn es sonst noch etwas Berichtenswertes gibt. Viele von uns werden den Kontakt untereinander und mit den Verurteilten weiter pflegen und sie auch nach ihrem Haftantritt unterstützen. Für alle, die unsere Webseite schätzten, weil sie auch antimilitaristische Aktivitäten dokumentierte, verweisen wir von nun an auf die Webseite von „Bundeswehr wegtreten!“.

Wir haben einiges erreicht.
Wir haben viel gelernt.
Und wir freuen uns auf die Zukunft.