Verfassungsschutz und Spitzel

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 69ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

Bürgerrechtler_innen fordern zurecht die Abschaffung des Verfassungsschutzes (VS). Der VS hat nichts Gutes. Er lügt sogar die Parlamentarische Kontrollkommission an, wie aus Akten eines laufenden Verfahren gegen den VS und seinen angeblichen „V-Mann 123“ hervorgeht, das Wolf Wetzel, ein ehemaliger §129a-Verfolgter aus Frankfurt am Main, angestrengt hat.

In den mg-Verfahren gab der VS wiederholt Hinweise über angebliche Mitglieder der militanten gruppe an das BKA. Das BKA hatte – nach eigener Auskunft im mg-Prozess – diese Informationen nicht überprüfen können, aber als wahr angenommen. Deswegen hieß es von unserer Seite immer: Der VS hat die mg-Ermittlungen angestoßen und steuert die Verfahren. Das zieht sich bis in die Anklageschrift: Diese beruhte unter anderem auf einem angeblichen Spitzel, laut dem die drei Angeklagten Mitglieder der mg sein sollten. Es versteht sich von selbst, dass dieser weder namentlich noch persönlich präsentiert oder als Zeuge geladen wurde, sondern diese Behauptung in einem „Behördenzeugnis“ des VS schriftlich niedergelegt war – ohne den Wahrheitsgehalt überprüfen zu können. Auch ein weiteres, erst während des Prozesses bekannt gewordene §129-Ermittlungsverfahren gegen eine Beschuldigte wegen Unterstützung (das in unserer Zählung fünfte mg-Verfahren) beruhte offiziell auf so einer Spitzelinformation.

Für das Einstellungsbündnis und seine Arbeit war der vermeintliche Spitzel eher nebensächlich. Zwar haben wir darüber diskutiert und uns gefragt, welche Auswirkungen das auf unsere Arbeit hat, aber insgesamt maßen wir der möglichen Existenz oder dem Wahrheitsgehalt der Behördenzeugnisse keine große Bedeutung bei. Und das war gut so, um einer größeren Verunsicherung vorzubeugen.

Im Prozess trat der Vizepräsident des Bundesverfassungsschutzes Elmar Remberg auf. Der Geheimdienstler sollte zu sogenannten Behördenzeugnissen befragt werden. Besonders brisant war ein solches „Zeugnis“ in dem angegeben wurde, nach einer dem VS vorliegenden, vertraulichen und unbestätigten Information sollten die Angeklagten der militanten gruppe angehören. Über diesen Personenkreis hinaus sollte es noch weitere Mitglieder der mg geben. Der Informationsgeber würde seitens des VS als im Allgemeinen zuverlässig berichtend und nachrichtenehrlich eingestuft. Interessant war dabei vielleicht Folgendes: Der VS prüfe, so Remberg, wie die Eindrücke von der Quelle seien, welche Informationen sie liefere, wie die Motivlage der Quelle ist, dem VS Informationen zu übermitteln. Der hier einschlägige Informationsgeber sei im Allgemeinen als zuverlässig eingestuft. Zuverlässig sei eine Quelle, wenn sie mehrere Informationen liefert, die sich als wahr herausstellen, also „verifiziert werden können“. „Im Allgemeinen“ bedeute, dass Meldungen nicht verifiziert werden können. Dies bedeute aber nicht zwangsläufig, dass sie unrichtig sein müssen. Ihr Wahrheitsgehalt könne bloß nicht nachgewiesen werden. Auch die Qualität der Aussagen sage nichts über die Zuverlässigkeit aus. Über die Anzahl der Informationen oder ihren prozentualen Anteil konnte nichts ausgesagt werden. Ebenfalls nicht, wie lange die Quelle schon für den VS tätig sei.

Generell lässt sich der Beweiswert eines Spitzels hinterfragen. Schließlich erhält ein/e solche/r Informant_in ihr/sein Geld, weil sie/er Informationen liefert. Und er/sie muss liefern, um sich interessant zu machen und ihren/seinen Job zu garantieren. Auch die Motive eines Spitzels, persönliche wie Rache oder Konkurrenzneid bis hin zum Interesse an Vergünstigungen wie Unterlassen der Strafverfolgung in bestimmten Fällen, stellen die Beweiskraft infrage. So musste mensch in unserem Fall aber gar nicht erst argumentieren. Denn der Spitzel, so gab VS-Chef Heinz Fromm in einem Schreiben an das Gericht zu, habe seine Information lediglich „vom Hörensagen“. Der VS hat also öffentlich nichts qualifiziertes zur militanten gruppe bzw. ihren Mitgliedern gesagt. Damit hatte der angebliche Spitzel seinen Beweiswert verloren. Weder die BAW noch die Richter_innen zogen aus dem Spitzel für die Angeklagten nachteilige Schlüsse.

Nach Prozessende hetzte der Verfassungsschutz Berlin gegen Politikerinnen von SPD (Juso-Chefin Franziska Drohsel) und Linkspartei (MdB Inge Höger), die sich durch Präsenz im Gerichtssaal, mit Stellungnahmen bzw. einer Demoteilnahme solidarisch gezeigt hatten. Der Berliner Innensenator Körting (SPD) und die Boulevardpresse schlossen sich an, mit dem Ziel, dass solche Solidarität künftig unterbleibe.

Ob das Einstellungsbündnis wie vermutlich andere antimilitaristisch arbeitende Gruppen auch ins Visier des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) geriet, wissen wir nicht. Die Solidaritätsarbeit tauchte aber in den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes auf. Zahlreiche Veranstaltungen, auf denen wir unter anderem über die undemokratischen Machenschaften des Verfassungsschutzes berichteten, wurden auch vom VS besucht und die Referent_innen in den Datensätzen der VS-Behörden registriert. Das ist für uns nur ein weiterer Beleg für die Illegitimität der Behörde Verfassungsschutz. Die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes ist auch unsere Forderung.