Politischer Prozesstag
aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 61f, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.
Die politischen Beweisanträge, für die wir teils Zuarbeit geleistet hatten, wollten die Anwält_innen gebündelt am Ende der Beweisaufnahme stellen. Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Prozesseröffnung (und der antimilitaristischen Prozesserklärung der Angeklagten) wurde es am 23. September 2009 zum zweiten Mal politisch-antimilitaristisch. In acht Anträgen wurde die politische Dimension der Anklage (versuchte Brandstiftung von Bundeswehr-LKW) deutlich gemacht.
Die Anträge kommen zu dem Schluss: Widerstand gegen völkerrechtswidrige Kriege ist legitim; frei nach dem Motto: „Was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen Schaden mehr anrichten.“ Gleich war eine ganz andere Stimmung im Gerichtssaal, die Luft hat regelrecht gebrannt. Sogar Richter_innen und BAW haben außergewöhnlich lange aufmerksam den Anwält_innen zugehört. Dieser Prozesstag war auch für die Angeklagten etwas besonderes. Nach über 50 Prozesstagen mit BKA- und BAW-Konstrukt-Gequatsche standen sie an diesem Tag – so sagte einer von ihnen – als politische Subjekte da. Er sah es danach als einen Fehler an, dass nicht schon früher eine solche Initiative beispielsweise durch mehr derartige politische Stellungnahmen zu Geschehnissen im Prozess ergriffen wurde.
Die auf unserer Webseite dokumentierten Beweisanträge sind eine Handreichung für all jene Genoss_innen, die vor Gericht stehen (werden). Die Anträge zeigen, wie mensch politische Hintergründe einer Aktion in den Prozess einführen kann. Auch vielen von uns wurde erst mit diesem Prozesstag klar, was politische Beweisanträge sind und was sie bewirken. Dieser Prozesstag sendete noch einmal ein politisches Signal an die antimilitaristisch interessierte politische Öffentlichkeit. Im Nachhinein war er der eigentliche Tag der anwaltlichen Plädoyers.
Ein angedachter Beweisantrag wurde nicht ausgearbeitet: Diskutiert wurde, zu thematisieren, dass militante Anschläge einen inhaltlichen Diskurs über die Kritik am Anschlagsziel eröffnen und damit eine Wirkung entfalten. Hier wäre eine Möglichkeit gewesen, die Anwält_innen und Angeklagten mehr zu fordern, sie vor uns herzutreiben, statt auf ihren Ratschlag zu hören. Unserer Auffassung nach haben sich die gestellten politischen Beweisanträge nicht strafverschärfend ausgewirkt. Deshalb kann mensch nach dem „politischen Prozesstag“ am 23. September 2009 guten Gewissens sagen, dass auch politisch weitergehende Anträge eine gute Ergänzung ohne die befürchteten Auswirkungen gewesen wäre. Es wurde also eine Chance vertan, mehr als nur Antimilitarismus zu thematisieren.