Wohin? Tauziehen um verschiedene Stränge der Soliarbeit
aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 15ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.
Ein Großteil unserer Konflikte drehte sich um die Frage, was den inhaltlichen Schwerpunkt unserer Unterstützungskampagne ausmachen soll. Der „Fall Andrej H.“, also die Story vom „Kopf der mg“ zum scheinbar unschuldig verfolgten kritischen Wissenschaftler, war ab einem gewissen Zeitpunkt ein medialer Selbstläufer. Im Gegensatz zu vielen anderen Soligruppen mussten wir uns vor allem in der Anfangsphase des Einstellungsbündnisses nicht so sehr mit der Frage herumschlagen, ob wir überhaupt Öffentlichkeit herstellen können. Die Frage war eher, wie wir Einfluss nehmen auf das, was die Medien thematisieren. Es gab ein großes öffentliches Interesse, was auch an der schnellen und guten Öffentlichkeitsarbeit von Andrejs wissenschaftspolitischer Community gleich nach seiner Verhaftung lag. Das war einerseits ein großer Luxus, brachte aber auch Probleme mit sich, mit denen wir uns lange herumschlagen mussten und die unsere Diskussionen bestimmt haben.
Auch wenn niemand diesen Strang der Soliarbeit gänzlich infrage stellte, schmeckte doch vielen die Hierarchisierung nicht, die mit ihm einherging: Auf der einen Seite standen der „Herr Doktor” (und auch die anderen nicht verhafteten Beschuldigten), den sein kritisches Denken in den Knast gebracht hatte und der sich und seine Familie aufgrund vager Ausgangsindizien einer skandalösen §129a-Überwachungsmaschinerie ausgesetzt sah, dem es aber auch gelang, eine öffentliche Empörung und damit Interesse für die Ermittlungen und das Thema §129/a herzustellen. Auf der anderen Seite standen Axel, Florian und Oliver als Altenpfleger, Sozialarbeiter und Buchhändler – auf frischer Tat ertappt. Den einen wurde vorgeworfen, die intellektuellen Köpfe der militanten gruppe zu sein, die die Texte schreiben, den anderen wurde unterstellt, sie seien die ausführenden Brandsatzleger. Dieses Konstrukt haben wir kritisiert und dennoch auch gehofft, Andrejs mediale Präsenz zugunsten der anderen in die Waagschale werfen zu können. Bis sich später mit Prozessbeginn der Schwerpunkt fast gänzlich auf die drei Angeklagten verschoben hatte, sind wir aus der Hierarchisierungsnummer nicht herausgekommen. Neben den Unterschieden der beruflichen Tätigkeit, deren Status und damit verbundener Vernetzung und den Vorwürfen, drückte sich die Verschiedenartigkeit der Beschuldigten auch darin aus, dass die einen in Freiheit waren, die anderen – auf frischer Tat ertappten – im Knast bzw. auf der Anklagebank saßen.
Auch wenn wir es nicht immer durchgehalten haben, wollten wir doch weder das hanebüchene Konstrukt der BAW von Texte schreibenden Intellektuellen und deren willfährigen Brandsatz legenden Handlangern bedienen, noch eine „Unschuldskampagne“ führen. Diesen Begriff benutzten einige von uns, obwohl er ungenau ist. Gemeint war eine Kampagne mit der Aussage, die Beschuldigten hätten mit den Vorwürfen rein gar nichts zu tun; also eine Kampagne, die hauptsächlich oder gar ausschließlich auf Skandalisierung der Verhaftung und einiger Ermittlungsmethoden und -hintergründe (§129a, Wissenschaft) aufbaut. Das wollten wir nicht, denn die drei in Brandenburg Festgenommenen konnten nicht auf diesen „Unschuldszug“ aufspringen, schließlich wurden sie dabei beobachtet, wie sie nachts auf ein MAN-Gelände gingen, wo unmittelbar danach Brandsätze unter Bundeswehr-LKW gefunden (und entschärft) wurden. Dennoch sind uns genau diese beiden Dinge immer wieder und zum Teil zu Recht vorgeworfen worden.
Dabei wurde schon früh auf einer Veranstaltung des Einstellungsbündnisses bei einem Statement vom Podium auch folgendes formuliert: „Wir sind nicht ‚harmlos‘. Wir sind nicht ‚unschuldig‘. Wir kämpfen gegen diese herrschenden Verhältnisse. Wir wollen ein anderes Leben. Wir wollen eine andere Welt. Es geht uns um eine Welt, in der der Mensch und nicht die ökonomische Rationalität im Mittelpunkt von Denken und Handeln stehen. Und um uns in die Kontinuität der Geschichte zu stellen – mit Marx gesprochen: ‚Alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.‘“ Diese Formulierung ist – im Gegensatz zu Unschuldskampagnen – auch ein Signal an Menschen, die politisch aktiv sind und deswegen vielleicht auch einmal von Repression betroffen sein werden. Es kann ja schließlich nicht darum gehen, die jeweils von der Repression betroffenen politischen Projekte – in unserem Fall die militante gruppe – zu verharmlosen. Wenn wir alles tun und sagen, nur um abzuwiegeln, die Vorwürfe kleinzureden oder das Verfahren ganz loszuwerden, tragen wir nicht nur dazu bei, dass Solidarität aus der radikalen Linken ausbleibt, sondern setzen auch die Glaubwürdigkeit linker Politik aufs Spiel. Und schaffen damit letztendlich Erfolge für die staatliche Repression.
