Ermittlungskonstrukte

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 66ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

Auch wenn es leider keine strukturierte Auswertung der Akten bezüglich der Ermittlungsmethoden gibt, wollen wir ein paar Hinweise geben, wie die Ermittlungsbehörden vorgegangen sind. Die Informationen stammen aus dem Prozess oder aus Akteninformationen verschiedener §129/a-Verfahren der vergangenen zwei Jahre.

Das Konstrukt der Ermittlungen haben wir auf unserer Webseite schon beschrieben. Zählst du erstmal als Beschuldigter, dann wird alles gegen dich interpretiert. Andrej hat dies auf seinen Veranstaltungen gut dargestellt. Illustriert hat dies auch KHK Stefan Nolte vom BKA bei seiner Zeugenaussage im April und Mai 2009. Alles Widersprüchliche kann er irgendwie in sein Bild, welches das der Akten ist, und das er vermutlich für bare Münze hält, einsortieren. Dieses Denken ist heimtückisch, weil es erlaubt, alles unter mg (oder in anderen Fällen eine andere Gruppe) einzuordnen. Wenn sich – trotz unterschiedlicher Gruppennamen – Tatmodalitäten und/oder politischer Ausrichtung (beispielsweise kommunistisch oder autonom) ähneln, gehen die Ermittler_innen von ein und demselben Täterkreis aus. Wenn das Bekennerschreiben etwa von einer autonomen Gruppe XY unterzeichnet ist, dann passt das in genau eine Schublade des BKA. Wenn darin aber etwas von Kommunismus zu lesen ist, wird die Tat in die mg-Schublade einsortiert. So rechnete das BKA neben den Anschlägen, zu denen sich die mg bekannt hatte, noch weitere der mg zu. Gleiches gilt für Texte, in denen sich stark positive Bezüge auf die mg befinden. Wie wir aus den Vernehmungen vor Gericht wissen, gilt mensch für das BKA auch als mg-verdächtig, wenn mensch einen gut sortierten Bücherschrank hat mit Werken von Marx, Lenin, Luxemburg, Liebknecht, Mao Tse-Tung, Karl-Heinz Roth, Joachim Hirsch, Wolf Wetzel, Sebastian Haunss oder Gerhard Harnloser und Zeitschriften wie „Wildcat“ oder „iz3w“. Das alles macht eines deutlich: Es wird absurd, Empfehlungen über richtiges Verhalten abzugeben, weil die Ermittler_innen ohnehin alles so interpretieren, wie sie wollen. Die verschiedenen, vor den Gipfelprotesten in Heiligendamm eingeleiteten G8-Verfahren sind dafür ein Beispiel von vielen: Die einen waren verdächtig, weil sie sich in die G8-Vorbereitung eingebracht hatten und Treffen besuchten, die anderen galten als verdächtig, weil sie dies gerade nicht taten.
Fazit: Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ist schnell zusammengezimmert. Der Logik der Ermittlungsbehörden sind hierbei kaum Grenzen gesetzt. Das macht nochmals die Dimension deutlich: Die gesamte radikale Linke ist von den §129-Verfahren betroffen.

Trotz allem: Neben dem Ausschalten bzw. zu Hause lassen von Handys gibt es noch vieles andere zu berücksichtigen. Da mensch auch aus möglichen Fehlern anderer klug wird, werden nachfolgend die im Prozess benannten Indizien aufgelistet, die zusammengenommen für Axels, Florians und Olivers Verurteilung ausreichten: Eine Personenkontrolle eines Angeklagten im Auto der Mutter eines anderen Angeklagten, Kalendereinträge, Adressbücher, Telefonate untereinander oder nur kurzes klingeln lassen (vom eigenen Anschluss, vom Arbeitsplatz, von nahe an der eigenen Wohnung befindlichen Telefonzellen aus), Bilder auf Handy bzw. Computer von linken Plakaten bzw. einem Autohaus, gemeinsam genutzte USB-Sticks, eine nicht zu öffnende Datei namens „Der kleine Sprengmeister“ auf einem Datenträger, Kassenzettel, bedruckte Papiere und handbeschriebene Zettel, handschriftliche Notizen an Texten in Zeitschriften und Büchern, Fingerabdrücke und DNA-Spuren.