Im Teil über Öffentlichkeitsarbeit setzen wir uns mit den Interessenkonflikten genauer auseinander. Hier sei aber festgehalten, dass wir mit mäßigem Erfolg (1) versucht haben, zwischen den verschiedenen Interessen auszugleichen. Neben der strategischen Pressediskussion (vgl. Kapitel Öffentlichkeitsarbeit) und der politischen Diskussion um Schwerpunktsetzungen bei der Verfahrens- und Prozessbegleitung (vgl. Kapitel Prozess) ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Umgang mit verschiedenen politischen Haltungen, Schwerpunktsetzungen, Interessen der Mitglieder eines Solibündnisses wichtig. Und natürlich die Fragen nach den großen und kleinen persönlichen Ansprüchen, Wünschen, Bedürfnissen und Ängsten. Zwar sollten all diese Fragen im politischen Alltag ständig eine Rolle spielen, im Gegensatz zu anderen politischen Gruppen lassen sie sich in einem Solibündnis aber schwerer übergehen. Schließlich geht es für einige der Beteiligten wirklich ans Eingemachte, müssen sie doch, so sehr die Repression uns alle meint, die Konsequenzen zu einem großen Teil individuell tragen.
Dass es uns einigermaßen gelungen ist, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen, ohne dass der Laden auseinandergefallen ist, liegt an einer wichtigen Entscheidung, die das Einstellungsbündnis recht früh getroffen hat. Jeder Solibeitrag war willkommen, wurde von uns zumindest dokumentiert, im besten Fall und bei inhaltlicher Begeisterung und vorhandener Kraft auch unterstützt. Formal wurde dies am Beispiel ausgefochten, welche Inhalte auf der Webseite erscheinen, praktisch illustrierte das Webseiten-Prinzip die Handlungslogik des Einstellungsbündnisses: Als kurz vor Andrejs Freilassung das erste Soliplakat erschien – „Es gibt zu viele Bundeswehrfahrzeuge“ – wurde es nach kurzer Aussprache im Bündnis auf die Webseite genommen. Zahlreiche Fotos von Bundeswehrfahrzeugen sind darauf vor einem rosa Hintergrund abgebildet. Zwei abgebrannte Fahrzeuge waren mit dem Stempel „sabotiert“ versehen. Eine Zeitleiste im unteren Bereich des Plakats dokumentiert militante antimilitaristische Aktionen. Nach einigen Auseinandersetzungen wurde das Plakat zunächst wieder von der Homepage genommen. Dann wurde entschieden: Alles kommt auf die Webseite, jede Solidarität wird dokumentiert, sowohl das Plakat „Es gibt zu viele Bundeswehrfahrzeuge“ als auch Erklärungen wie die von Andrejs Doktorvater Hartmut Häusermann, der sich von der mg distanzierte. Um sich juristisch abzusichern und auch etwas abzugrenzen, stand seitdem auf der Webseite vor den Erklärungen: „Dokumentiert:“. Das war ein guter Schritt und im Nachhinein erweist sich diese Entscheidung als die einzig richtige, denn zukünftig musste sich das Bündnis nicht darüber in die Haare kriegen, was auf die Webseite kommt und was zensiert wird. Jeder Beitrag war willkommen, auch wenn wir ihn in Gänze nicht teilten. Die notwendige Offenheit, die in dieser Entscheidung steckt, war aber nicht durchgängig vorhanden. Immer wieder mussten Positionen durch Gespräche und Diskussionen über mehrere Wochen erneut erkämpft werden. Zudem gab es einen Versuch, einzelne Personen und Gruppen aus dem Bündnis zu drängen. Das zeigt, im Einstellungsbündnis gab es Grabenkämpfe.
Auch in einer anderen Frage steckte der Teufel letztendlich im Detail. So stand zwar außer Frage, dass die Wünsche und Ängste von Betroffenen und deren Angehörigen immer berücksichtigt gehören und ins Verhältnis zu den gemeinsamen politischen Forderungen gesetzt werden müssen, aber in unserem heterogen zusammengesetzten Bündnis waren die konkreten Vorstellungen dazu oft unterschiedlich.
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(1) Erfolg, da bis zum Schluss beide Stränge gut nebeneinander stehen konnten und wir voneinander profitiert haben und fast alle immer noch mit fast allen reden. Misserfolg, da der Preis für die zunehmende antimilitaristische Schwerpunktsetzung und Fokussierung auf Axel, Florian und Oliver das Wegbleiben vieler Befürworter einer bürgerlichen breiten Öffentlichkeit war.